04. Fastensonntag – Den inneren Goldklumpen freilegen – Die Augen und das Herz öffnen

  • Predigten
  • –   
  • –   

Vom Gutsein des Menschen

Es gehört zu den Dingen, die mich gerade in der Feier der Osternacht immer wieder einholen. Sie wissen, dass im Schöpfungsbericht zu Beginn der Bibel Gott am Abend jeden Tages sein Tagewerk betrachtet und dass es über jedes Werk seiner Schöpfung heißt: Gott sah, dass es gut war. Aber wissen Sie auch, dass genau das bei der Erschaffung des Menschen fehlt?  Gut, sie bekommen einen Segen und einen Auftrag: „Seid fruchtbar und vermehrt euch…“, und dann übergibt Gott den Menschen seine Schöpfung. Und in einer alles in sich sammelnden Betrachtung heißt es dann, Gott sah alles an, was er gemacht hatte, und es war sehr gut. Der Mensch – als Teil der Schöpfung, als ein „Inklusionsmodell“ in Gottes Schöpfung, und nur deswegen gut?

Auch wenn es nicht ausdrücklich gesagt ist, glaube ich doch, dass die biblisch-alttestamentliche Sicht auf den Menschen ihn auch als „gut“ ansieht. Ich möchte glauben, dass der Mensch ein ursprüngliches Gutsein in sich trägt, buddhistisch gedacht: einen inneren Goldklumpen, der durch manches Tun und Erleiden verkrustet und verborgen in uns schlummert. Die Meditationslehrerin Marie Mannschatz sagt: „Den Goldklumpen in uns und in anderen zu erkennen, ihn freizulegen und zu polieren, darum geht es in der buddhistischen Lehre“[1] – und sicher nicht nur ihr!

Es wäre sicher der falsche Impuls, als Christ allein dem Heiligen Geist die Aufgabe des Freilegens und des Polierens des Goldklumpens zu überlassen; er mag die Führung übernehmen, aber das Arbeite ist auch und sogar zuerst unser Teil. Das gilt auch für die Entscheidung, den oder die anderen so anzuschauen, dass unser Blick den Goldklumpen in ihnen sucht und nicht an deren Verkrustungen hängen zu bleiben. Es gilt, meine Augen und mein Herz zu öffnen, mir selbst und denen neben und mit mir.

» Du wurdest geboren,
um die Herrlichkeit Gottes
zu verwirklichen,
die in uns ist.
Sie ist nicht nur
in einigen von uns,
sie ist in jedem Menschen. «
Nelson Mandela (1981-2013)

„Er-Innern“ – oder: Da war doch was…

Lassen Sie uns ans Werk gehen. Und lassen Sie uns die Lesungen des Sonntags als „Werk-Zeug“ nehmen, als Hilfe, das Werk des Freilegens und Polierens des Goldklumpens in uns zumindest ein Stück vorwärts zu bringen.

In der ersten Lesung wird das schwer gehen und schwerfallen. Da geht es um das Strafgericht über Jerusalem und die Gräueltaten, die den Goldklumpen des Volkes Gottes verkrustet haben. Genannt werden die Untreue der Priester Israels, das Entweihen des Heiligtums, das Verhöhnen der Boten Gottes und das Verachten der Botschaft, die sie bringen – bis es irgendwann keine Heilung mehr gab. Nebukadnezzar, der König Babylons, fällt ein und führt das Volk Israels im 6. Jahrhundert v.Chr. in die Verbannung nach Babylon. Siebzig Jahre Leben im Exil – das wünscht man niemandem, und doch lebt man es für sich selbst oft genug.

Wenn Sie den Text haben, lesen Sie ihn mit den Augen Ihres Herzens, bauen Sie sich eine Bühne und lassen Sie die Akteure spielen; und schauen Sie sich das Volk Gottes heute und bei Ihnen zu Hause an – Sie sind ein Teil davon. Sie können offenen Auges und offenen Herzens sehen und spüren, wie der Goldklumpen sich verkrustet. „Er-Innern“ Sie den Text: Da war doch was – bei mir, bei anderen.

..damit wir mit ihnen unser Leben gestalten

Nehmen Sie dann die zweite Lesung aus dem Epheserbrief. Paulus erinnert daran: „Denn aus Gnade seid ihr durch den Glauben gerettet, nicht aus eigener Kraft – Gott hat es geschenkt -, nicht aus Werken, damit keiner sich rühmen kann. Denn seine Geschöpfe sind wir, in Christus Jesus zu guten Werken erschaffen, die Gott für uns im Voraus bestimmt hat, damit wir mit ihnen unser Leben gestalten“

Den ersten Teil des Verses nehmen Sie als neutestamentlichen Beleg des inneren Goldklumpens. In den Worten des Paulus: Nicht aus Werken, aus dem Willen des Schöpfers heraus bist Du gerettet. Vergiss es nicht! Und der, und die neben Dir auch. Vergiss es nicht! Und nun lass Deinen Goldklumpen strahlen, poliere ihn auf, trage die Verkrustungen ab. Dazu habe ich, Dein Gott, Dir Hilfen und Helfende an die Seite gestellt. Mach Deine Augen auf und sieh Dich um. Da war, da ist doch was! Und: Öffne Dein Herz, gib denen Platz, die Dir guttun. Da war, da ist doch wer!

Ich bin sicher kein Freund der Vorbestimmungen, aber er Gedanke rührt mich immer wieder an: Gottes Geschöpfe sind wir, in Christus Jesus zu guten Werken – zu einem strahlenden Goldklumpen – erschaffen, die er im Voraus für uns bestimmt hat, damit wir mit ihnen unser Leben gestalten.

Wohin geht Dein Blick?

Bleibt das Evangelium. Und da genügt mir der erste Vers: „Wie Mose die Schlange in der Wüste erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, damit jeder, der glaubt, in ihm das ewige Leben hat.“

Die erhöhte, die hochgehaltene Schlange aus Kupfer: In Num 21 wird erzählt, die Israeliten murrten während der Wüstenwanderung auf, und Gott schickte Giftschlangen, die die Menschen bissen. Das Volk reute das Murren, Mose betete für das Volk, und Gott trug ihm auf, er solle eine kupferne Schlange machen und sie hochhalten. Alle, die von den Schlangen gebissen würden, würden überleben, wenn sie auf die Schlange schauen.

Noch einmal „Er-Innern“: Da war doch was… Wie steht es um Ihr Murren, Ihr Nicht-Einverstanden-Sein mit dem Leben? Spüren Sie das Gift der Schlangen, die Sie festhalten lassen wollen, die Ihnen andere Wege, andere Ziele vor Augen führen wollen, die Sie letztlich dazu leiten, ihren Goldklumpen verkrusten zu lassen? Wohin geht Ihr Blick? Wer gibt die Richtung Ihres Blickes vor – und was in Ihnen richtet sich nach diesem Blick. Anders: wer richtet Sie in Ihrem Blick? Das Evangelium schlägt Ihnen eine Richtung vor: Der erhöhte Menschensohn. Da war doch was, besser: Da war doch wer. Das hat was, oder besser: Der hat was.

IHM das Herz öffnen – und mir von IHM das Herz öffnen lassen

Die vierte der zehn Vollkommenheiten, die die buddhistische Frömmigkeit kennt, heißt „Metta“, übersetzt vielleicht mit „Wohlwollen, Sympathie, Freundlichkeit, Offenherzigkeit“ oder liebende Güte.“[2] Mit den drei Texten dieses Sonntags könnte es eine gute Möglichkeit sein, sich auszurichten auf Metta hin und aus Metta heraus, auf wohlwollendes Handeln und Denken, mir selbst und den anderen gegenüber. Mit Blick, auf den am Kreuz erhöhten Jesus, mit Blick auf sein Leben und Handeln, im Hinhören auf seine Worte, kurz: dadurch, dass ich ihm mein Herz öffne und ihm mit wachem Blick begegne, lasse ich mir von ihm mein Herz öffnen, für mich selbst und für die um mich herum. Ich schaue auf meine, Sie schauen auf Ihre „Geschichte“ – und wir entscheiden uns gemeinsam, in und trotz allem auf „Heilsgeschichte“ zu hoffen. Und darauf, dass der Goldklumpen zum Leuchten kommt und leuchten darf. Ihnen zur Freude, mir zur Freude, denen zur Freude, die mit denen wir unser Leben gestalten dürfen, und all dem und denen zur Freude, die Gott für uns im Voraus bestimmt hat.

Das soll unseren Blick lenken.
Dahin soll der Blick gehen an diesem Sonntag.

Amen.

Köln 09.03.2021
Harald Klein

[1] Mannschatz, Marie (2019): Vollkommen unvollkommen. Zehn Qualitäten, die das Beste in uns hervorbringen, München, 9.

[2] a.a.O., 85.