02. Sonntag im Jahreskreis – Gottes Stimme hören

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Wieder mal die alte Leier

Die in der Antike schon benutzte Leier hatte nur wenige Saiten, war meist auch auf eine festgelegte Tonlage abgestimmt, ihre Melodie wiederholte sich von daher oft im Klang und in den Tonfolgen und hatten etwas von Eintönigkeit.

Sie können verstehen, warum ich von „immer der gleichen Leier“ spreche, und das mit Blick auf das Evangelium. Die Kindheitsgeschichte, der Weihnachtsfestkreis, ist beendet, jetzt geht es in den galiläischen Frühling, in die Zeit der Berufungen der Jünger, in deren Lehrzeit und in die Zeit des ersten öffentlichen Auftretens Jesu mit seinen ersten Predigten, Heilungen, Wundern. Wie gesagt, die alte Leier, nichts Neues unter der Sonne. Wenn Sie das Evangelium hören oder lesen und dort der Frage der beiden Jünger begegnen: „Rabbi, wo wohnst du?“, dann können Sie sicher im Geiste das „Kommt und seht!“ Jesu mitsprechen.

Ein wenig kundiger müssen Sie schon sein, wenn Sie dem jungen Samuel im Jerusalemer Tempel zuschauen, wenn der Herr ihn ruft – gleich dreimal; und dreimal läuft er zu seinem Herrn, zum Hohepriester Eli, weckt ihn und sagt: „Hier bin ich.“ Beim dritten Mal rät Eli, auf den Ruf Gottes zu antworten „Rede, Herr, Dein Diener hört.“ Kennen Sie wahrscheinlich auch, oder? Wie gesagt: Die alte Leier!

Wenn die Worte auch gleich sind…

Aber Achtung: Wenn die Worte auch gleich sind, Sie sind anders! Da wird ein Jahr dazwischen liegen, zwischen dem letzten Hören der Texte und den Worten in diesem Jahr. Sie werden nicht mehr derselbe oder dieselbe sein wie im letzten Jahr, kurz nach Weihnachten. Das ist die erste Frage, die zu Beginn dieses galiläischen Frühlings zu beantworten ist, wenn Sie spirituell wach bleiben wollen: Trauen Sie den Worten der Schrift (oder anderen Worten) zu, dass sie Ihnen etwas zu sagen haben, obwohl Sie die Worte schon lange kennen, sie Ihnen vertraut sind? Wie gesagt: Wenn die Worte auch gleich sind, Sie sind es nicht! In der Achtsamkeitsmeditation gibt es den „Anfängergeist“, in dem Sie Dinge, Ereignisse, Beziehungen so betrachten können, als sähen Sie sie zum ersten Mal – in der Philosophie würde man von einem phänomenologischen Ansatz sprechen. Das Alte „neu“ hören, weil Sie „neu“ und „anders“, weil Sie ein anderer, eine andere geworden sind.

Da rief der Herr den Samuel…

Eine zweite Frage aus diesen zumindest mir so bekannten Texten, genau genommen sind es zwei Fragen. Die Lesung erzählt: „Da rief der Herr den Samuel, und Samuel antwortete: Hier bin ich […] Samuel kannte den Herrn noch nicht, und das Wort des Herrn war ihm noch nicht offenbart worden.“ Die Frage, die daraus erwächst, ist: „Glauben Sie, vertrauen Sie darauf, dass der Herr ruft, Sie ruft, Sie anruft, Sie anspricht? Dass er ein Wort für Sie hat, nur und ganz allein für Sie? Und darauf erwächst die nächst Frage: Woran würden Sie erkennen, dass es die Stimme des Herrn ist, die Sie da ruft? Samuel kannte den Herrn noch nicht, und dreimal ruft er seinen Hohepriester Eli aus dem Schlaf. Wie muss die Stimme klingen, damit Sie erkennen: Es ist der Herr, der mich ruft? Lassen Sie alte Erwartungen einmal fahren, hören Sie die Stimme im Anfängergeist. In der Lesung sind die Verse 11-18 weggelassen, hier wird erzählt, was der Herr dem Samuel sagt. Wichtiger als der Inhalt ist das Erkennen dessen, der spricht. Das ist hier die Frage: Wie klingt die Stimme, dass Sie in ihr die Stimme des Herrn erkennen?

Komm und sieh…

Ging es eben um das Hören, so geht es jetzt um das Sehen. Stellen Sie sich vor, die Stimme des Herrn würde Ihnen auf Ihre Frage „Wo wohnst Du?“ antworten: „Komm und sieh!“ Sie folgten, Sie gingen mit – etwas flapsig gesagt: in Jesu Bude, angemessener ausgedrückt: in seinen Lebensraum, in seine Lebenswelt. Was würden Sie sehen, was dort erleben, damit Sie Ihrem Bruder Simon sagen könnten: „Wir haben den Messias gefunden.“ Machen Sie nicht viele Worte, aber nehmen Sie sich – im Anfängergeist – eine Zeit des Gebetes und schauen Sie sich um, bei Jesus zu Hause.

» Die Vergangenheit hat mich gedichtet
ich habe
die Zukunft geerbt.
Mein Atem heißt
jetzt «
Ausländer, Rose (1981): Mein Atem heißt jetzt, Frankfurt/Main, 5.

Anfängergeist statt alter Leier

Der Charme von Silvester/Neujahr ist schon ein wenig verblasst, und dennoch kann es die Bereitschaft zum Anfängergeist sein, im neuen Jahr eine neue Melodie Gottes vernehmen zu wollen.

Da ist die Frage nach den „alten“ Worten – auf wen, auf was treffen sie neu, wenn sie heute Sie treffe

Da ist die Frage nach dem Klang der Stimme des Herrn – wie muss sie klingen, damit Sie sie als des Herren Stimme erkennen – und zwar Ihnen ganz allein geltend, wirklich und nur für Sie?

Da ist die Frage nach der Lebenswelt Jesu und seinem Lebensraum – könnten Sie es sich „einrichten“, dass er sich bei Ihnen wohl fühlen, sich bei Ihnen „wie zu Hause“ fühlen könnte? Was müssten Sie angehen dafür, und was erweist sich als überflüssig?

Ich wünsche Ihnen den Anfängergeist, der eine Sehnsucht danach hat, angesprochen zu werden, und der eine Ahnung davon hat, wie die Stimme des Herrn klingt.  Den Geist, der bei Jesus zu Hause ist – und bei dem Jesus dann zu Hause sein kann. Lassen Sie sich überraschen – auch von der scheinbar „alten Leier“.

Amen.

Köln, 17.01.2021
Harald Klein