Ab- und Einschalten haben ihre Zeit

  • Beiträge im Werkheft der GCL
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Sich selbst optimieren wollen

„… und der ich bin grüßt trauernd den, der ich könnte seyn“ – vom deutschen Dichter Friedrich Hebbel (1813-1863) ist dieses Wort überliefert, das als Motto der „Selbstoptimierer“ dienen könnte. Der Begriff spricht für sich, scheint keine Erklärung zu brauchen. Es geht den „Selbstoptimierern“ darum, sich selbst mit allen möglichen Hilfen zu dem zu machen, der sie in ihrer Vorstellung von sich selbst gerne wären. Der Abschied von einer traurig stimmenden Realität des „Selbst“ wird eingeläutet durch ein strahlendes Bild des Selbst, das von der Zukunft her winkt und lockt.

Die erste große und bedenkenswerte Versuchung liegt in dem „mit allen möglichen Hilfen“. Und ebenso kritisch zu bedenken ist das „strahlende Bild“ des Selbst, zu dem sich der Selbstoptimierer entwickeln möchte.

„Hilfen“ zur Selbstoptimierung

Einige Beispiele mögen dies illustrieren. Ein gegen- wärtiger Trend ist das sogenannte „Self-Tracking“: eine Armbanduhr zeigt nicht nur die Zeit, sie misst die Herzfrequenz, zählt Schritte und Stockwerke, verrechnet Intensivminuten und passt das Ganze der täglich aufgenommenen und verbrauchten Kalorienzahl an. Der Schlaf wird von dieser Uhr vermessen, Tiefschlaf, unruhiger Schlaf und Wachzeiten werden festgehalten, Trainingszeiten im Fitness-Studio oder beim Joggen werden verrechnet.

Früher selbst großer Gegner dieses Armbandes, bin ich nun großer Freund davon geworden, zeigt es mir doch schwarz auf weiß Trainingserfolge, Gewichtsverluste, schlechte Essgewohnheiten, mahnt es mich doch zu mehr Ruhe und längerem Schlafen, um gesund zu bleiben. Bis hierher ist es für mich ein Weg vom Guten (oder manchmal auch Fragwürdigen) zum Besseren.

Wenn Ignatius (in EB 210-216) davon spricht, sich beim Essen neu zu „ordnen“, mag er eine Indifferenz zu den leiblichen Genüssen im Blick gehabt haben, vielleicht auch eine innere Freiheit einem der Überlebenstriebegegenüber. Und er gibt damit das Ziel an, dem auch das „Self-Tracking“ dienen könnte: eben diese innere Freiheit.

Gezwungen oder eingeladen zur Selbstoptimierung?

Problematisch wird diese Methode dann, wenn sie in Zwänge führt. Fraglich ist, ob ein solches Armband und sein Gebrauch noch Raum für „Genuss“ lässt. Und noch problematischer wird es, wenn die gesammelten Daten – auf einer In- ternetseite werden sie zum persönlichen (?) Vergleich eingegeben – als Grundlage für Krankenkassen und deren Beitragshöhe dienen. In den USA ist diese Praxis üblich, in Deutschland seit 2016 von einer Versicherung bereits eingeführt. Was geht es meine Krankenkasse an, wie ich lebe, mich bewege und welchen Sport ich wann mache oder nicht? Wie viel Freiheit bin ich bereit auf- oder abzugeben, und für welchen Preis? Beim „Self-Tracking“, bei der Selbstvermessung der eigenen Gewohnheiten wird schnell deutlich, was ebenfalls zum ignatianischen Grundwissen gehört: Die Dinge sind für sich indifferent, der Gebrauch erst gibt ihnen einen Wert bzw. einen Unwert. Dient die Vermessung meiner selbst, meiner Gesundheit, meinem Wohlbefinden – oder winkt der, der ich sein könnte, dem, der ich bin? Der Grat ist für den mit dem Schöpfer in Kontakt stehenden Menschen schmal. Schaffe ich mich selbst neu? – Ist es ein Ruf meines Schöpfers, mich von diesem Idealbild locken und rufen zu lassen? Wer verspricht mit welchen Mitteln hier welchen Gewinn? Und wem gebe ich was von mir, über mich preis? Und dahinter die Frage: wer, wie möchte ich in Zukunft sein?

Meine Daten – und die Privatsphäre

Ein zweites und eher alltägliches Beispiel: Die unüberlegte Selbstverständlichkeit, mit Daten im Netz umzugehen. Spätestens seit der Mitarbeit in der „AG Homepage“ in der GCL ist mir deutlich geworden, dass jeder Besuch auf einer Homepage unweigerlich zurückführbar ist auf mich, den Besucher. Erkennbar ist, aus welcher Region ich die Seite aufrufe, welcher Altersgruppe oder welchem Geschlecht ich zugehörig bin. Es gehört zum Alltagswissen der Netz-Community, dass jede Suchanfrage gespeichert wird und nachprüfbar ist, dass jeder Online- Einkauf, schon jede Produktsuche gespeichert wird und mich zu einem potentiellen „gläsernen“ Kunden macht. Es ist unglaublich einfach, Bücher, Fahrkarten und ganze Ferienreisen online zu kaufen – nicht bedacht wird oft, wer dann alles von meinen Interessen in Kenntnis gesetzt wird. Es darf den Online-Käufer nicht wundern, wenn plötzlich ein Weinversand mich bewirbt, oder wenn Arznei- firmen unaufgefordert mir ihre neuen Produkte gegen Rückenschmerzen in Kostproben zuschicken – um zwei eher harmlose Beispiele zu nennen. Mitt- lerweile gibt es kostenlose Werbeblocker (z.B. www.adblockplus.org) oder Suchmaschinen, die auf das Sammeln persönlicher Informationen verzichten (z.B. www.duckduckgo.com). Es scheint doch auch eine Ethik im Netz zu geben, die darauf achtet, dass der „User“ nicht nur „potentieller Kunde“ ist und die Dienstleitungen auch ohne oder mit geringer Preisgabe persönlicher Daten anbietet.

Einmal umgekehrt: „Der, der ich sein könnte, grüßt trauernd (?) den, der ich bin.“

Mit Blick auf unseren Themenschwerpunkt „Zukunft“ und unter dem Stichwort „Selbstoptimierung“ scheint sich das vorangestellte Bonmot Friedrich Hebbels umzudrehen: das Wort heißt jetzt „Der, der ich sein könnte, grüßt trauernd den, der ich bin“. Und aus „werbender“ Sicht scheint zu gelten: „Das, was ich haben könnte, grüßt trauernd (nur) das, was ich besitze“. Die kritische Frage zum Umgang mit den Medien, auf meine Zukunft hin bedacht, lautet: „Was führt wirklich vom Guten zum Besseren?“ Welchen Preis bin ich bereit zu zahlen, um mich, meine Beziehungen, mein Arbeiten selbst, aus eigener Kraft und mit den medial angebotenen Hilfsmitteln zu optimieren? Ein kritischer Einsatz ist hilfreich. Aus der ignatianischen Spiritualität heraus ist sicher der zweite Teil der Überschrift die erste kritische Frage: führt der Gebrauch dieses Angebotes wirklich vom Guten zum Besseren? Und es schließt sich die Frage nach dem ignatianischen „magis“ an: führt das, was ich selbst optimieren will, wirklich zu einem tieferen „Mehr“ an Leben und Lebendigkeit, ermöglicht es ein „Mehr“ an wirklicher Freiheit, oder zieht es Zwänge nach sich, die eher hindern? Persönliche Preisgabe des Privaten, die dann „öffentlich“ und „benutz- bar“, wenn nicht sogar „ausnutzbar“ werden.

Für das Gespräch in der Gruppe

Für die Gruppe kann es hilfreich sein, sich über eingeschliffene Gewohnheiten im Gebrauch des Internet und des Smartphones Rechenschaft zu geben, gemeinsam zu überprüfen, wie groß das „magis“ wirklich ist. Mir hilft das Korrektiv, das ich in unserer „Viererbande“, zu der neben mir drei junge Leuten aus meinem Freundeskreis gehören, finde. Dass eine davon Journalistin für den Verbraucher- schutz ist, macht es einfach, um über Hintergründe und Gefahren informiert zu sein, die ein unbedachter, unkritischer Gebrauch der „Optimierungs-Angebote“ des Internets mit sich bringen. Ein Besuch der Seite des Datenschutzes www.datenschutzbeauftragter-info.de kann hier aber auch hilfreich sein, um sich und sein vielleicht nicht immer optimiertes Leben zu schützen.

Vielleicht wird – aus ignatianischer Spiritualität her- aus – es ja so sein, dass ich Hebbel abwandle zu: „Der, der ich bin, grüßt freudig den, der mich so geschaffen hat und mich weiter formt, wie es ihm gefällt.“

Harald Klein, Köln

Literatur

www.qsdeutschland.de – ein Zusammenschluss von Menschen in Deutschland, die sich selbst „vermessen“.

Engler, Marina: Gläserner Versicherungskunde. Mit Self-Tracking den eigenen Körper vermessen, veröffentlich auf der WISO-Monats-CD im Juni 2015.