Johannes der Täufer – ein Provisorium

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Wenn es schiefgeht: Provisorien sind nötig…

Gehen Sie in Gedanken doch mal durch die Geschichte Ihres Haushaltes – oder vielleicht auch Ihrer Zähne – mit der Frage, wann Sie das letzte Mal ein „Provisorium“ hatten. Beim Zahnarzt fällt das leicht: Zahnschmerz – Zahn raus – Krone bestellen – ein Provisorium übergezogen bekommen – Krone drauf – Sie sind die Schmerzen los, und der Zahnarzt kann sich eine kleine Finca auf Mallorca kaufen. Im Haushalt – da müssen Sie vielleicht ein wenig nachdenken. Die Glühbirne im Wohnzimmer geht kaputt, und Sie stellen für eine Übergangszeit ein paar Kerzen auf. Der Thermomix gibt den Geist auf, und Sie rühren mal wieder zur Abwechslung mit dem alten Kochlöffel. Egal, ob beim Zahnarzt oder im Haushalt, wenn etwas kaputt geht, wenn das Original es nicht mehr tut, muss ein Provisorium her – meist mit dem Ziel, es schnell gegen ein neues Original auszutauschen.

Dem Wort einmal nachgehen…

Das Wort „Provisorium“ ist wieder mal ein lateinisches Wort, dass es in sich hat. Da steckt „videre“ und „visio“ drin, das „Sehen“ und die „Schau eines Größeren“. Ein Provisorium ist eine Behelfslösung, bis die richtige Hilfe wieder da ist. Provisorien sind Lückenfüller – ohne sie ginge nichts mehr, aber die richtige Lösung ist noch auf dem Weg, ist noch in naher oder in weiter Ferne. Ich meine, am besten träfe die Übersetzung „Übergangslösung“ das, was man mit „Provisorium“ meint. Sie nehmen etwas, was Sie zur Hand haben, und helfen sich provisorisch, vorläufig aus – bis am Ende das Gesamte wieder stimmt.

Nachdenken über Johannes den Täufer – als Provisorium für Christus

Lassen Sie und doch am Hochfest der Geburt des Täufers Johannes einmal nachdenken, ob nicht der Titel „Provisorium“ auch für ihn gelten könnte. Es ist schon interessant – neben dem Fest der Geburt der Gottesmutter Maria am 8. September ist das Geburtsfest des Täufers der einzige Geburtstag eines Heiligen, der gefeiert wird – alle anderen Gedenktage der Heiligen sind deren Todestage. Schon damit wird klar: er spielt für das Christusgeschehen eine besondere Rolle – ähnlich wie die Rolle Mariens eine besondere ist. Das scheint mir der erste wichtigePunktzu sein, und sie treffen sich darin, dass sie beide eine leibhaftige „Schau“ Christi, eine „Visio Dei“ hatten.

Dann der zweitePunkt: Ich nehme ihn aus der Lesung aus dem Propheten Jesaja. „Der Herr hat mich schon im Mutterleib berufen; als ich noch im Schoß meiner Mutter war, hat er meinen Namen genannt.“ Hier geht es um den Gottesknecht, den die frühe Kirche in Jesus Christus gekommen sah. Hier geht es aber auch um Johannes, hier geht es um Sie und um mich. Vom Herrn schon im Mutterschoß berufen zu sein zu dem, der ich in Gottes Augen werden könnte. Das ist das Menschenbild, das hinter der Johannes-Tradition steht: Gott hat ein Bild von einem Menschen – wie der Töpfer ein Bild, eine Vision von dem hat, was er formen möchte. Und unser ganzes Leben ist – wie das des Johannes – ein „Provisorium“ bis zu dem Moment, an dem wir zu dem, zu der geworden sind, der oder die dem Bild Gottes von uns entspricht. Das ist das Gottesbild, das hinter der Johannes Tradition steht: Gott, der Schöpfer und der Töpfer meines Lebens, spielt mir vieles zu, mit dem ich umgehe, damit ich mich immer mehr zu dem Bild hin entwickle, dass er selbst von mir hat. Da gilt es vieles auszuprobieren, zu beginnen und wieder zu lassen, nachzuspüren und zu entdecken, wohin mich meine Wahl führt. Das Kriterium, dass mehr zur Vision Gottes von mir führt und mich meinen provisorischen Charakter aufheben lässt, ist: macht mich das, was ich sage, die Weise, wie ich handle, wie ich anderen und mir begegne, innerlich weiter, führt es mich in eine größere Tiefe, macht es mich liebes- und leidensfähiger? Für Johannes war das die Zeit in der Wüste, das rohe Kleid, die Heuschrecken und das ganze einfache Leben, der Ruf zu Buße und Umkehr – und am Ende die Begegnung mit Jesus: „Du kommst zu mir und willst von mir getauft werden?“ – Und dann das erste Wort Jesu im Matthäusevangelium: „Lass es nur zu. Denn nur so können wir die Gerechtigkeit ganz erfüllen.“ Da gab Johannes nach. Wie Johannes ein Provisorium Jesu sein heißt für Sie und für mich: Zulassen und glauben, dass Jesus immer wieder auf mich zukommt – staunen, dass er mich meint – zulassen, was ist. Gott umarmt uns durch die Wirklichkeit unseres Lebens, nicht durch unsere Pläne, Ideen, Absichten.

Und schließlich der drittePunkt: Ich nehme ihn aus der zweiten Lesung, aus der Apostelgeschichte. „Als Johannes aber seinen Lauf vollendet hatte, sagte er: Ich bin nicht der, für den ihr mich haltet; aber seht, nach mir kommt einer, dem die Sandalen von den Füßen zu lösen ich nicht wert bin.“ Johannes ist Vorläufer, ist Jesus gegenüber nur vorläufig. Man könnte sagen, er – wie Sie und ich – ist ein Provisorium Christi. Noch lange nicht das Ganze, nicht das Original – aber mehr als nichts! Ein anders Wort von Johannes ist: „Er muss wachsen, ich aber geringer werden!“ oder der Verweis auf Christus – erinnern Sie sich an den langen Zeigefinger des Johannes auf dem Isenheimer Altar, wie ihn Mathias Grünewald gemalt hat: „Seht, das Lamm Gottes!“ – ein Wort, das in jeder Eucharistie seinen Platz hat. Das ist unsere Weise, als Provisorium Christi zu leben: leben und wirken aus seinem Geist, aber dabei immer auf ihn zu verweisen, zu ihm zu führen.

Das Verstummen des Zacharias

Mich rührt immer wieder das Verstummen des Zacharias – sein Sohn sollte seinen Namen tragen, sein Werk weiterführen. Solange er im Blick auf den Sohn ganz bei sich bleibt, ist er stumm. Erst, als er den Namen auf das Täfelchen schreibt, bei der Beschneidung und der Namensgebung, erst dann kann er Mund und Zunge wieder gebrauchen – und er redete und pries Gott.

Vielleicht ist es aus der Perspektive des heutigen Tages die wichtigste Aufgabe des Christen, nicht zu sehr auf meine Selbstverwirklichung zu bauen, sondern mich ganz von Gott her formen zu lassen, damit aus dem Provisorium Christi, zu dem ich in der Taufe geworden bin, mehr und mehr eine Annäherung an das Original werden kann. Christus durch mein Leben, mein Tun und Handeln, mein Reden, mein Schweigen, mein Lieben und mein Aushalten zu repräsentieren, auf ihn zu verweisen und von ihm her alles zu erwarten und zu empfangen, das macht aus einem Provisorium eine Lösung, die von Dauer, sogar von Ewigkeit ist.

Vom hl. Franziskus ist das Wort überliefert: „Verkündigt das Evangelium, und wenn es nötig sein sollte, dann auch mit Worten.“ Johannes hat das getan, und nach ihm eine große Zahl von Menschen, denen wir den Titel „Die Heiligen“ gegeben haben. Heiligkeit meint nicht, sie zu imitieren, sondern als ein Original zu leben und aus dem Provisorium heraus mehr und mehr zu dem zu werden, den Gott in uns sieht. In allem mag das auf Christus verweisende Wort des Johannes gelten: „Er muss wachsen, ich aber muss kleiner werden.“

Wenn Sie das nächste Mal wieder etwas provisorisch machen müssen oder mit einem Provisorium leben müssen – denken Sie an den Täufer.

Amen.

Köln, im Juni 2018
Harald Klein