Versöhnung (aus-) richten

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Versöhnung „läuft“ nicht so einfach

Versöhnung geht, heißt es im Titel des Heftes – aber: wohin? Versöhnung braucht eine Ausrichtung, ein Woraufhin, nicht erst dann, wenn der Prozess der Versöhnung schon „gelaufen“ ist. So tun, als wäre nichts gewesen, die Schuld, den Grund, der nach Versöhnung ruft, einfach hinter sich lassen, das geht ins Leere. Versöhnung setzt eine Art „Gericht“ im Sinne eines „gerichtet Werdens“ voraus, damit sie dann geschehen kann.

Ein Brief an die Verbannten

Der Prophet Jeremias schreibt in Jer 29 einen Brief an die Verbannten seines Volkes nach Babylon, an Menschen also, die Haus, Hof, Heimat verloren haben. Da sind Richtungen vorgegeben, mitten in eine nicht wirklich versöhnte Situation hinein. Israel bekommt in Babylon von Gott her gesagt:

„Baut Häuser, und wohnt darin, pflanzt Gärten und esst ihre Früchte. Nehmt euch Frauen, und zeugt Söhne und Töchter, nehmt für eure Söhne Frauen und gebt eure Töchter Männern, damit sie Söhne und Töchter gebären. Ihr sollt euch dort vermehren und nicht vermindern. Bemüht euch um das Wohl der Stadt, in die ich euch weggeführt habe, und betet für sie zum Herrn; denn in ihrem Wohl liegt euer Wohl“ (Jer 29,5-7). Und Jeremia endet mit dem großen Trostwort Gottes an sein Volk im Exil: „Denn ich, ich kenne meine Pläne, die ich für euch habe – Spruch des Herrn – Pläne des Heils und nicht des Unheils; denn ich will euch eine Zukunft und eine Hoffnung geben“ (Jer 29,11).

Die Situation Israels im Exil kommt der Situation der ausstehenden Versöhnung nahe, umschreibt sie. „Außen herum“ ist alles in Unordnung, nicht ist, wie es war. Und Jeremia  weist auf einen Trugschluss hin: es muss nicht erst außen herum „alles im Lot“ sein, um ein Leben zu führen, das Frucht tragen kann, um Zukunft und Hoffnung zu haben – im Gegenteil: gerade dann, wenn die „äußeren Umstände“ alles andere als klar sind, ist es eine „Zumutung Gottes“, sich um Fruchtbarkeit, um Zukunft , um Hoffnung zu mühen. Es ist Gottes, nicht des Menschen Sache, Fruchtbarkeit, Zukunft und Hoffnung zu schenken, der Mensch ist Mitarbeiter an und in den Plänen Gottes, selbst dann, wenn die äußere Situation alles andere als versöhnt erscheint. Leben so, dass es Frucht trägt, Zukunft hat, auf Hoffnung gründet – das scheint eine erste Richtung zu sein, die der Versöhnung zukommt.

Das äußere Exil

Jeremia kennt das äußere Exil Israels, die Verschleppung des Volkes. Petrus und die anderen Jünger kennen das innere Exil, die Erfahrung, nicht mehr bei sich selbst zu Hause sein zu können, aus Scham, aus Schuld ihrem Meister gegenüber. Johannes 21, die Begegnung des Auferstandenen am See, zeigt eine Parallele zu diesen Richtungen, die Versöhnung braucht, die auch mit Fruchtbarkeit, Zukunft und Hoffnung zu tun haben.

Das innere Exil

Die „Gruppe der Wegläufer“ begegnet sich einige Tage nach der Kreuzigung. Stellen Sie sich die Situation vor Augen. Wie mag das ausgesehen haben, welche Haltung nehmen die Jünger ein, wie schauen sie sich an? Können sie (noch? Wieder?) sich anschauen? Haben sie in ihren inneren Exilen Raum dafür, sich anschauen zu lassen? Geht ein „Weitermachen“, gar ein „Neuanfang“? Was hält die Elf zusammen nach dem Tode Jesu?

Einer ergreift das Wort, Petrus. „Ich gehe fischen“, sagt er, anknüpfend an dem, was vor der Schuld war. Zurück zu den Wurzeln, zurück zu „Los“, wie es beim alten „Monopoly“ hieß, ohne Prämien einzuziehen, so, als sein nicht gewesen. „Wir kommen auch mit!“, so die anderen. Beim PC würde man sagen: die „Reset-Taste“ drücken, die „Werkseinstellungen wiederherstellen“. „Aber in dieser Nacht fingen sie nichts!“ – wen wundert es. In dieser Einstellung mögen die Tage einem Uhrwerk gleich ablaufen, aber der Geschmack von Zukunft, Hoffnung, Fruchtbarkeit kann ihnen nicht abgewonnen werden.

Die Unterscheidung zwischen Schlund und Scham

Schuld braucht Vergebung, Scham braucht Empathie, heißt es weiter vorn im Heft. Beides drückt sich im „Anspruch“ des Auferstandenen aus. „Meine Kinder“, so spricht er die bedrückten Fischer an, und stellt so wieder Beziehung her. „Habt ihr nicht etwas zu essen?“ – die Fruchtlosigkeit, die Hoffnungs- und Zukunftslosigkeit ihres Tuns in der einen kleinen Frage ausgedrückt. Und dann der Zuspruch, der Neuanfang: „Werft das Netz auf der rechten Seite des Bootes aus, und ihr werdet etwas fangen.“ Die „rechte Seite“ – weniger eine Orts- denn eine Haltungsangabe! Da ist dann die Richtung der Versöhnung ausgedrückt: Fruchtbarkeit, Zukunft, Hoffnung. In diesem Zuspruch liegt Versöhnung drin, klingt Empathie mit.

Es rührt dann umso mehr an, dass gerade jetzt Petrus seine Nacktheit erkennt und sein bloßgestelltes Leben, sein inneres Exil wahrnimmt. Er gürtet sich das Obergewand um -, er springt in den See, dem Auferstandenen entgegen. Wenn Fruchtbarkeit, Zukunft und Hoffnung die Richtung sind, auf die hin Versöhnung geht, dann muss sie vom anderen her eröffnet werden – und sie, im inneren Exil lebend, als „Petrus“ zu erwarten oder zu erbitten ist eine erste und reife Vor-Leistung, um des anderen Vergebung annehmen zu können.

Am Ende: Gemeinschaft

Am Ende steht die Mahlgemeinschaft: „Kommt her und esst!“ Jesus nimmt das Brot und den Fisch und reicht es ihnen. Im Bild der Mahlgemeinschaft kommt alles zusammen: Vergebung und Empathie, fruchtbares Leben, Zukunft, Hoffnung. Sie sind nicht andere geworden, aber sie sind doch anders geworden. Nichts ist „weggenommen“, aber alles ist „vergeben“. Hegel kennt den dreifachen Begriff des „Aufhebens“: etwas bewahren – etwas in seiner Gültigkeit beenden – etwas auf eine höhere Stufe legen. All das gilt auch in diesem Versöhnungsgeschehen. Die Elf stehen vor- und miteinander zu ihrer Blöße, zu ihrem Versagen, beides hat seine Gültigkeit verloren, das Miteinander geshieht auf einer höheren, weil ehrlicheren Stufe. Die Erfahrung der Versöhnung hat sie nicht nur aus ihrem inneren Exil herausgeholt, sondern sie auch neu „gerichtet“: Fruchtbarkeit, Zukunft, Hoffnung geben wieder den Ton an.

Es kann hilfreich sein, die Trostworte des Jeremia zu höen oder sich selbst einzureihen in der Gruppe der Jünger, die mit Petrus mitkommen zum Fischen. WelcheStimmungen tauchen auf – vor, während, nach der Begegnung mit dem Auferstandenen?

Harald Klein, Köln