2. Sonntag nach Weihnachten – „Gehe zurück auf Los!“

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Dreimal das Gleiche

Für Predigende, aber auch für Zuhörende kann die Situation zur Herausforderung werden: am ersten Weihnachtstag, am Silvesterabend und am zweiten Sonntag nach Weihnachten erfahren wir, manchmal noch n klerikal-oberlehrerhaftem Ton, so, als sei es etwas völlig Neues, dass das Wort Fleisch geworden sei. „Im Anfang war das Wort…“ – haben Sie das schon mal gehört?“ Ok, und wenn dann der zelebrierende Priester zum dritten Mal die Langfassung wählt, ist die Langeweile nicht weit. Dreimal das Gleiche.

Zugegeben, es gibt Worte, die kann ich gar nicht oft genug hören, Blicke und Gesten, die kann ich gar nicht oft genug erleben, Texte, die kann ich nicht oft genug lesen – und all das hat Kraft genug in sich, mich zu wandeln, zu verwandeln, zu verändern. Und vielleicht liegt da die Lösung: Ob ich mich dem dritten Mal „Johannesprolog“ in sieben Tagen so nähern kann, dass die Worte ihre verwandelnde Kraft entfalten können? Na, dann mal los!

» Unrein und verzerrend ist der Blick des Wollens. Erst wo wir nichts begehren, erst wo unser Schauen reine Betrachtung wird, tut sich die Seele der Dinge auf, die Schönheit. «
Hesse, Hermann : Über die Seele, in: Unseld, Siegfried (Hrsg.) Hermann Hesse. Mein Glaube, Frankfurt/Main, 11.

Monopoly spielen

Sie kennen noch das „Kapitalistenspiel“ Monopoly? In meiner Kindheit fing es mit der billigen Bad- und dann der Turmstrasse an. Einmal ums Spielfeld gefahren, kam man vor der zweiten Runde (und den 4000,00 DM, die man dann erhielt) über die kaum bezahlbare Parkstrasse, von der Schlossallee ganz zu schweigen. Straßen kaufen, Häuser und Hotels draufbauen und die Mitspieler abzocken, eine sehr einfache Spielidee. Wie ärgerlich, wenn man zum Ende der ersten Runde die Ereigniskarte zog, die schlicht den Schriftzug hatte: „Gehe zurück auf Los! Ziehe nicht 4000,00 DM ein“. Die anderen kommen in die privilegierten Gegenden, können Häuser und Hotels kaufen, und ich muss wieder bei der billigen Bad- oder Turmstrasse anfangen. So wird es nichts. Ich bin abgehängt.

Falsch! Ich bin abgehängt, wenn ich – wie es das Spiel insinuiert – noch nicht bei Parkstrasse und Schlossallee angekommen bin. Ich bin abgehängt, wenn ich weniger Häuser, Bahnhöfe oder Hotels besitze wie meine Mitspieler (sind es Mitspieler oder Konkurrenten?). Ich bin abgehängt, wenn ich die Mieten der anderen nicht mehr zahlen kann und meinen Besitz verkaufen muss. Merken Sie, wie sehr das Gefühl, das Empfinden von Abgehängt-sein an dem Bedingungswörtchen „wenn“ hängt? Und an den Regeln, die für dieses ‚Spiel so geschrieben sind?

Hermann Hesse schreibt 1917 über die Seele des Menschen: „Unrein und verzerrend ist der Blick des Wollens. Erst wo wir nichts begehren, erst wo unser Schauen reine Betrachtung wird, tut sich die Seele der Dinge auf, die Schönheit.“[1] Im Zitat steht das „nichts“ in größtmöglichem Gegensatz zum oben geschriebenen Bedingungswörtchen „wenn“!

» Später hat meine persönliche Religion ihre Formen noch oft verändert, niemals plötzlich im Sinn einer Bekehrung, stets aber langsam im Sinn von Zuwachs und Entwicklung. «
Hesse, Hermann (1931): Mein Glaube, in: Unseld, Siegried (Hrsg.) (1971): Hermann Hesse. Mein Glaube, Frankfurt/Main, 61.

Mehr und mehr Kind Gottes werden

Und jetzt der Johannesprolog. Sie kennen die Worte: Das Wort ist Fleisch geworden es hat unter uns (die Mystiker sagen: in uns) gewohnt, und die Seinen nahmen es, nahmen ihn nicht auf. Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden.

„Gehe zurück auf Los!“ – mit allem, was Du hast an Belastendem, mit all dem Wenigen, was Du im Vergleich zu anderen meinst vorweisen zu können. Geh zurück zu einem neuen Anfang, zu deinem neuen Anfang, und dann beginne wieder, geh nach vorn, Ihm entgegen. Das Segenswort von gestern klingt nach: „Der Herr wende sein Angesicht Dir zu und schenke dir Frieden.“ Sie finden dieses friedenschenkende Angesicht nicht, wenn Sie zurück-, sondern nur, wenn sie nach vorn schauen, Ihm entgegen. Nochmal der Monopoly-Spielplan: Unsere Spiel- und Lebensrichtung ist der Weg zur Parkstrasse und zur Schlossallee, nicht das Stehenbleiben an der Bad- oder der Turmstrasse. Ich nehme es dem Spiel in spiritueller Hinsicht ab, dass wir unterwegs sind zu einem Reichtum, der weniger monetär bestimmt ist, der aber viel mit innerer und äußerer Entwicklung zu tun hat.

Noch einmal Hesse: „Später hat meine persönliche Religion ihre Formen noch oft verändert, niemals plötzlich im Sinn einer Bekehrung, stets aber langsam im Sinn von Zuwachs und Entwicklung.“[2]

» Und das Wort ist Fleisch geworden
und hat unter uns gewohnt.
Und wir haben seine Herrlichkeit geschaut. «
Joh 1,14

Los geht’s!

So gesehen kann ich auch in sieben Tagen dreimal das gleiche Evangelium hören. Mich nicht nur zurückschicken lassen auf ein „Los“, sondern mir diesen Platz, das neue „Los“ schenken lassen, als Anfang und als Los, das hoffentlich keine Niete ist. Von dem Platz aus, auf dem ich jetzt stehe, wissen, was ich hinter mir lasse, mich ausrichten nach vorne, Gottes Angesicht (was immer es ist, ich weiß nur, es schenkt mir Frieden) suchen, und dann losgehen, ins neue Jahr hinein. Einen guten Weg Ihnen!

Amen.

Köln 01.01.2022
Harald Klein

[1] Hesse, Herman (1971): Mein Glaube, hrsg. von Siegfried Unseld, Frankfurt/Main, 11, urspr. in Wieland 3,1917/18, Heft 7, S. 8ff.

[2] Hesse, Herman (1971): Mein Glaube, hrsg. von Siegfried Unseld, Frankfurt/Main, 61.