Gebetshilfen aus der Schrift – „Warum habt ihr solche Angst?“ (Mk 4,40)

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Die Erzählung vom Sturm auf dem See

Die Evangelisten sind Künstler. Wie ein Komponist seine Motette oder seine Kantate, so „komponieren“ Matthäus, Markus, Lukas und Johannes ihre Darstellung vom Leben und Wirken, vom Sterben und Auferstehen in einer Weise, die erst bei genauem Hinsehen ihre Schönheit zeigt, ähnlich wie beim genauen Hinhören auf eine Motette oder eine Kantate.

Die Erzählung vom Sturm auf dem See in Mk 4,35-41 birgt ein solches kompositorisches Geheimnis, das sich erst beim genauen Hinsehen offenbart. Sie stellt einen „Wandel“ dar, die „Themen“ ändern sich. Vorher, so hat es Markus in Mk 4,1-24 hineinkomponiert, steht eine Gleichnisrede. Vom Sämann ist die Rede, von der selbstwachsenden Saat und vom Senfkorn. Jesus spricht zur Menge, und sie Menschen hören zu. Hier geht es ums Wort, hier geht es nur um Worte und deren Verstehen.

Dann – in Mk 4,35-41, nimmt er seine Jünger, steigt mit ihnen ins Boot, um an das andere Ufer zu fahren. Was dann geschieht ist bekannt: Der Sturm zieht auf, das Boot schwankt, die Wellen überborden, Jesus schläft hinten im Boot, die Jünger sorgen sich, dass sie zugrunde gehen. Und Jesus steht auf, gebietet dem Sturm, und es kehrt völlige Stille ein. Und dann sein Wort: „Warum habt ihr solche Angst? Habt Ihr noch keinen Glauben?“ Und die Jünger sind erneut von einer Furcht ergriffen: „Was ist das für ein Mensch, dass ihm sogar der Wind und der See gehorchen?“

Zum Wort Jesu – erinnern Sie sich an die Gleichnisrede – kommt jetzt das Erleben, kommt jetzt die Erfahrung dazu. Die Jünger hören nicht Worte Jesu, sie erfahren auch, was sie bewirken.

Mit der Erzählung vom Sturm auf dem See endet das vierte Kapitel, und ins fünfte Kapitel komponiert Markus dann das Austreiben des Dämons beim Besessenen von Gerasa, die Heilung der blutflüssigen Frau und die Auferweckung der Tochter des Jairus. Jetzt hören auch andere nicht nur die Worte Jesu, sie erleben und erfahren auch, was sie bewirken.

Mit Jesus in einem Boot sitzen…

Was mag sich Markus bei der Komposition dieses vierten und fünften Kapitels gedacht haben? Vielleicht ist dieser Wechsel vom bloßen Hören der Menge zum Hören undErleben derer, die mit Jesus „in einem Boot sitzen“ und die sich schon an ihn gebunden haben, nur Zufall sein. Ich glaube das nicht. Ich glaube viel eher, dass nur die, die sich mehr und mehr an Jesus binden, die Wirkmächtigkeit seiner Worte erfahren können. „Die Spiritualität unserer Gemeinschaft hat ihre Mitte in Christus und die Teilhabe an Seinem Leben, Seinem Kreuz und Seiner Auferstehung“, heißt es in unseren Allgemeinen Grundsätzen (vgl. AG 5). Hier wäre eine erste Hilfe zum Gebet mitten in einer sich wandelnden Gesellschaft, in der ich mich wie im Boot auf der stürmischen See sehen kann. Ich schaue mir meinen Alltag an, die Menschen, mit denen ich meinen Alltag teile, die Weisen, wie wir kommunizieren, wie wir teilnehmen am Leben der anderen. Ich nehme die Stürme wahr, die mich in der kleinen Welt um mich herum und in der großen Welt der Gesellschaft, der Politik, der Wirtschaft hin- und herwerfen. Ich halte das Schwanken des Bootes aus, in dem ich sitze. Ich nehme die um mich herum, vielleicht mich selbst wahr, wie ihnen, wie mir das Wasser bis zum Hals steht. Ich nehme wahr, wie das eine oder das andere zu versinken droht. Wo, bei wem halte ich inne, um von Angst berührt rufen möchte: „Herr, kümmert es Dich nicht…?“ Und ich höre, nahe bei IHM, sein Wort: „Warum hast Du solche Angst? Hast Du noch keinen Glauben?“

Den stürmischen Wandel wahrnehmen…

Jetzt beginnt das Zusammenspiel von Hören undErfahren, und zwar mit der bloßen Wahrnehmung dessen, was ist. Das Hinschauen der Jünger auf die dunklen Wolken, auf die aufgewühlte See, damit beginnt dieses Zusammenspiel. Und dann folgen die „kalten Füße“, die die Jünger im Wasser bekommen, und die Angst, die ihr Herz umgreift und ihr Handeln bestimmt, bis dahin, dass sie Angst haben, ihr Leben gehe zugrunde. Die eigene Kraft reicht nicht aus, das Vertrauen auf das eigene Können zerbricht in dieser stürmischen Situation. Wohin mit dem, was sich da ereignet?

Damit Furcht nicht das letzte Wort behält…

Der zweite Schritt: Die Jünger wecken Jesus aus dem Schlaf. Im Ps 44, 27 heißt es: „Steh auf und hilf uns! In Deiner Huld erlöse uns!“ Es ist ja nicht so, dass das Gebet im stürmischen Wandel der Gesellschaft uns die Furcht einfach nehmen würde. Aber zur Furcht tritt für die, die mit Jesus in einem Boot sitzen, das Vertrauen hinzu, dass ER diese Situation mit aushalten will. Ps 121,4 erinnert daran: „Nein, der Hüter Israels schläft und schlummert nicht.“ Die Furcht wird vielleicht nicht genommen, aber sie kann entmachtet werden. Die Jünger hören nicht nur Jesu Drohung an en Wind und sein „Schweig, sei still“ zur See, sie erleben auch, dass „völlige Stille“ eintrat. Dieses Erleben setzt Vertrauen in Jesus voraus – und da sollten die Jünger, die mit Jesus in einem Boot sitzen, die sich auf ihn eingelassen haben, auf die ER sich eingelassen hat, weiter sein als die Menge, die vorher noch am Ufer stand und „nur“ seine Worte über das Reich Gottes gehört haben. Wenn die Welt um mich herum verrückt spielt, ist meine einzige Rettung, selbst klar zu bleiben, mich um Klarheit zu mühen im Vertrauen auf den, der wieder „völlige Stille“ einkehren lassen kann.

Ich lasse mich von Jesus fragen…

Für eine persönliche Gebetszeit, auch für das Gebet in der Gruppe kann es hilfreich sein, sich von der Komposition des Markus leiten zu lassen.

Ein erster Schritt könnte sein, die „Stürme“ beim Namen zu nennen; für sich, in der Gruppe benennen, was mir Angst macht, welcher Bedrohung ich mich ausgesetzt sehe, welche Veränderungen ich sehe und welche Folgen ich durch sie für mich und die Meinen befürchte.

Im zweiten Schritt kann wahrgenommen, beschrieben werden, wie das „Boot“ meines Lebens ins Schwanken gerät, wie es sich langsam, aber sicher „mit Wasser füllt“. Wie empfinde ich, wie empfinden wir die Angst, die Sorge, die sich breit macht und mehr und mehr Raum gewinnt in meinem, in unserem Leben?

Der dritte Schritt: Sich daran erinnern, dass ich, das wir mit Jesus in einem Boot sitzen. IHN wecken, und mit IHM auf den Wind hören, auf die See schauen. Was mag sich wandeln? Der Wind? Der See? Meine Angst und unsere Furcht? „Was ist das für ein Mensch, dass ihm sogar der Wind und der See gehorchen?“

Und dann der Komposition des Markus folgen: Wenn das Boot am anderen Ufer anlegt, mit IHM gehen, IHN neu hören und erleben, erfahren, wie ER Dämonen austreibt, Kranke heilt und Tote auferweckt. Das soll die Sendung der Jünger werden, das soll unsere Sendung sein, zusammen mit IHM

 

Harald Klein, Köln,
*1961, Priester und Sozialpädagoge
mit Schwerpunkt „Spiritualität für Soziale Arbeit“
Gebundenes Mitglied in der GCL