Sein Leben weitergeben

  • Beiträge im Werkheft der GCL
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Auf andere Weise fruchtbar sein!

Es gibt sicher keinen meiner ehemaligen Oberstufenschüler, der die Geschichte nicht kennt – und das eine vielsagende Wort, auf das die Geschichte hinausläuft. Vor Jahren traf ich einen ehemaligen Mitseminaristen wieder. Kurz vor seiner Diakonenweihe wurde ihm klar, dass Familie seine Berufung war, nicht zölibatäres Leben. Wir blieben in loser Verbindung, mehr, dass wir voneinander hörten als miteinander sprachen. Dann trafen wir uns, mittlerweile war er schon einige Jahre verheiratet. Auf Kinder angesprochen, antwortete er: „Wir haben schon alles probiert, es will nicht werden. Meine Frau und ich, wir haben uns jetzt entschlossen, auf andere Weise fruchtbar zu sein.“ – Dieser letzte Satz traf, trifft mich ins Mark. Da erklärt mir ein sehr geistlicher Mensch aus dem Ehestand den Sinn des Lebens im Zölibat: „Auf andere Weise fruchtbar sein!“ Leben weitergeben, sein Leben weitergeben kann und darf ich übersetzen mit „fruchtbar sein“ – und zwar auf vielerlei Weise.

„Fruchtbarkeit“ im Johannesevangelium

Sich das Leben Jesu unter dieser Hinsicht – „Fruchtbarkeit“ anzusehen, hilft mir, ihn, seine und meine Sendung mehr zu verstehen.
Es gibt zunächst einmal eine tiefe Sehnsucht Jesu, der Frucht tragen will, der sein Leben weitergeben will, und diese Sehnsucht drückt sich in Joh 7,37 aus: „Wer Durst hat, der komme, und es trinke, wer an mich glaubt.“ Ich stelle mir Jesus mit offenen Armen vor, der sein Leben mit denen teilen, an die weitergeben will, die Durst haben, Durst nach Leben – so, als wäre dieser Durst, diese Sehnsucht nach Leben die einzige Bedingung, die er stellt, um eben diesen Durst, diese Sehnsucht dann von sich aus, in einer „Lebens-Hingabe“ zu stillen. Sehnsucht trifft auf Sehnsucht – und so erwächst Fruchtbarkeit, so erblüht Leben.
Es gibt als nächstes aber auch ein einzigartiges Bild im Joh, vielleicht aus dem Ps 70 entlehnt, dass nach der Sehnsucht den Weg beschriebt, wie Leben weitergegeben werden kann, und wie Jesus sein Leben fruchtbar weitergibt. Ich meine das Weinstockgleichnis in Joh 15. Ganz anders als bei der „Sehnsucht nach Leben“ geht es nicht mehr um das aktive Kommen, sondern um das passive Bleiben. Und vorher noch gilt es zu sehen, wie Gott selbst als Winzer des Weinstocks abschneidet und ins Feuer wirft, was keine Frucht bringt, und reinigt, was Frucht bringt, damit diese Rebe noch mehr Frucht bringt. Sein Leben weitergeben ist mit Schmerz verbunden: Gott selbst schneidet ab, verwirft, verbrennt. Um wirklich fruchtbar leben zu können, muss ich zulassen, dass das, was vielleicht Frucht versprach, verworfen, verbrannt wird. Das schmerzt, verletzt, legt Wunden bloß, lässt beinahe ausbluten.Und doch: Gott ist am Werk, damit die fruchtbaren Reben gute Frucht, sogar mehr gute, viel-leicht bessere Frucht tragen. So gesehen st das Bleiben alles andere als passiv. Das Bleiben hat mit Gehenlassen und Gelassenheit zu tun, mit Dahingeben dessen, was auch Teil meines Weinstocks war. Der Wanderer am Weg sieht dem Weinstock an, wie beschnitten er ist, und es gilt, diese Nacktheit auszuhalten in der Zusage, dass das Ziel des Winzers Frucht, reiche und bessere Frucht ist. Dieser Zuspruch hilft, am Weinstock zu bleiben, das, und die Erfahrung, die aus der vorher gestillten Sehnsucht ent-springt: getrennt von mir könnt Ihr nichts vollbringen. Allemal gilt: Wenn der Winzer am Werk ist, kann das sehr weh tun! Es geht ans und ums Leben.

Leben zur Blüte kommen lassen

Der Höhepunkt der Weitergabe von Leben liegt für mich in der dritten Betrachtung. Nach Jesu Sehnsucht, sein Leben weitergeben zu dürfen an die, die Durst nach Leben haben, nach dem Betrachten der Weise, wie Gott selbst den Menschen zum fruchtbaren Leben bereitet, zeigt Joh 20,22f, welche Rolle der Auferstandene dem Menschen zukommen lässt. Hier heißt es „Er hauchte sie an und sprach zu ihnen: Empfangt den Heiligen Geist. Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben, wem ihr die Vergebung verweigert, dem ist sie verweigert.“ Denen, die voller Sehnsucht zu Jesus kamen, denen, die vom Vater „zurechtgestutzt“ wurden, denen gibt der Auferstandene jetzt seinen Geist. In den Aposteln lebt weiter, was vom Herrn selbst stammt. Sie geben weiter, was sie selbst empfangen haben. Was da zur Blüte kommen kann durch die Jünger, ist durch den Herrn grundgelegt, ist der Herr selbst. Vom Auferstandenen angehaucht und mit Heiligem Geist begabt, um ihn – diesen Geist wie den Herrn selbst – dann weiterzugeben: das ist Fruchtbarkeit im biblischen Sinne, dass ist Weitergabe von (Jesu) Leben. „Meine Frau und ich, wir haben uns jetzt entschlossen, auf andere Weise fruchtbar zu sein!“ Vor Jahren hat mich dieser Satz sehr beeindruckt. Heute weiß ich, dass er für ein Familienleben ebenso gilt wie für ein zölibatäres Leben. In der Sehnsucht leben, dass (Sein) Leben weitergegeben wird, sich vom Vater her „zurechtschneide(r)n“ lassen, und im Geist Jesu, der uns geschenkt ist, leben: so kann es gelingen.

Für das Gebet oder das Gespräch in der Gruppe:

  • „Wer Durst hat, der komme, und es trinke, wer an mich glaubt“ (Joh 7,37): welchen „Durst“ ver-spüre ich zurzeit, und wie kann der Weg zum Hern oder der Weg des Herren aussehen, auf dem er meinen Durst stillen kann?
  • Die Stationen des Weinstockgleichnisses in Joh 15: abgeschnitten werden – abgeschnitten sein – gereinigt werden – mehr Frucht tragen. Wo entdecke ich mich oder Teile von mir in diesen Stati-onen? Was darf/muss geschehen, damit ich mehr Frucht bringe, mehr Leben weitergeben kann? Was ist mein Anteil daran, was Gottes Anteil?
  • „Er hauchte die Jünger an …“ (Joh 20,22). Kann ich mich an Erfahrungen dieses Geistgeschehens in den letzten Tagen und Wochen erinnern? Was kann ich tun, um dieses leise Angehauchtwerden mehr zu spüren? Es ist die Sehnsucht Jesu!

Harald Klein, Köln