Weihnachten: Enttäuschung – Freude – Überraschung

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Einatmen. Ausatmen. Weitermachen – in der Heiligen Nacht

Mittlerweile sind Sie mit dem Dreischritt „Einatmen. Ausatmen. Weitermachen.“ schon sehr vertraut. Und er scheint für das Weihnachtsfest, für die Feier der Geburt Christi wie gemacht. Schauen Sie sich das Weihnachtsevangelium einmal mit dieser „Brille“ an.

Einatmen. Ausatmen. Weitermachen – in der Enttäuschung

Da ist die Rede vom Volk, das im Dunkel lebt – und sie können bei den Völkern in den Kriegsländern beginnen und in ihren eigenen Dunkelheiten aufhören. Wie überleben Völker Dunkelheiten, wie kommen Sie aus Ihren Dunkelheiten heraus? Einatmen. Ausatmen. Weitermachen. Und wie gut tut es dabei, im Innehalten des Laufes des Hamsterrades ein Licht aufstrahlen zu sehen. In der Zeit der Dunkelheit, den Enttäuschung statt einfach weiterzulaufen innezuhalten und Ausschau zu halten, um dann vielleicht etwas ruhiger weiterzumachen, das wäre es. Oder noch besser: Mit viel Vertrauen einatmen, ausatmen, um sich finden zu lassen – es sind manchmal die gar nicht geplanten Geschehnisse, die das Weitermachen verändern. In der Jesaja-Lesung ist das das Kind, das uns geboren ist, das das „Weitermachen“ in dieser Welt grundlegend zu verändern vermag.

Da ist die Enttäuschung in der Herbergssuche von Josef und Maria, die Momente, in denen sie abgewiesen werden, die Phasen des Weitersuchens, und schließlich der Stall die Krippe. Anklopfen und abgewiesen werden, vielleicht kennen Sie das persönlich, vielleicht sogar in Ihren Familien, im Freundes-, im Kollegenkreis. Und auch hier gilt: Einatmen. Ausatmen. Weitermachen. Ich denke an die Menschen, die ihre Arbeit verloren haben, die ihrer Heimat verlustig sind, die – sei es durch Krankheit, sei es durch andere Schicksalsschläge – isoliert dastehen und denen es, zumindest gefühlt, ans Leben geht. Einatmen. Ausatmen. Weitermachen – wer atmet, der kommt nicht in Panik, ein einfacher Lehrsatz aus der Psychotherapie. Und wer weiß, was aus der Einfachheit der Krippe, der neuen Begegnung, des neuen Ortes alles entstehen kann.

Einatmen. Ausatmen. Weitermachen – in der Freude

Da sind die Engel, und da ist der eine Engel, der den Hirten erscheint. Er erzählt ihnen von der Freude, die dem ganzen Volk zuteil werden soll. „Good Vibrations“, so heißt ein Lied der Beach Boys aus meiner Jugendzeit. Kennen Sie das, dass Menschen Ihnen mit solchen „good vibrations“, mit guten Schwingungen begegnen, und können Sie nachempfinden, was das in Ihnen auslöst? Es braucht diese Momente der Stille zwischen Ein- und Ausatmen, um diese Schwingungen zu spüren, zu verkosten. Besinnliche Tage an Weihnachten haben, das kann meinen, zwischen den Zeiten des Ein- und des Ausatmens der Freude nachzuspüren über das was ist, um dann anders weiterzumachen. Das kann heißen, dem Loblied des Engelschores vom Frieden auf Erden zu lauschen, und es voll Vertrauen nachklingen zu lassen, mich von ihm in Bewegung setzen zu lassen, auch dann, wenn die Engel die Hirten wieder verlassen und zurück in den Himmel kehren. Der Dienst der Engel an den Hirten, und der Dienst der Engel an uns:  Ausatmen. Einatmen. Weitermachen – im Vertrauen auf das Lied und die Botschaft, die wir vernommen haben.

Einatmen. Ausatmen. Weitermachen – in der Überraschung

Und schließlich sind da die Hirten auf dem freien Felde. Nachdem die Engel sie verlassen hatten, brechen sie auf nach Bethlehem, finden Maria mit dem Kind, erzählen, was ihnen geschehen ist, und kehren dann zurück zu ihrer Herde, Gott lobend und preisend. Steigen Sie doch einmal geistlich, spirituell auf diesen Weg der Hirten mit ein. Stellen Sie sich vor, das Wort der Freude, von den Engeln verkündet, gälte Ihnen. In der Ruhezeit zwischen Ein- und Ausatmen lassen Sie die Botschaft der Engel vom Frieden auf Erden und vom Lobe Gottes in Ihnen nachklingen. Und erst dann machten Sie weiter, brechen Sie auf, in die Armut der Welt und der Menschen. Wen würden Sie antreffen, wahrnehmen, bemerken, was würden sie sehen? Das ist der Weg der Hirten: Die Herde für eine Weile zurücklassen, auf die Botschaft der Engel hin Neuland suchen, dem Kind in der Krippe begegnen, von dem erzählen, was ihnen begegnet ist, und dann zurückkehren zur Herde. Weitermachen – aber wohl sehr verändert. Wieder diese Bewegung: Einatmen. Ausatmen. Weitermachen. In dieselbe Bewegung werden sich dann auch die Weisen aus dem Morgenlande einschwingen.

Einatmen. Ausatmen. Weitermachen – am Weihnachtstag

Zugegeben, der Prolog aus dem Johannesevangelium ist für die, die der Liturgie kundig sind, eher im Sinn als die Lesung aus dem Jesaja-Buch. Dennoch mag ich mit ihr beginnen.

Jesaja schreibt: „Horch, deine Wächter erheben die Stimme, sie beginnen alle zu jubeln. Denn sie sehen mit eigenen Augen, wie der Herr nach Zion zurückkehrt. Brecht in Jubel aus, jauchzt alle zusammen, ihr Trümmer Jerusalems! Denn der Herr tröstet sein Volk, er erlöst Jerusalem.“ Um Hören oder Sehen zu können, braucht es den stillen Moment zwischen Ein- und Ausatmen. Und in diesem stillen Moment muss etwas in mir geschehen, muss mich etwas anrühren oder innerlich berühren, damit ich in Jubel ausbrechen kann. Kennen Sie diese Momente? Manchmal brechen sie sich selbst die Bahn. Aber die stille Zeit zwischen Ein- und Ausatmen und vor dem Weitermachen ist so etwas wie eine kleine geistliche Übung, ein Training der Seele, aus dem tieferen Hören und Sehen ins Handeln, ins verwandelte Weitermachen zu kommen.

Und dann der Johannes-Prolog: „Das Licht leuchtet in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht erfasst.“ – „Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf.“ – „Das Wort ist Fleisch geworden, und hat unter uns gewohnt.“ Wieviel Ruhepausen zwischen Ein- und Ausatmen braucht es, um die Worte des Johannes-Prolog genau so tief in sich aufnehmen zu können wie dieses „Horcht“ und „Seht“ des Jesaja, damit die Worte mein „Weitermachen“ verwandeln können. Sie haben einen freien Tag. Lassen Sie diese Verheißungsworte einmal in Ihnen zum Klingen kommen, und schauen sie, was dann in Ihnen, in Ihrer Seele, in Ihrem Herzen geschieht.

Ein weihnachtliches Innehalten

Einatmen. Ausatmen. Weitermachen. Diese „Brille“ setze ich mir selbst auf und biete sie Ihnen an, um den Weihnachtsfestkreis für sich persönlich zu deuten. Eines meiner liebsten Weihnachtslieder ist das „Ich steh an Deiner Krippe hier.“ Die Krippe steht noch einige Tage. Gehen Sie ab und an mal hin. Nehmen Sie die mit, die zu Ihnen gehören, und das, was Sie belastet und freut. Mit den Engeln: Einatmen – und schauen. Ausatmen – und singen. Weitermachen – und dorthin gehen, von wo Sie gekommen sind. Mit den Hirten: Einatmen – und schauen. Ausatmen – und Erzählen, was Ihnen widerfahren ist, was ihnen gerade widerfährt. Weitermachen – und zurück zur Herde, in den gewohnten Alltag gehen. Mit Maria und Josef: Einatmen – und schauen. Ausatmen – und staunen. Weitermachen – und gespannt sein, was die Worte, die sie treffen und die Sie bewahren, in Ihrem Leben noch auslösen werden. Mit Jesaja: Einatmen – und sehen und staunen. Ausatmen – und die Auswirkungen dessen, was ich sehe und höre, an mir erfahren. Weitermachen – und verwandelt gehen. Mit Johannes: Einatmen – und nach dem Wort Ausschau halten, das Fleisch geworden ist. Ausatmen – und sich dem überlassen, der in Sein Eigentum kam, ihn als den Eigentümer Ihres Lebens annehmen. Weitermachen – als Werkzeug dessen, der die Welt in sein Eigentum verwandeln will.

In diesem Sinne Ihnen und den Ihren ein gesegnetes Weihnachtsfest, ganz im Rhythmus des Einatmens, des Ausatmens und des verwandelten Weitermachens,

Amen.

Dresden, 24.12.2018
Harald Klein