„Ich will euch Zukunft und Hoffnung geben“ (Jer 29,11)

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Zukunft und Hoffnung gehören im Glauben zusammen

Die beiden Fragen nach „Zukunft“ und „Hoffnung“ gehören für Israel während des babylonischen Exils unweigerlich zusammen. Nicht, dass es von Anfang an so gewesen wäre, aber ein langer Weg des Gebets und der Unterstützung durch den Propheten Jeremia haben Israel erkennen lassen: Gott ist ein Gott des Heils, des Friedens, und er spricht selbst in der Dunkelheit der Gefangenschaft Israel eine Zukunft und eine Hoffnung zu.

Wie mag es mit Ihnen stehen. oder mit denen, die mit Ihnen in einer Gruppe sind. Klingt da bei „Zukunft“ auch „Hoffnung“ mit? Und meint „Zukunft“ das Morgen, das kommende Jahr oder das Leben nach dem Tod? Hier sollen einige Hilfen vorgelegt werden, sich mit dieser Frage nach „Zukunft“ und „Hoffnung“ im Austausch auseinanderzusetzen.

Erstes Treffen: Auf die Zukunft hin leben

Ein erstes Treffen nimmt die „Zukunft“ von der Gegenwart aus in den Blick. Als Einstiegsimpuls dient eine Punktbewertung. Aufgelistet sind die Lebensfelder, in denen ich stehe: „Ich selbst“ – „meine Partnerschaft/engen Beziehungen“ – „mein Beten“ – „meine freie Zeit“ – „mein Arbeiten“. Welche „Schulnote“ kommt einer realistischen „Bewertung“ nahe? Im Austausch miteinander können die Lebensfelder und ihre gegenwärtige Bewertung mitgeteilt werden.

Eine Frage aus der systemischen Tradition schließt sich an: suche Dir eines der Lebensfelder aus – was müsste passieren, damit die Bewertung um eine Note nach oben rutschen würde? Woran würdest Du festmachen, dass z.B. „Arbeit“ von einer Drei auf eine Zwei gerutscht ist? – Ein zweiter Anhörkreis schließt sich an.

Nun geht es um ein entscheidendes Umdenken. In einer Zeit, in der die Selbstoptimierung boomt, kann mit der Frage gerechnet werden: was musst Du tun, damit sich dieser Fortschritt einstellt? Dieser Schritt mag zur Veränderung vom guten zum Besseren hin motivieren. Er übersieht aber leicht die persönlichen Grenzen, die mir gesetzt sind. Die Gefahr der „Entgrenzung“ ist dann gegeben, wenn die Meinung vorliegt, ein „noch mehr“, „noch schneller“, „noch besser“ könne mich, mein Leben, meine Zukunft „optimieren“. Es gilt an diesem Punkt klug zu unterscheiden.

Der Tübinger Philosoph Rainer Funk, Schüler und Nachlassverwalter von Erich Fromm und Herausgeber von dessen Schriften, warnt eindrücklich vor den Versuchen des Menschen, sich selbst entgrenzen zu wollen oder auf eine Aufhebung von Grenzen zu hoffen. Seine These lautet: ein Leben ohne Grenzen macht nicht frei, sondern abhängig. M.a.W.: auf eine gelingende Zukunft hin zu leben, von einer gelungenen Zukunft her zu hoffen, kann für uns Menschen nicht „Entgrenzung“ heißen, sondern im Gegenteil in den uns gesetzten Grenzen in tiefer Verbundenheit mit Christus zu leben.

Rainer Funk beschreibt einige Versuche, sich durch „Entgrenzung“ den Himmel auf Erden mehr selbst zu schaffen. Er nennt

  • die „Entgrenzung der eigenen Wirklichkeit“: ich phantasiere ein Idealbild meiner selbst, dem ich mit immer neuen Methoden und Wegen hinterherjage, um den Grenzen, die mir gesetzt sind, zu entfliehen;
  • die „Entgrenzung der Beziehungen“: sie zeigt sich vor allem in den sozialen Netzwerken, aber auch im ganz normalen Alltag werden die „Kontakte“ mit „Beziehungen“ und „Likes“ mit „Feedback“ verwechselt; nicht die Anzahl der Menge an Menschen, die ich kenne, sondern die Tiefe zu einigen wenigen Menschen verspricht Zukunft;
  • die „Entgrenzung der Arbeit“: sie zeigt sich darin, dass Arbeitsplatz und Lebensort z.B. durch den Laptop und eine immer gewährte Erreichbarkeit verschwimmen. Man kann sein Büro mit nach Hause nehmen, dem Arbeiten werden so kaum noch Grenzen gesetzt; nicht die Menge des bearbeiteten Stoffes, sondern das Erkennen der Zusammenhänge und das Verbundensein mit dem, was ich tue, verheißt Zukunft;
  • die „Entgrenzung der Realität“: hier ist vor allem an Konsum von Rauschmitteln und Medien zu denken; anstatt sich mit der eigenen Realität des Alltags konstruktiv auseinanderzusetzen, findet das Leben (Mit-) in Soap-Operas des Fernsehens statt; das Leben und die Menschen der „Lindenstraße“ nimmt mehr Raum ein als das Leben und die Menschen im eigenen Wohnblock.

Es bedarf, so Funk, einer Realitätsüberprüfung in all diesen Bereichen, um dann die Realität (in) der Gegenwart zu einem Sprungbrett in die Zukunft nehmen zu können. Hier kann Gruppe helfen.

Zweites Treffen: Von der Zukunft her leben

Das zweite Treffen kann die Zukunft in den Blick nehmen, von der her ich lebe.

Betend spricht Vinzenz Pallotti von der unendlichen Liebe und Güte Gottes, nennt ihn den Ewigen, den Unendlichen, den Unermesslichen und den Unbegreiflichen (s. Gebet im Kasten links). In der Betrachtung von der Menschwerdung (EB 101-109) zeigt Ignatius, wie die Dreifaltigkeit „Zukunft und Hoffnung“ in der konkreten Menschwerdung des Sohnes beschließt: die Betrachtung setzt an in der himmlischen Wirklichkeit und geht über die irdische Realität hinein in die Konkretion der Kammer Mariens in Nazareth. Von der Zukunft her lebend heißt, sich die „himmlische Realität“ vor Augen halten und so leben, als sei sie schon irdische Wirklichkeit, zumindest anfanghaft.

Biblische Zukunftsbilder des Reiches Gottes liefert uns Jesus in seinen Gleichnissen. Das ist das Bild vom Senfkorn und vom Sauerteig, der alles durchsäuert (Lk 13,18-21), dann das Bild vom Gastmahl (Lk 14,15), schließlich das Bild des neuen Himmels und der neuen Erde (Offb 21,1-8). Von dieser verheißenen Zukunft her leben kann heißen, nach Erfahrungen zu suchen, die Zeugnis für diese Wahrheit ablegen. Mehr noch: es kann heißen, so zu leben, als wäre der neue Himmel schon angebrochen – er ist es ja schon! Und an genau dieser Erfahrung „anzudocken“ und sie „weiter zu leben“. An anderer Stelle im Heft heißt es: Man kann die Zukunft nicht machen, aber man kann sie vorbereiten. Für die Gruppe und für ein praktisches Umsetzen kann das heißen: wir stellen uns der Frage, wo und wie Gottes verheißene Zukunft und Hoffnung für uns schon angebrochen, erfahrbar geworden ist. Wo, wie erfahren wir unsere Teilnahme am „himmlischen Gastmahl“? Wo und wie sehen wir das „kleine Senfkorn“ im seinem Wachstum, spüren wir den „Sauerteig, der alles durchsäuert“? Wo und in welcher Gestalt erscheint uns der neue Himmel und die neue Erde“? Wer gehört in diesen Bildern mit dazu? Und – im Blick auf die je eigene Zukunft – wohin locken diese Bilder und ihre Konkretionen, wo gebieten sie ein Einhalten, wo und wie geben sie Impulse für einen nächsten Schritt? Hilfreich wird es sein, diese (oder andere) „Zukunftstexte“ für die Gruppe bereit liegen zu haben und diese Texte unter den Fragestellungen miteinander zu teilen.

„Konkretionen“: Sich als Gruppe auf Zukunft hin begleiten

Damit es nicht bei der frommen Betrachtung bleibt, haben wir in unserer Kölner Gruppe in Anlehnung an das „Ziel“ unseres Charismas als Gemeinschaft (vgl. Kasten rechts) eine Vereinbarung getroffen: Wenn es für die einzelnen Mitglieder oder für die Gruppe als Ganze zu „Konkretionen“ kommt, wenn Vorsätze, nächste Schritte oder Ähnliches sich zeigen oder formuliert werden, werden sie beim Folgetreffen oder zu einem abgesprochenen Zeitpunkt noch einmal angefragt. „Wie ist es Dir damit ergangenen?“, „was ist daraus geworden?“ Hier erwächst dem einzelnen Begleitung, Unterstützung und/oder Korrektur. In den letzten Monaten seit dieser Vereinbarung haben wir durch diese Weise unseres Vorgehens eine neue Qualität (in) der Gruppe erfahren. Die geteilte Erfahrung des Geistes Gottes geht durch diese Form der Begleitung in Fleisch und Blut über, nimmt Gestalt an und gestaltet uns als einzelne und als Gruppe. Ganz im Sinne des Gebets von Vinzenz Pallotti: Gott ergießt sich immer mehr als der Ewige, der Unendliche, der Unermessliche und der Unbegreifliche in unser Leben – einander helfen wir uns, dies zu sehen, zu deuten und zu leben.

Harald Klein, Köln

Literaturhinweise:

Funk, Rainer (2005): Ich und Wir. Psychoanalyse des postmodernen Menschen, München

Funk, Rainer (2011): Der entgrenzte Mensch. Warum ein Leben ohne Grenzen nicht frei, sondern abhängig macht, Gütersloh