Praktisch umgesetzt – Von der Weisheit zur Klugheit und umgekehrt

  • Beiträge im Werkheft der GCL
  • –   
  • –   

Der kluge und der weise Mensch

Wenn Sie die Augen schließen und sich einen weisen Menschen vorstellen, wer fällt Ihnen dann ein? Sie können der Frage in der Familie, im Freundeskreis nachgehen – oder auch in der Gruppe. Was macht einen Menschen eben zu einem weisen Menschen? Was zeichne dessen „Weisheit“ aus?

Und dann wiederholen Sie das mit einer kleinen Veränderung. Wenn Sie die Augen schließen und sich einen klugen Menschen vorstellen, wer fällt Ihnen dann ein, Ihnen oder Ihrer Familie, dem Freundeskreis oder der Gruppe?

Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass jeder guter Krimi von der Klugheit der Täter lebt – und von der Klugheit der ermittelnden Polizisten? Die „Älteren“ unter Ihnen kennen noch „Die Gentlemen bitten zur Kasse“ und deren Überfall des Postzuges 1963 in Großbritannien; die „Mittelklasse“ unter Ihnen kennt noch „Inspektor Columbo“ und seine klugen Täter, denen man von Beginn an zuschauen konnte, wie sie ihr Verbrechen begingen. Und die „Jungen“ unter uns werden Professor Thalheim schätzen, der mit psychologischen Überlegungen der Klugheit seiner Täter auf die Spur kommt. Hier wird es deutlich: „Klugheit“ ist ein Begriff der sog. praktischen Vernunft, es geht der Klugheit darum, die richtigen Mittel zur Erreichung eines Zieles zu finden. Klugheit zielt auf Sach- und Handlungswissen. Klug ist der Mensch, der sein Ziel mittels einer guten Wahl der Mittel erreicht. Klugheit braucht nicht notwendig eine gute Moral! Denken Sie an die Mechanismen der Weltgeschichte, der Politik, der Wirtschaft – diese Mechanismen in ihrer Anwendung zu kennen ist klug, sie aber auch anzuwenden muss noch lange nicht weise sein.

Im Gegensatz zur Klugheit ist Weisheit ein Begriff der sog. theoretischen Vernunft. Hier geht es um ein Wissen um gelingendes Leben, über subjektive und objektive Einsichten in Wesentliches. Weisheit sammelt Orientierungswissen. Hier spielen die Fragen der Moral und der Beurteilung eine große Rolle.

In diesen Zeiten der Corona-Pandemie kann die Frage nach dem Urlaub mit der Familie in Italien sowohl klug als auch weise beantwortet werden. I.d.R. gilt: Die Antwort der Weisheit geht jedoch den Antworten der Klugheit voraus; Weisheit gibt die Richtung an

Die Weisheit unserer Gemeinschaft

Ihr Blick sei gelenkt auf den biblischen Weisheitsbegriff. Für uns als geistliche Gemeinschaft ist er so etwas wie eine Säule, die uns hält, oder ein Boden, der uns trägt. Wir haben eine eigene Weise, die uns umgebende Wirklichkeit (und uns selbst) zu ordnen, zu erfassen und zu erklären und so zu einem gewissen Maß an Geborgenheit und Zugehörigkeit in dieser Welt zu kommen. Es ist sicher erlaubt, von einer „spezifisch ignatianischen Weisheit“ zu sprechen. Und für eine erste Gebetszeit oder einen Gruppenabend kann es hilfreich sein, diesen Begriff der „spezifisch ignatianischen Weisheit“ auf einem Plakat auf dem Tisch liegen zu haben und zu sammeln, was Sie (ggf. mit anderen zusammen) da benennen können.

Ein erstes Zwischenergebnis der Betrachtung: Es gibt für mich, für Sie eine spezifisch ignatianische Weisheit, und ich kann bzw. Sie können Auskunft geben, was ich bzw. was Sie darunter verstehen.

Die Klugheit unserer Gemeinschaft

Jetzt geht der Blick auf den biblischen Begriff der Klugheit, also auf ein lebenspraktisches Vermögen, herausfordernde Situationen – z.B. die Gestaltung des Lebens – zu bewältigen. Im Rundbrief nach dem Vorstandstreffen im Juni 2020 (abgedruckt auch im „GCL intern“ Nr. 170, 4f.) kam seitens des Vorstands ein starker Impuls:

„Wir fragten uns, ob es nicht Zeit wäre, in den Gruppen neu zu entdecken und lebendig fortzuführen, was uns als GCL ausmacht und trägt. Gibt es ein gemeinsames Verständnis von ‚GCL-Mitgliedschaft‘? Ist es noch so, dass Mitglieder einer Gruppe regelmäßig Exerzitien machen? Wie sieht es aus mit der ‚Geistlichen Unterscheidung‘ in Gemeinschaft, dem Kern unserer Spiritualität? Wird sie in den Gruppen gelebt? Woher kommt der ‚Gesprächsstoff‘ in den Gruppen? Wie ernst genommen wird das Angebot der Gruppenbegleitung? Fragen über Fragen, von denen wir glauben, dass sie auch vor Ort in Diözesan- und Regionalgemeinschaften ihren Platz hätten.“

In den Fragen des Vorstandes werden die „klugen Mittel“ genannt und angesprochen, die helfen, entsprechend der spezifisch ignatianischen Weisheit die uns umgebende Wirklichkeit (und uns selbst) zu ordnen, zu erfassen, zu erklären und so zu einem gewissen Maß an Geborgenheit und Zugehörigkeit in dieser Welt zu kommen.

Es wäre für eine zweite Gebetszeit oder einen zweiten Gruppenabend ein guter Impuls, den Fragen nachzugehen, die der Vorstand vorlegt. Hierbei ist die Blickrichtung wichtig: Starten Sie bei der Weisheit, die Ihnen kluge Schritte anbietet? Oder starten Sie bei den klugen Schritten, um zu prüfen, ob Sie sie zur Weisheit führen?

Die Top-Down-Strategie: Vom Ziel her denken

In EB 23, dem „Prinzip und Fundament“ der Exerzitien, kommt die spezifisch ignatianische Weisheit besonders zur Geltung. Um ein inneres Gleichgewicht geht es, um ein vertieftes Leben Gottes in mir. Alles, was dem dient, ist klug! Anempfohlen werden in der GCL Exerzitien, Unterscheidung, Gruppen- und Geistliche Begleitung und anderes. Der große Fehler in der Top-Down-Strategie, die von Vorgaben „von oben“ her denkt und vom Abstrakten, Allgemeinen zum Besondern hin geht, liegt darin, dass ein bloßes Erfüllen der Erwartungen noch lange nicht zielführend ist. Es wäre nur in dieser Strategie abfragbar und überprüfbar, ob jemand ein „gutes Mitglied“ der Gemeinschaft ist. Es hilft nichts, in einer Art „diebischer Klugheit“ hinter all diese Fragen ein Häkchen zu setzen; das käme eher dem Pharisäertum als dem gelebten Glauben nah.

Eine dritte Gebetszeit oder ein dritter Gruppenabend kann nach den geistlichen Erfahrungen und Begegnungen fragen, nach geistlichem Wachstum in dem, was Inhalt der Fragen des Vorstands ist.

Die Bottom-Up-Strategie: Von den Erfahrungen her denken

Bottom-up denkt in die umgekehrte Richtung, sie setzt beim einzelnen Mitglied und seinen Erfahrungen, „von unten“ an. Das Verbindende sind jetzt nicht die klugen Mittel, sondern das weise Ziel. GCL-Identität und ein Verständnis von GCL-Mitgliedschaft zielt vor allem auf „unser einziges Verlangen und unsere einzige Wahl […]: ich möchte und wähle, was eher dahin führt, dass Gott sein Leben in mir vertiefen kann“ (aus EB 23: Prinzip und Fundament, nach P. David Fleming SJ, Quelle unbekannt).

Verstehen Sie es nicht als ein Entweder-oder, als sich ausschließende Alternativen. Entscheidend zum Erreichen des Zieles ist die kluge Wahl der Mittel; alles, was mich dem Ziel, zu dem ich geschaffen bin, näher bringt, ist gut. Hier geht der Weg von der Klugheit zur Weisheit, oben geht er von der Weisheit zur Klugheit.

Folgerungen für ein Weitergehen

Es ist gut, nein, es ist sogar weise, die Frage nach dem gemeinsamen Verständnis von GCL-Mitgliedschaft zu stellen – für den einzelnen, in den Gruppen und in den größeren Gemeinschaften. Hinsichtlich des gemeinsamen Zieles der Mitgliedschaft gibt es sicher nur wenig Spielräume. Das „Prinzip und Fundament“ in EB 23 ist da jedenfalls ein guter Maßstab.

Es ist gut, nein, es ist sogar klug, auf die vielen Mittel zu hören, sie unserer Gemeinschaft zu eigen sind und die anzuwenden dienlich sein können, das Ziel zu erreichen.

Es ist gut, nein es ist sogar klug und weise, auf die spezifische Weise anderer christlicher Gemeinschaften, sogar andrer Religionen zu schauen, nach deren Ziel zu fragen und deren Mittel zu verstehen suchen, mit denen sie ihr Ziel erreichen wollen. Weise ist es, weil wir entweder Gemeinsamkeiten entdecken oder unser Ziel neu bewerten oder profilieren. Klug, weil die Wahl deren Mittel uns Neues an die Hand zu geben vermag oder eben unsere Mittel neu bewerten und profilieren lässt.

Über allem mögen die Verse aus 1 Thess 5,18-20 stehen. Ich wünsche mir eine Gemeinschaft, in der Dankbarkeit für Verschiedenheit spürbar ist, in der der Buchstabe den Geist nicht auslöscht,  in der prophetisch „nach vorn“ gedacht und gesprochen werden kann, in der Offenheit für Ausprobieren und zum Weglassen ist und in der eine Achtsamkeit für das Böse in jedweder Gestalt ist – um es dann meiden zu können. Das wäre klug – und fast schon weise!

Harald Klein, Köln
*1961, Priester und Sozialpädagoge
mit Schwerpunkt „Spiritualität für Soziale Berufe“
Gebundenes Mitglied in der GCL