Bartimäus wirft den Mantel weg

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Die Wette mit einer Ordensschwester

Freitag und Samstag habe ich einen Einkehrtag mit den Einrichtungsleiter*innen sowie deren Stellvertreter*innen sowie der Geschäftsführung der Kölner Vinzentinerinnen leiten dürfen. Am Abend saßen wir gemütlich beisammen, und ich sage zur Hausoberin, dass ich mich sehr auf die Predigt freue, auf die schöne Stelle, in der der blinde Bartimäus auf den Ruf Jesu hin aufspringt, seinen Mantel wegwirft und Jesus entgegeneilt. Da gäbe es nicht, sagte sie, und wir wetteten um ein Kölsch. Beim Frühstück am Samstag kamen wir nochmal drauf, und da sagte sie mir zu Recht, bei Lukas und bei Matthäus käme das aber nicht vor. Ich habe dann auf mein Kölsch verzichtet – aber die Frage bleibt: wieso erzählt Markus, der kürzeste und wortkargste der Evangelisten hier, dass der blinde Bartimäus, erst von allen gehindert, dann von Jesus gerufen, seinen Mantel wegwirft, aufspringt und auf Jesus zuläuft?

Sich die Bühne bereiten

Schlüpfen Sie doch einmal in die Rolle des Bartimäus hinein – das Bild der Skulptur „Verschleierter Bettler“ von Ernst Barlach aus dem Jahr 1919 kann Ihnen vielleicht eine Hilfe sein. Schlürfen Sie in die Rolle des blinden Bettlers, dessen Leben sich nur noch am Rande der Straße abspielt, dort sitzend, um Almosen bettelnd. In die Rolle eines Menschen, dessen einziger Ruf nur noch ist: „Hab Erbarmen mit mir!“ Und um Sie herum das ganze Jungvolk, die Geschäftsleute und Gewinner der Gesellschaft, denen der Anblick Ihrer Person schon zu viel ist, geschweige denn erst Ihr Rufen, und die Art, wie Sie sich bemerkbar machen. Aber Sie lassen nicht locker und machen auf sich aufmerksam. Den einen mag es schon penetrant erscheinen, aber Sie bleiben dabei. Sie wollen auf Gedeih und Verderb mit diesem Jesus in Kontakt kommen. Jesus wendet sich aber nicht an Sie, sondern an die, die sich durch Sie gestört zeigen. „Ruft ihn her!“ Und da wendet sich das Blatt – es ist schon fast zu schön, um wahr zu sein. Die Gestörten rufen Sie jetzt an: „Hab nur Mut, steh auf, er ruft Dich!“ Das lassen Sie sich mal in der Predigt heute von mir gesagt sein, ein jeder und eine jede von Ihnen: „Hab nur Mut, steh auf, er ruft Dich!“

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Die verschiedenen Mäntel

Was jetzt? Du bist gemeint! Sie sind gemeint! Hab nur Mut, er ruft Dich. Schauen Sie sich mal selbst zu, wie Sie dann reagieren – auf der Bühne, die Sie sich bereitet haben. Markus erzählt von Bartimäus: „Da war er seinen Mantel weg, sprang auf und lief auf Jesus zu.“ Ein Bettler, der seinen Mantel wegwirft. Vielleicht den einzigen, den er hat, der ihm Wärme und Schutz gibt.

Wenn ich mir diese Bühne bereite, dann male ich mir die Mäntel aus, die mir schwer auf den Schultern liegen, die es mir schwer machen, aufzuspringen und mich ganz diesem Jesus anzuvertrauen. Fünf Mäntel fallen mir ein, die mir Schutz und Wärme verheißen, die aber letztlich zur Last werden. Ich nehme sie aus der Psychologie, aus der Transaktionsanalyse. Hier werden innere Glaubenssätze beschrieben, die wie ein Dogma auf meinem Leben, auf meinem Bewerten, auf meinem Unterscheiden und Entscheiden liegen, so stark, dass ich sie völlig verinnerlicht habe. Oft sind sie Ergebnisse der Erziehung, sei es durch Eltern oder anderer Autoritäten, sei es durch mich selbst. Wenn ich einen dieser Mäntel anlege, dann bin ich wer, dann darf ich sein und bin ok, bin in den Augen der Menschen in Ordnung. Dann muss ich kein Dasein am Straßenrand des Lebens fristen. Die fünf Mäntel haben fünf Farben.

Das „Sei perfekt!“ kann mich ummanteln. Oder das „Sei schnell!“. „Sei stark!“ ist die Farbe des dritten Mantels, „Sei gefällig!“ die des vierten und „Streng dich an!“ die des fünften Mantels. Ich kenne meinen, und ehrlich gesagt, tendiere ich zu mindestens zwei Mänteln, die im Kleiderschrank meines Lebens hängen – das stimmt aber so nicht ganz, meistens liegen sie mir auf den Schultern. Und das ist das Problem! Eigentlich versprechen sie mir ja Schutz, Wärme, einen Platz auf der Straße des Lebens. Aber wenn ich ehrlich bin, machen sie mich letztlich blind für meinen wirklichen Wesenskern. Was bleibt von mir, wenn ich nicht perfekt, nicht schnell, nicht stark, nicht gefällig bin und nicht ständig angestrengt mit dem Leben kämpfe?

Den Mantel wegwerfen

Bartimäus hat das – zumindest in der Schilderung des Markusevangeliums – erkannt. Der Mantel mag schützen, aber für die Begegnung mit Jesus, da hindert er. Das ist für mich Begegnung mit Jesus, und das ist für mich Begegnung mit Menschen, die im Geist Jesu unterwegs sind: Ich darf, ich muss sogar meinen Mantel wegwerfen, um zu diesem Jesus zu kommen, um von ihm die Augengeöffnet zu bekommen für das Leben. Wie wohltuend, wie heilsam ist es, sich ein Stück Leben schenken zu können, in dem es nicht darauf ankommt, perfekt sein zu müssen, oder schnell, oder stark, oder gefällig oder mich nicht anstrengen zu müssen. Lassen Sie sich das von Jesus sagen, heute. Gehen Sie nachher, in der Kommunion, diesem Jesus entgegen ohne Ihren „Mantel“, und folgen Sie ihm so auf seinem Weg, wie es Bartimäus getan hat.

Amen.

Harald Klein, Köln

P.S.: Diese Predigt ist denen versprochen, mit denen ich an diesem Wochenende den Einkehrt gestalten durfte: Den Dienststellenleiter*innen und ihren Stellvertretungen sowie der Geschäftsführung der Einrichtungen der Kölner Vinzentinerinnen. Das wäre ein „Mehr“ an vinzentinischer und ignatianischer Spiritualität, wenn es immer wieder Gelegenheit gibt, unsere Mäntel wegzuwerfen, da, wo wir und wo Sie miteinander und füreinander unterwegs sind.