Maria – wie ein weiblicher Johannes
Da kommen die „Alltagsgottesdienste“ mit der Betrachtung des Alltags Jesu aus dem Lukas-Evangelium in den 33 „Sonntagen im Jahreskreis“, und an deren erstem, der wegen der vorangegangenen Woche aber „Zweiter Sontag“ heißt, holen die für den Gottesdienst Verantwortlichen noch einmal das Johannes-Evangelium heraus. Wie nebenbei zeigen sie den Zusammenhang zwischen Maria und Johannes dem Täufer. „Nach mir kommt einer, der stärker ist als ich“, heißt es in Lk 3,16. Johannes verweist auf Jesus, der sich doch von ihm, von Johannes, taufen lässt.
In ähnlicher Rolle ist Maria bei der Hochzeit von Kana. Sie und Jesus sind dort eingeladen. Als der Wein ausgeht, sagt die Mutter zum Sohn: „Sie haben keinen Wein mehr.“ Und Jesus erwidert unwirsch: „Was willst du von mir, Frau? Meine Stunde ist noch nicht gekommen.“ Maria wendet sich den Dienern zu und sagt: „Was er euch sagt, das tut!“
Hier ist er, der johanneische Verweis Mariens auf Jesus. Hätte Mathias Grünewald die Szene gemalt, er hätte der Maria einen ebenso langen Zeigefinger geben können wie dem Johannes am Isenheimer Altar, als er auf Jeus zeigt.
„Was er euch sagt, das tut!“
Dieser Verweis des Johannes und Mariens auf Jesus ist auch problematisch. Es gibt da verschiedene Lesarten.
„Was er euch sagt, das tut“: Die biblischen Fundamentalisten könnten sagen: „Aber Jesus sagt doch in Joh 2,4…“ – und sind ganz beim „Wort des lebendigen Gottes“, nicht wissend, ob es hier um Worte des verkündigenden oder des verkündigten Jesus geht. Aber egal, wie: Das Hören dieser Worte und das Hören auf und Leben nach diesen Worten schafft Gemeinschaft.
„Was er euch sagt, das tut“: Die ekklesiologischen Fundamentalisten könnten sagen: „Jesu Worte sind aus anderen Zeiten, sind nicht zeitgemäß. Aber aus ihnen folgt, was wir studierten Theologen euch jetzt sagen…“ – und sie tragen vor, was Jesus heute von uns will, was er uns in seinen Worten aufträgt. Das Hören dieser Worte und das Hören auf und Leben nach diesen Worten gestaltet Gemeinschaft.
„Was er euch sagt, das tut“: Die moraltheologischen Fundamentalisten könnten sagen: „Jesus nennt doch die Werke der Barmherzigkeit. So, wie Jesus mit den Menschen umgegangen ist, so sollen wir miteinander umgehen. Wir zeigen euch, wie es gelingt, die Haltungen Jesu aus der Schrift im heutigen Alltag umzusetzen.“ – Das Hören dieser Worte und das Hören auf und Leben nach diesen Worten unterscheidet Gemeinschaft.
Und doch: ich weiß nicht, ob ich mich freuen oder mich fremdschämen soll, dass sich Menschen von außen, außerhalb meiner und außerhalb meines Lebens und Erlebens anmaßen, mir sagen zu wollen, wie gelingendes Leben geht. Ich weiß nicht, ob es mehr Anmaßung oder mehr Zumutung ist, mir sagen zu wollen, dass sie den Anspruch haben, an Jesu statt zu mir zu reden!
» Liebe und tu, was Du willst. «
Die Spielregel Gottes!
„Er sagte zu ihnen: ‚Schöpft jetzt! …“
Du kennst die Geschichte der Hochzeit von Kana und weißt, wie sie weitergeht: Das erste Wort Jesu an die Diener, die mit ihren leeren Krügen wie belämmert dastehen, ist „Füllt die Krüge mit Wasser!“ Als sie bis zum Rand gefüllt war, sagt er zu ihnen: „Schöpft jetzt!“ – und das Wasser ist zu bestem Wein geworden.
Für mich ist dieses „Schöpft jetzt!“ der Verweis Jesu auf sich selbst. Mehr noch: es ist Jesu Verweis auf das Wunder, das schon da ist, es ist sein Verweis an mich, selbst aus dem Eigenen zu schöpfen.
Ob du es in der Gegenwart der Kirche und des Kirchlichen suchst, in der den vielen Spiritualitäten des Westens und des Ostens, in den Manifestationen des Göttlichen in der Musik, der Literatur, oder in den Werken der Kultur oder der Kulturen: für mich – verstehe es als Angebot, nicht als Setzung – ist alles, was mich innerlich freier macht, alles, was mich liebes- und leidensfähiger macht, und alles was mich zum Genießer, zum Liebhaber des Lebens macht, das, was in den Krügen der Hochzeit von Kana ist. Daraus will ich schöpfen, das ist der gute Wein, den Jesus bis jetzt aufbewahrt hat.
Die biblischen, ekklesiologischen und moraltheologischen Fundamentalisten können dir raten, können sagen, was sich ihnen (!) in den Zeiten der Muse oder des Studiums bzw. des Gebetes gezeigt hat. Sie stehen aber nicht „außerhalb des Systems“, sie haben nicht das Recht, dich oder mich zu lenken. Wenn dir deine Meditation, deine Suche nach dem Göttlichen den „Gott in dir“ zeigt, wie es bei den Mystikern war, dann höre auf ihn, höre auf diese (!) Stimme, tue, was sich dir zeigt!
Christus in Dir – Christus außerhalb Deiner
Es sind die Mystiker, nicht die Lehrer, und es ist die Liebe, nicht die Lehre, die in dir zu sprechen vermögen. Was du in der Meditation oder Gebet, in Exerzitien oder auf der Straße, in den vielfältigen Weisen der Berührung durch Gottes Geist, durch sein Wort „hörst“, das (!) tue. Drei Worte des Mystikers Meister Eckhardt (1260-1328) auf den Christus in Dir hin, der sich unterscheidet vom Christus außerhalb Deiner, möchte ich abschließend auf den Weg durch den Alltag, durch die Woche, durch das Jahr mitgeben.
Das erste: „Immer ist die wichtigste Stunde die gegenwärtige; immer ist der wichtigste Mensch, der dir gerade gegenübersteht; immer ist die wichtigste Tat die Liebe.“
Das zweite: „Du brauchst Gott weder hier noch dort zu suchen; er ist nicht weiter als vor der Tür des Herzens. Dort steht er und harrt und wartet.“
Das dritte: „Jegliche Kreatur ist Gottes voll und ist ein aufgeschlagenes Buch, und wer darin recht zu lesen weiß, der braucht keine Predigt mehr.“[1]
Ich wünsche Dir viel Freude beim Lesen, beim Entdecken, und beim „Hören mit den inneren Ohren“, und was er sagt, was er dir sagt, das tue.
Amen.
Köln, 17.01.2025
Harald Klein
[1] Sämtliche Zitate sind entnommen aus [online] https://www.aphorismen.de/suche?f_autor=2590_Meister+Eckhart [15.04.2023]