Sich bewegen im Haus des Gebetes: Eine kleine Gebetsschule

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Religiosität – Frömmigkeit – Spiritualität

Im Vorfeld gilt es zu unterscheiden[1]

Religiosität: Bedürfnis und Fähigkeit des Menschen, sich in irgendeiner Weise zu einer höheren Instanz in Beziehung zu setzen;

Frömmigkeit: die subjektive Seite der eigenen Religion, die Art und Weise, wie in Riten, Lebensformen, Unter- und Entscheidungen die eigene Religion Ausdruck findet;

Spiritualität: Leben aus und in einem bestimmten „Geist“ mit dem Ziel, „mehr Mensch“ zu werden;       Kennzeichen von Spiritualität sind (1) „Dialog“ sowohl zwischen diesem Geist und dem eigenen Leben als auch im Austausch mit anderen (vielleicht fragenden) Menschen; (2) „Alltäglichkeit“ und „Alltagstauglichkeit“, d.h. sie prägt und trägt das alltägliche Leben und findet in keiner Sonderwelt statt; (3) „Humanität“, d.h. sie hat ein Bild des Menschen und des gelungenen Lebens vor Augen, das sie anstrebt; (4) „Christozentrik“, insofern sie christliche Spiritualität sein will; christliche Spiritualität nimmt ihr Maß an der Botschaft, am Handeln und am Geschick des biblisch überlieferten Jesus von Nazareth.

Diese Unterscheidung hat den Vorteil, dass spirituelle Menschen in drei von vier Kennzeichen übereinstimmend und über Kulturen und Religionen hinweg einen spirituellen Dialog führen können.

Das Haus des Gebetes als „Lernort christlicher Spiritualität“

Christen sind Menschen, die irgendwann einmal den Entschluss gefasst haben, sich an der Botschaft, am Handeln und am Geschick Jesu von Nazareth zu orientieren, um so einen Weg der größeren Menschwerdung zu gehen. Das Gebet ist eine der Weisen, sich in dieser Orientierung auszurichten, sie    einzuüben und den verheißenen Geist Jesu auf das eigene Leben hin und im eigenen (Er-) Leben wirken zu lassen.

Das Bild vom „Haus des Gebetes“ stellt verschiedene Weisen des Betens vor und arbeitet mit der Unterteilung von Zimmern, die alle miteinander verbunden sind und „Durchgänge“ anbieten. Von der Vorstellung eines „höherwertigen“ Betens wird hier klar Abstand genommen. „Ziel“ christlichen Betens kann nicht das Erreichen und Beibehalten einer oder sogar „der einen“ Gebetsform sein. Als Ziel christlichen Betens wird hier verstanden, einer lebendigen, heilbringenden und auf ein vertiefendes Mehr ( i.S.v. „magis“) an Menschwerdung orientierten Beziehung zu Jesus Christus – als dem „Fundament“ des Hauses des Gebets Ausdruck zu verleihen.

Formen des Betens als „durchlässige Zugänge“ zur eigenen Christusbeziehung[2]

„Vorformulierte Gebete“

Sie bilden den  „Zugang“ ins Haus des Gebetes, z.B. Kindergebete, Vaterunser, Credo etc. Ihr Wert besteht darin, ein „Türöffner“ zur Gegenwart Gottes sein zu können; die Konzentration auf Wort und Sinn laden zum Verweilen ein, zudem sind sie Hilfen für ein Beten in Gemeinschaft als Bekenntnis zu dem gemeinsamen Gott. Sie bergen die Gefahr, Ausdruck der Frömmigkeit zu sein, ohne zur Christusbeziehung vordringen zu können: man kann Gebete sprechen, ohne wirklich Glaubende*r zu sein. In diesem Falle haben vorformulierte Gebete immer noch einen Bekenntnischarakter zur Gemeinschaft der Glaubenden.

„Auf der Erde stehen“

Dieser Zugang meint, sich und die anderen, das andere wahrnehmen. Der Wert dieses „Gott in allen Dingen finden“ besteht Im Wahrnehmen und im Umgang im und mit der gesamten Schöpfung sowie in der betenden Reflexion darauf. Die Spannung zwischen (Er-) Leben und Religion wird überwunden, es gibt keine „Sonderwelt Religion“ mehr neben dem alltäglichen Leben. Die Beziehung zum Mitmenschen und zur Mit-Schöpfung ist Spiegelbild der Beziehung zu Gott. Diese Form des Betens birgt die Gefahr, die Verbindung zum „Haus des Gebetes“ und damit zur Christusbeziehung zu vergessen, dem sie vorgeordnet ist; die ersten drei genannten Kennzeichen von „Spiritualität“ sind vorhanden, das „Gebet“ verliert dann seine Christozentrik (z.B. im Üben von Achtsamkeit).

„Die Bibel betrachten“

Hier geht es darum, dem Geheimnis Gottes „ur-kundlich“ begegnen. Der Bibel (als „Ur-Kunde“ über Gott) kann man sich über das Studium, über die Lektüre und über die Betrachtung nähern. Der Wert dieser Betrachtung liegt darin, dass der Wille angesprochen wird, nicht so sehr das Verstehen (wie beim Bibelstudium) oder die Neugier (bei der Bibellektüre). Psalmenverse oder Prophetensprüche dienen dazu, die eigenen Haltungen zu überprüfen und auf die Christusbeziehung hin verändern zu wollen – auf ein „Mehr“ an Ebenbildlichkeit hin. Das Betrachten des Lebens und Handelns Jesu (mit Hilfe der „Bereitung des Schauplatzes“, des „Einsteigens in die Szene“ und des „Gespräches mit Jesus wie mit einem guten Freund“) kann den Willen zur Änderung von Haltungen bewirken. Die Betrachtung der Bibel birgt die Gefahr in sich, dass der Verstand sich zu sehr einschaltet, ohne dass sie Wirkung zeigt auf Haltungen und Einstellungen.

„Zwiesprache mit Gott“

In dieser Art des Gebets bringe ich mein Leben vor Gott zur Sprache. In der Betrachtung von Psalmenversen, Prophetenworten und der Haltung bzw. des Handelns Jesu kann es zu einem hörenden und antwortenden Gespräch mit Gott, mit Jesus kommen. Der Wert dieser Zwiesprache kann sein, sich der eigenen im Moment geltenden Nähe oder der Distanz zu Gott bewusst zu werden. Sie hilft, wahrzunehmen, was im Moment spontan auftaucht, sich zeigt. Hindernisse wie Ablehnung, Widerspruch und Disharmonie können die gegenwärtige Lebenssituation auf die Christusbeziehung hin erschließen. All das kann in das Zwiegespräch wie in ein „Gespräch mit einem guten Freund gebracht werden. Die Gefahr dieser Form des Betens ist, dass sehr schnell das Analysieren, dass der Verstand das Hören verdrängen kann.

„Das einfache Gebet“

Ein anderer Begriff dafür ist das kontemplative Gebet bzw. die Anbetung im Geist. Diese Form des Betens hat ihren Wert in der Absichtslosigkeit. Es geht um die reine Wahrnehmung dessen, was jetzt ist, um das Schauen auf Gott und auf das Mich-anschauen-lassen von Gott. Hilfen für dieses Gebet können sein: das Beten in der Natur (als Übung der Wahrnehmung dessen, was ist), das Beten mit einem Lied (z.B. Taizè), das Beten mit einem Symbol (z.B. im „Schauen“ des IHS), das Beten mit zwei Worten (angebunden an den Ein- und den Ausatem, z.B. Jesus – Christus), das Beten mit Konzentration auf den eigenen Herzschlag und der eigenen Körperwahrnehmung, das Beten im stillen Warten auf ein Wort Gottes, das aus der Stille und dem Warten innerlich aufsteigt, im Beten als intuitives Betrachten des Lebens Jesu (nicht als Nach-Denken, sondern als einfache Teilnahme in dem, was das Evangelium erzählt), im Zulassen des Gebetes, das der Heilige Geist selbst in uns spricht und das aus der Tiefe und der Stille erwächst (vgl. Röm 8,26f). Die Gefahr des einfachen Betens liegt darin, dass das diskursive Denken und Bewerten während der Gebetszeit nicht als niedrigster Faktor des menschlichen Geistes gelten will.

„In Gemeinschaft beten“

Hier geht es um die vielen Formen vor allem des gottesdienstlichen Betens. Der Wert des gemeinschaftlichen Gebetes liegt vor allem darin, dass die Betenden sich als „Schwestern und Brüder im gleichen Geist“ wahrnehmen können. Hierzu gehören Gottesdienste, Gebetskreise, Bibel teilen, alle Formen der Revision de viè (als Möglichkeit einer unterscheidenden Gewissenserforschung in einer Gruppe), freies charismatisches (geistgewirktes) Beten, gemeinsames stilles Beten. Die Gefahr liegt darin, „frömmelnd“ statt spirituell und um der Zugehörigkeit zur Gemeinschaft willen, nicht um der Beziehung zu Christus willen, diese Gebetsform zu wählen.

Die Rolle des Leibes im Vollzug des Gebetes

Der Leib kann helfen, innere und äußere Spannungen abzubauen, die dem Gebet im Wege stehen. Eine Ausrichtung des Leibes in eine ruhende Position (z.B. das „Sitzen“, aber auch das Knien) hilft aus der Ruhelosigkeit des Alltäglichen heraus. – Die Konzentration und das „Nachgehen“ des Weges, den Ein- und Ausatem (incl. der kleinen Pause dazwischen) nehmen, können zu einer inneren Ruhe helfen. – Dem Gebet vorgeschaltete Entspannungsübungen können zu einer äußeren und gleichzeitig zu einer inneren Ruhe beitragen, in der die Begegnung mit Christus, der Vergegenwärtigung der lebendigen Christusbeziehung zugutekommt. – Kleine Riten (z.B. das Anzünden einer Kerze, Gebrauch von Weihrauch etc.) können äußere Hilfen sein, das „Umschalten“ auf die Gebetszeit zu erleichtern und zu ermöglichen.

Harald Klein, Köln

[1] Vgl. Schütz, Christian (1988): Spiritualität, in: ders. (Hg.): Praktisches Lexikon zur Spiritualität, Freiburg, 1170-1180.

[2] Die im folgenden gewählten Bezeichnungen und Beschreibungen der Formen des Betens sind entnommen aus Jalics, Franz(1996): Lernen wir beten, Würzburg.