Aufgrund des Glaubens…

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Einstimmung auf die Lesung aus dem Hebräerbrief

Nicht, dass Sie denken, ich würde die Gottesdienstordnung außer Kraft setzen wollen – aber mir scheint es sinnvoll, den ersten Teil der Predigt vor der Lesung zu halten, eben als Einstimmung auf die Lesung aus dem Hebräerbrief. Ich habe Ihnen aus Köln drei Fragen mitgebracht, und die erste Frage gehört einfach vor die Lesung.

Beim Zeltgottesdienst traue ich mich, Sie als erstes einmal danach zu fragen, warum Sie eigentlich hier sind. Warum sind Sie gekommen? Was ist es, dass Sie hat aufbrechen lassen, aus Ihren Wohnorten, aus den Kursen hier im Haus? Geben Sie sich einmal kurz Rechenschaft, Antwort auf diese Frage – und wenn Sie mögen, lassen Sie uns teilhaben an Ihren Antworten. Und dann hören Sie gut zu, was der Verfasser des Hebräerbriefes den Juden in der ägyptischen Diaspora als Antwort anbietet, warum sie ihrem Glauben treu bleiben sollen. (Es folgt die Lesung aus dem Hebräerbrief.)

„Aufgrund des Glaubens…“ – oder: Was „Glaube“ bedeutet

Vom Evangelium erst einmal zurück zur Lesung. Haben Sie gehört, was der Verfasser des Hebräerbriefs als Grund für so verrückte Sachen wie „die Heimat verlassen“ (Abraham) oder so eine verrückte Hoffnung auf ein „verheißenes Land“ (Abrahams Sippe) oder auf eine Empfängnis trotz Unfruchtbarkeit (Sara) anbietet? Aufgrund des Glaubens! In den sieben Versen der Lesung wird dieses „aufgrund des Glaubens“ viermal genannt. Und jetzt mal ehrlich: Wer von Ihnen könnte sagen „aufgrund seines oder ihres Glaubens“ seien Sie heute hier? Oder anders: Trägt unser, trägt Ihr Glaube weiter als von zu Hause bis in dieses Zelt? Wie weit trägt er? Wäre da „die Heimat verlassen“ oder die Hoffnung wider alle Erfahrung mit dabei?

Die neue Einheitsübersetzung erklärt Glaube mit „Grundlage dessen, was man erhofft, ein Zutagetreten von Tatsachen, die man nicht sieht.“ In der alten Einheitsübersetzung hieß es: „Glaube ist Feststehen in dem, was man erhofft, Überzeugtsein von Dingen, die man nicht sieht.“ Das finde ich griffiger.

Feststehen in dem, was man erhofft. Dazu braucht es einen Grund, der tragfähig ist. Und das hängt sehr mit dem eigenen Gottesbild zusammen – ist Gott doch der Grund des Glaubens, im doppelten Sinne des Wortes. Das ist die zweite Frage: Wie denken Sie über Gott? Was für ein Gottesbild haben Sie? Da könnte man hier ein ganzes Wochenende und mehr mit verbringen – ich biete Ihnen zwei Unterscheidungen an, die ich zum einen Eugen Drewermann und zum anderen Richard Rohr verdanke.

Drewermann schreibt: „Für das gesamte deuteronomistische Geschichtswerk, wie es im 6. Jh. v. Chr. entwickelt wurde, ist Gott wesentlich der Gesetzgeber, die Rechtsquelle des Zusammenlebens, – modern ausgedrückt: der ideologische Überbau der bürgerlichen Ordnung und Eigentumsverteilung. Es bedurfte bereits der Erschütterungen des Propheten Jeremias, der von der ‚Theologie‘ des Bundes am Sinai ausging, um Gott noch einmal ganz anders zu entdecken: nicht länger als Gesetzgeber und Richter, sondern als Vergebenden, als Suchenden, als Weggeleitenden. Im Sinne der Vision des Jeremia von dem Neuen Bunde sind für Jesus alle Gesetze wie Bäume ohne Wurzeln, als das menschliche Herz nicht zuvörderst zu Ruhe und Einheit gefunden hat.“[1] Mit anderen Worten: Wenn Sie hier sind, weil Gott Ihnen Gesetzgeber ist, es sich gehört, weil man es so macht am Sonntag, weil es eben ein Sonntagsgebot gibt, dann gibt Ihnen dieser Glaube Struktur, Ordnung – aber lässt dieser Glaube Sie aufbrechen, neue Heimat suchen, hoffen trotz augenscheinlicher Hoffnungslosigkeit? Das ist nicht schlimm, ich verbreite keine Schelte, aber ich möchte Ihnen mehr wünschen, nämlich die Begegnung mit einem Gott, der, so Drewermann, Vergebender, Suchender, Wegbegleitender ist.

Richard Rohr bringt das in einem Buch über Franz von Assisi auf den Punkt: „Die häufigste Versuchung für uns alle besteht darin, dass wir die Zugehörigkeit zur richtigen Gruppe und das Praktizieren der richtigen Rituale als Ersatz für jede persönliche, lebensverändernde Begegnung mit dem Göttlichen benutzen.“[2] Mit anderen Worten: Praktizierter Glaube ist nicht in erster Linie das Praktizieren von richtigen Ritualen, die Zugehörigkeit zu einer Gemeinde oder zur Kirche, sondern das Hoffen im Alltag, das gedeutete Erleben von Alltag, in dem sich mir Gott als Vergebender, als Suchender und als Wegbegleitender zeigt.

Es geht im Glauben nicht zuerst um Rituale und Praktiken, um das Aufstehen und Niederknien zur rechten Zeit, um die Kenntnis von Rosenkranz und Vaterunser. Es geht im Glauben zuerst um Mystik, d.h. um „experimentelles Wissen spiritueller Dinge, im Gegensatz zum Wissen aus Büchern, aus zweiter Hand oder aus der kirchlichen Lehre.“[3]

Glauben lernen…

Die erste Frage war: Warum sind Sie hier? Die zweite Frage lautete: Wie denken Sie über Gott? Oder: Was für ein Gottesbild haben Sie? Die dritte und letzte Frage: Wie kann man Glauben lernen? Oder klein geschrieben: Wie kann man glauben lernen?

Das hängt wieder am Gottesbild, das in Ihnen groß geworden ist oder mit dem Sie groß geworden sind. Nehmen Sie Drewermanns Gesetzgeber-Gott als den Garanten für eine bürgerliche Ordnung. Dann lernen Sie die Zahn Gebote, feiern die Sakramente, befolgen die Kirchengebote und sind Teil einer Kirche, die vor allem ein System der Zugehörigkeit darstellt. Kirche hat dann einen festen Ort, im Sonntagsgottesdienst, im Tischgebet, zur Hochzeit, zur Taufe, zur Beerdigung. Das ist nicht Schlimmes, es kann Heimat geben, man findet Vertraute, die ähnlich denken und handeln.

Aber das ist nicht alles. Und jetzt kommt das Evangelium ins Spiel. Neben dem festen Ort und der festen Zeit kommt jetzt das Wort von der Wachsamkeit und von der Bereitschaft. Gott ist lange nicht nur, wenn überhaupt, Gesetzgeber. Er ist Vergebender, Suchender, Wegbegleitender. Und nicht die Kirche, auch nicht die Zeltkirche, nicht das Ritual und die religiösen Praktiken sind der primäre Ort der Begegnung mit Gott, sondern der Alltag! „Seid wie Menschen, die auf den Herrn warten, der von einer Hochzeit zurückkehrt, damit sie ihm sogleich öffnen, wenn er kommt und anklopft.“

Das ist die Mystik des Alltags, von der Richard Rohr spricht. Es geht ums Ausprobieren, es geht um experimentelles Wissen spiritueller Erfahrung. Ganz wach sein in der Frage des Partners, der Partnerin, ganz wach sein in dem, was in Ihrer Familie und im Freundeskreis geschieht, ganz wach sein für das, was ein Wochenende hier im Bonifatiushaus in Ihnen auslöst, weil der Herr da bei Ihnen anklopft. Und fest darauf vertrauen, dass Ihnen da Gott selbst als Vergebender, als Suchender, als Wegbegleitender begegnet.

Und dann sagen können: „Aufgrund meiner Hoffnung, aufgrund meines Vertrauens, aufgrund meines Glaubens mache ich dies und lasse ich jenes.

Die drei Fragen: Warum sind Sie hier? Wie denken Sie über Gott bzw. welches Gottesbild haben Sie? Wie kann man Glauben lernen bzw. wie kann man glauben lernen? Paulus gibt im Ersten Korintherbrief eine schöne Antwort, von der ich annehme, dass Sie sie alle kennen: „Für jetzt bleiben Glauben, Hoffnung und Liebe, diese drei. Doch am größten unter ihnen ist die Liebe“ (1 Kor 13,13). Und Augustinus sagt: „Liebe, und tue, was Du willst.“

Der Liebe keine Grenzen setzen – so könnten Sie das „Aufgrund des Glaubens…“ gut in Ihren Alltag übersetzen. Liebt, und tut, was ihr wollt.

Amen.

Köln 11.08.2019
Harald Klein

[1]Drewermann, Eugen (2009): Das Lukasevangelium, Band 2, Düsseldorf, 36.

[2]Rohr, Richard (2014): Die Liebe leben. Was Franz von Assisi anders machte, Freiburg, 21f.

[3]Rohr, Richard (2014): Die Liebe leben. Was Franz von Assisi anders machte, Freiburg, 18.