Karfreitag: Von der Vor-Liebe zur Liebe – ein Kreuzweg

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Ein kurzer Rückblick

Sie erinnern sich an den einen Vers aus der Benediktsregel, in dem es um die Novizen geht: „Kommt einer neu und will das klösterliche Leben beginnen, werde ihm der Eintritt nicht leicht gewährt. […] Man achte genau darauf, ob der Novize wirklich Gott sucht, ob er Eifer hat für den Gottesdienst hat, ob er bereit ist zu gehorchen und ob er fähig ist, Widerwärtiges zu ertragen.“

An Palmsonntag kam in den Blick, dass Gott selbst in Jesus Christus Einzug hält in mein Leben, in mein inneres und äußeres Jerusalem, und ich kann wie ein Novize ihn nur suchen, weil mich schon gefunden hat.

Am Gründonnerstag zeigte Gott sich so, wie er ist. Er ist der, der sich ganz und gar hingibt, der nichts von sich zurückhält – und er zeigt dies in der Selbsthingabe in Brot und Wein. Und er ist der, der sich aus Liebe zu mir zum Knechtsdienst erniedrigt, dargestellt in der Fußwaschung, und der sich und die, die es ihm nachtun, in der Erniedrigung erhöht. Gott in Jesus Christus ist groß in seiner Huld zu seinen Geschöpfen, gewaltig in seiner Hoheit, wehrlos in seiner Liebe.

Der „Eifer im Gottesdienst“, den die Regel anspricht, zielt darauf hin, diesen Gott mehr und mehr in Jesus Christus zu erkennen und teilzuhaben an ihm. Es entspricht in etwa dem Mitziehen der Apostel in den drei Jahren des öffentlichen Wirkens Jesu vor allem in Galiläa, am Ende dann in Jerusalem. Hier, heute, am Tag der Kreuzigung zeigt sich, ob dieses Mitgehen einer Vorliebe für Jesus entspricht, oder ob es eine wirkliche Liebe ist, die – um die Regel zu zitieren – Widerwärtiges erträgt und im Geschehen der Kreuzigung standhält.

Eine Vorliebe haben

Aber einen Schritt nach dem anderen. Wenn einer, wenn eine beginnt, Gott zu suchen, dann hat er, hat sie Vorlieben, die er und sie mitbringt. Eine Vorliebe für gregorianischen Gesang, für geregeltes Leben die einen. Eine Vorliebe für den Dienst am Armen und am Kranken die anderen. Eine Vorliebe für eine gemeinsam gestaltete und einfach nur schöne Liturgie die Dritten. Aber eine Vorliebe ist eben nur eine „Vor-Liebe“, ist noch keine Liebe. Sie kennen die Vorlieben Ihrer Mitschwestern, aber kennen Sie deswegen die Mitschwester? Und wenn Sie Ihre Mitschwestern nur wegen Ihrer Vorlieben lieben, lieben Sie nicht die Schwestern, sondern deren Vorlieben.

Was mag Jesus wohl angerührt haben in Petrus, Andreas, Jakobus, Johannes, als er sie vom Fischernetz jetzt und gleich weg in seine Nachfolge gerufen hat? Was mag das bei Ihnen gewesen sein, dass Sie den Weg in die Nachfolge begonnen haben? Auf welche Vor-Liebe ist Jesu Ruf bei ihnen gestoßen? Bei Petrus bringen uns sie Evangelien ein wenig in Verlegenheit. Matthäus und Markus schildern die Berufung der ersten vier Jünger, und dann bringt Petrus Jesus ins Haus der kranken Schwiegermutter. Bei Lukas ist es umgekehrt. Petrus bittet Jesus ins Haus der Schwiegermutter, um sie zu heilen, und erst später ruft Jesus ihn dann in seine Nachfolge. Steht am Beginn des Wegs mit Jesus eine als Vor-Liebe so etwas wie eine Neugier, etwas mit und bei Jesus zu erfahren? Oder ist es eine Erfahrung, die ich mir ihm gemacht habe und die mich jetzt gar nichts anderes wählen lässt als diesen Weg der Nachfolge?

Dann kommt erst einmal der „galiläische Frühling“ auf dem Weg mit Jesus, die Heilungen die Wunder, der Jubel, das gemeinsame stille Gebet. So etwas wie die Zeit des Noviziates. Mehr und mehr kommen aber dann auch die Auseinandersetzungen mit denen, die sich als Jesu Gegner herauskristallisieren. Und das Ganze gipfelt dann in Jerusalem, wo aus dem Weg mit Jesus der Kreuzweg Jesu wird.

Liebe erträgt auch Widerwärtiges

Schauen Sie sich diesen Kreuzweg einmal aus der Perspektive des Jüngers Johannes an. Einer der ersten vier, die von Jesus berufen wurde. Auch wenn die Exegeten anderer Meinung sind, in der Tradition gilt Johannes als der Jünger, den Jesus liebte. Für Johannes muss Jesus ein „toller Hecht“ gewesen sein. Er sucht zusammen mit seinem Bruder Jakobus Jesu Nähe, sogar über den Tod hinaus: „Lass in Deinem Reich den einen von uns rechts, den anderen links neben Dir sitzen“ (Mk 10,37). Matthäus schwächt das etwas ab, da kommt diese Bitte von der Mutter der beiden Donnersöhne. Seine Vorliebe für Jesus zeigt sich in einem kleinen Wörtchen, dann, wenn er „uns“ sagt: „Meister, wir haben gesehen, wie jemand in Deinem Namen Dämonen austrieb; wir versuchten, ihn daran zu hindern, weil er uns nicht nachfolgt.“ Eigentlich müsste es „weil er Dir nicht nachfolgt“ heißen.[1]  Aber Johannes weiß sich ganz nah an Jesus.

Es ist bemerkenswert zu sehen, wie sich die Vor-Liebe des Johannes zu einer Liebe ihm gegenüber verwandelt. Joh 13,21-30, die Situation im Abendmahlssaal, beginnt damit, dass Jesus im Innersten erschüttert ist, was die Jünger in Ratlosigkeit fallen lässt. Simon, der Sprecher, nickt dem Jünger, den Jesus liebte, zu, er solle fragen, von wem Jesus spreche, und Johannes tut es. Er steigt ein in die Widerwärtigkeit des Erlebens Jesu, er schaut nicht weg, er läuft nicht weg, er will verstehen. Und er hat seinen Ort gefunden, er lehnt sich zurück an die Brust, an das Herz Jesu. Die Vor-Liebe würde sagen: Bis hierhin – und nicht weiter. Bis an die Brust, ans Herz Jesu. Die Liebe fragt weiter, sie bleibt, sie sucht die Herzensnähe und schenkt diese Nähe zurück. „Johannes ist der Jünger, der den Herzschlag Jesu hört.“[2] Das scheint die Schwelle zu sein, wo sich Vorlieben von der Liebe scheiden – in der Bereitschaft, auch das Widerwärtige im Leben des anderen zu ertragen, mitzutragen, mitzugehen, und umgekehrt, die eigenen Widerwärtigkeiten des eigenen Lebens dem andren einzugestehen, damit aus der Vor-Liebe für ihn oder für sie Liebe werden kann.

Durchgehaltene Liebe

Der Verräter, Judas, geht hinaus. Viele, die glaubten, Jesus zu lieben, blieben bei der Vor-Liebe stehen – und blieben vor Golgota stehen, gehen den widerwärtigen Kreuzweg nicht mit bis zum Ende. Ausschließlich die Leidensgeschichte nach Johannes nennt den Jünger, den Jesus liebte, als den einzigen Mann neben Maria, Jesu Mutter, Maria, der Frau des Klopas und Maria von Magdala. Sein letztes Wort, dass Jesus an die Seinen richtet, ist „Frau, siehe dein Sohn!“ und zu dem Jünger: „Siehe, Deine Mutter!“

Das macht den Unterschied von der Vor-Liebe zur Liebe aus. Die Vor-Liebe des Johannes galt Jesus, die Liebe des Johannes geht jetzt über Jesus hinaus, wird weiter – und für Maria, seine Mutter, gilt das gleiche. Wer das Widerwärtige im Leben des anderen annimmt, bekommt weitere Arme, ein größeres Herz und wechselt aus der Vor-Liebe in die Liebe. So wächst, so lebt Gemeinschaft.

Durchgehaltene Liebe geht also über Vorlieben hinaus. Sie freut sich an dem, was ist. Aber sie nimmt auch Widerwärtiges in Kauf und erträgt es. Das gilt für den Blick auf das eigene Leben, das gilt im Blick auf die, mit denen ich oder Sie zusammenleben, das gilt für die Gemeinschaft, zu der Sie und ich gehören und die zu uns gehört, auch für die Gemeinschaft der Kirche.

Wenn der Novize, von dem die Benediktsregel spricht,  das erkannt hat, wenn er es angenommen hat und beginnt, es zu leben, dann wäre er wohl bereit für die Gelübde.

Amen.

Köln, 06.04.2020
Harald Klein

 

[1] Vgl. Mertes, Klaus (1989): Jüngerprofile, Frankfurt/Main, 88-95.

[2] a.a.O., 92.