„In alles hat Gott Ewigkeit hineingelegt“ (Koh 3,11)

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„Turn, turn, turn“ – die ewige Wiederkehr des Gleichen?

Alles hat seine Stunde, und für jedes Geschehen unter dem Himmel gibt es eine Zeit“ – dieser Anfang des 3. Kapitels aus dem Buch Kohelet gehört sicher zu den bekanntesten Texten der atl. Weisheitsliteratur. Mir fallen nicht viele biblische Texte ein, die in der Popmusik vertont sind – diesen Text hat die amerikanische Gruppe „The Byrds“ 1965 unter dem Titel „Turn, Turn, Turn“ vertont.

Und auch die Unterscheidung zwischen der messbaren Zeit, die immer gleichbleibend und fortlaufend in der griechischen Mythologie dem Gott Chronos zugeordnet wird, und dem günstigen Augenblick, der sich schnell wieder entzieht, der dem Gott Kairos zugeordnet wird, ist hinlänglich bekannt.

Drei Begriffe von Zeit: „Chronik“ – „Kairos“ – „Aion“

Die griechische Mythologie kennt aber neben „Chronos“ und „Kairos“ noch einen dritten Begriff von „Zeit“, der eher unbekannt geblieben ist: den „Aion“, der als löwengesichtiger und geflügelter Gott dargestellt wird. Es scheint, als habe das Phänomen „Zeit“ in der griech. Mythologie verschiedene Ursprünge, als würde es unterschiedlich erlebt. Wenn es an dieser Stelle des Werkheftes um ein betendes Besinnen auf die Gegenwart geht, dann darf versucht werden, diese drei Zeitbegriffe in einen geistlichen Zusammenhang zu bringen. Schließlich gilt: In alles – in jede Form des Erlebens von „Zeit“hat Gott Ewigkeit hineinglegt. (vgl. Koh 3,11,)

Beginnen möchte ich mit dem Chronos, mit der Zeit, die ich habe – vom Aufstehen am Morgen bis zum Zubettgehen am Abend, von der Woche und den Wochen, den Monaten und den Jahren, von der Geburt bis zum Tod. Meine Zeit ist „bemessen“ – im doppelten Sinne des Wortes. Die Versuchung ist, sie vollzupacken. der Anspruch ist, sie zu nutzen. Die Sorge ist, sie sinnlos verstreichen zu lassen. Das Bild, das sie kennzeichnet, mag die Sanduhr sein, in der der Sand unaufhörlich verrinnt. Und oft ist die Gegenwart vom Weglaufen vor der Vergangenheit und von der Sorge um die Zukunft so gefüllt, dass sie kaum noch ein Eigenleben hat. Die Möglichkeit, im „Chronos“ die Ewigkeit zu entdecken, die Gott oft verborgen in sie hineingelegt hat, ist rückblickend schlicht das Gebet der liebenden Aufmerksamkeit. Der Moment der Achtsamkeit, den Ralf Braun weiter vorn beschreibt, ist eine Möglichkeit, dieser Ewigkeit im Moment des Innehaltens im Tun und Erleben auf die Spur zu kommen!

Anders der Kairos. Ich möchte ihn umschreiben als die Zeit, die ich mir nehme. Der Kairos kennt keine Versuchung, keinen Anspruch, keine Sorge. Der griechische Gott Kairos wird kahlköpfig mit einem Haarschopf am Hinterkopf dargestellt. Das Bild, das den Kairos kennzeichnet, ist das des Zupackens – „die Gelegenheit beim Schopfe fassen“: diese Redewendung entspringt der griechischen Darstellung des Gottes Kairos. Die drei Weisen der Wahl, die Ignatius im Exerzitienbuch beschreibt, haben alle etwas mit dem „Kairos“ zu tun: die erste Wahlzeit sieht in der Entscheidung, zuzupacken, eine Antwort auf einen direkten Anruf Gottes. Sie wurzelt in der Achtsamkeit dem Moment gegenüber. Die zweite Wahlzeit wägt in der Unterscheidung der Geister die innerenRegungen ab und packt dann zu. Die dritte Wahlzeit stellt eine rationale Weise des Abwägens dar, an deren Ende dann das Zupacken, das Entscheiden steht. In der Klinischen Psychologie heißt die Angst, Entscheidungen in bestimmten Situationen zu treffen, Kairophobie – sich nicht entscheiden zu können dient nicht dem Leben und dem Lebendigen!

Bleibt noch Aion, die dritte der mythischen Zeit-Gottheiten. Aion ist löwengesichtig, ist stark, und hat Flügel, erhebt sich über alles. Aion bezeichnet die Lebenszeit eines einzelnen Menschen und gleichzeitig die Vollendung, die Lebenszeit des ganzen Kosmos, er nimmt den einzelnen Menschen in die Vollendung des Kosmos mit hinein und weiß den Menschen darin aufgehoben. Für den einzelnen Menschen heißt das: ein Augenblick kann zur Ewigkeit werden – für den Kosmos heißt das: ohne diesen einzelnen Menschen und sein Leben ist der Kosmos nicht „erfüllt“.

Betende Zusammenfassung von Chronos, Kairos und Aion

Chronos, Kairos und Aion können biblisch und betend zusammengefasst werden. Gott hat die Ewigkeit in alles hineingelegt (Koh 3,11) – dieser kleine Satz scheint mir ein Schlüssel zu sein, der mir die Gegenwart aufschließen, erschließen kann. Noch einmal: Das „Mittel“, das uns in unserer Spiritualität dazu hilft, ist die Tagesauswertung, ist das Gebet der liebenden Aufmerksamkeit. Die Zeit, die wir uns nehmen („Kairos“), um liebend und aufmerksam auf das zurückzuschauen, was war („Chronos“), ist ein erster Schritt. Gewöhnlich ist das eine Aufgabe am Ende des Tages. Ignatius kennt aber auch das – achtsame! – „Auswerten zwischendrin“: vor oder nach einem Gespräch, einer Begegnung, den kurzen Moment des Innehaltens und des Fragens, wo oder wie sich Gott darin zeigt oder zeigte, mich anrufet oder anrief. Zwischen dem einen und dem anderen innezuhalten, achtsam das eine beginnend und das andere beendend, kann den „Chronos“ den Ablauf des Tages, zum „Kairos“, zur Begegnung mit Gott, seinem Wort, seinem Zuspruch, seiner Gnade und Barmherzigkeit werden lassen. Und das „Gott hat die Ewigkeit in alles hineingelegt“ ist letztlich nichts anderes als ein Bild für die Indifferenz der Dinge, der Geschehnisse und der Begegnungen. Es liegt betend und vertrauend an mir, mir die Zeit zu nehmen und die Dinge, die Geschehnisse und die Begegnungen zu betrachten „bis an den Brunnenpunkt, an dem sie aus Gott her-ausströmen“ (P. Alfred Delp SJ). So kann ich am eigenen Aion, an der eingenen erlebten Ewigkeit im Augenblick mitarbeiten. So empfange ich die Ewigkeit, die Gott in alles hineingelegt hat.

Letztlich ist es eine Frage des Einübens, eine Frage der spirituellen Disziplin und eine Möglichkeit, sich geistlich begleiten zu lassen daraufhin, ob ich mein Leben „chronologisch“ ablaufen lasse, ob ich – vielleicht am ehesten in den Exerzitien und in der Begleitung – mir Zeit nehme, den Kairos zu erahnen und zu erfassen, den Gott mir zuspielt, und ob ich der Ewigkeit auf die Spur kommen kann, die Gott in alles hineingelegt hat.

Harald Klein, Köln