Durst nach Leben

  • Beiträge im Werkheft der GCL
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Trostbilder aus der Heiligen Schrift

Wann greifen Sie nach welchem Evangelium? Warum ist Ihnen heute eine Heilungsgeschichte aus Markus wichtig, wo es doch gestern noch die Bergpredigt bei Matthäus oder der so menschliche Petrus bei Lukas war, und warum wird morgen vielleicht das Weinstockgleichnis aus Johannes ein Sie begleitender Text sein?

Je nach Lebenssituation oder Lebensphase wechselt das Wort Jesu, das Sie trifft; und je nach dem inneren oder äußeren Geschehen begegnet Ihnen das menschgewordene Wort Gottes in Jesus Christus anders.

Johannes scheint um diesen Umstand gewusst zu haben. Und mir scheint, dass er für jede Lebensphase ein eigenes „Bild von Leben“ in seine Frohe Botschaft eingewoben hat.

Der Jüngling, den Jesus liebte

Da ist der Hinweis über den Jüngling, den Jesus liebte – die Tradition setzt ihn mit dem Evangelisten selbst gleich. Ich weiß noch, dass als junger Student das Bild der Johannesminne mich sehr angezogen hat. Die Nähe zum Herrn, die Freundschaft mit Jesus, das im besten Sinne des Wortes intime Verhältnis zwischen IHM und mir – das war mir in Jugendzeiten ein Inbegriff ein Bild des Lebens. Die Darstellung des Johannes, der mit seinem Arm im Arm des Herrn ruht – in St. Jakob/Rothenburg ob der Tauber von Tilman Riemenschneider gefertigt – hat mich jahrelang begleitet. Den Durst nach Leben durch die spürbare Nähe zum Herrn gestillt bekommen, die Fülle des Lebens auf diese Weise zu erfahren, das tat in den jungen Jahren gut. Mich aufgehoben wissen an der Seite des Herrn, in meinem Zugeneigtsein seine Zuneigung empfangen, empfinden ein Bild von Leben, das in der Person des Evangelisten selbst gegeben ist.

Der reife Mensch: Die Frau am Jakobsbrunnen

„Fünf Männer hast du gehabt, und der, den du jetzt hast, ist nicht dein Mann.“ So spricht Jesus zur Frau am Jakobsbrunnen. Sie scheint aus dem „Jünglingsalter“ heraus zu sein, wenn sie so eine Geschichte aufzuweisen hat. Und doch: der Durst nach Leben ist noch da, Gott sei Dank! Diese Frau wird zum Bild eines Lebens, das aus Erfahrung weiß: den Durst nach Leben kann ich mir nicht selbst stillen,das Leben in Fülle kann ich mir nicht verdienen, nicht mir selbst  verschaffen. Leben, erst rEcht Leben in Fülle, ist Geschenk. Die Bitte der samaritischen Frau am Brunnen ist die Bitte des reif gewordenen Menschen: „Herr, gib mir dieses Wasser, damit ich keinen Durst mehr habe und nicht mehr hierher kommen muss, um Wasser zu schöpfen.“

Noch einmal der reife Mensch: Die Ich-bin-Worte

Dem reifen Menschen, der das Leben in Fülle beim Herrn sucht, werden die „Ich-Bin“-Worte bei Johannes guttun. Siebenmal bezeichnet sich Jesus bei Johannes mit Bilder, die ihn „auszeichnen“: ICH BIN das Brot des Lebens; wer zu mir kommt, wird nicht hungern und wer an mich glaubt, wird nie mehr Durst haben. (Joh. 6,35). ICH BIN das Licht der Welt; wer mir nachfolgt wird nicht in der Finsternis umhergehen, sondern wird das Licht des Lebens haben. (Joh. 8,12) ICH BIN die Tür; wer durch mich hineingeht, wird gerettet werden; er wird ein- und ausgehen und Weide finden. (Joh. 10,9). ICH BIN der gute Hirte; der gute Hirte gibt sein Leben hin für die Schafe. (Joh. 10,11) ICH BIN die Auferstehung und das Leben; wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt. (Joh. 11,25) ICH BIN der Weg, die Wahrheit und das Leben, niemand kommt zum Vater außer durch mich (Joh. 14,6) ICH BIN der wahre Weinstock und mein Vater ist der Winzer. (Joh. 15,1). – In der Lebenssituation des reifen Menschen geht der Blick deutlich mehr weg von mir selbst hin zum anderen. Dem reifen Menschen erschließt sich der Herr bei Johannes in den Ich-bin –Worten selbst, sie sind „Bilder von Leben in Fülle“ dem, der sich mit seinem Durst nach Leben dem Herrn zuwendet. In den Ich-bin-Worten deutet Jesus denen, die wie die Frau am Jakobsbrunnen wissen, dass der Messias kommen werde, sich selbst: „Ich bin es, ich, der mit dir spricht.“ (Joh 4-26)

„… ein Mensch, der schon alt ist: Das Gespräch mit Nikodemus

Das Gespräch mit Nikodemus in Joh 3 rundet die Bilder vom Leben ab. Das Reich Gottes sehen, in dieses Reich kommen, das Leben in Fülle erlangen kann nur, „wer von neuem geboren“ wird. Und dieses Geschenk erlangt Nikodemus nur durch den, „der vom Himmel herabgestiegen ist“, vom Menschensohn. Nicht geistlich infantil zurückfallen ins Jünglingsalter, aber auch als reifer, als alter Mensch sich nach der Nähe Jesu sehnen; nicht immer neu nach Wegen suchen, sich das Leben in Fülle zu verschaffen, sondern ahnen: es ist Geschenk dessen, der siebenfach sagt: ich bin …; im Alter nicht „auf jung machen“, aber sich die Wachheit bewahren, vom Herrn her „wie neugeboren“ zu sein: das sind Bilder des Lebens, die uns Johannes vermittelt.

Für das Gebet und das Gespräch in der Gruppe:

  • Sich ein Bild der Johannesminne vor Augen führen, und Situationen ins Gespräch mit Gott – oder Gruppe – bringen, in denen diese Innigkeit leibhaftig und spürbar war;
  • Dem Herrn – oder der Gruppe – den Durst nach Leben hinhalten: „Ich habe Durst nach Leben, und das heißt …? – und dann die Ich-bin-Worte hören.
  • Mit dem Nikodemus zum Herrn – oder in der Gruppe – sprechen: Was darf sterben, wo will ich in Christus, durch Christus und durch seinen Heiligen Geist neu geboren werden?

Harald Klein, Köln