03. Sonntag im Jahreskreis – Unbenetzt unterwegs sein

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Berufen, Menschen zu fischen

Man geht auch als Kleriker einen geistlichen Weg, und Erfahrungen, vor allem aber auch Begegnungen im weltlichen wie im geistlichen Leben können dazu führen, dass so ein geistlicher Weg nicht nur geradeaus und nach oben, sondern oft genug gewunden und abwärts führt und den, der auf ihm geht, in alle Kurven, nach oben oder unten mitnimmt. Solange dabei das Ziel, solange dabei Christus im Blick bleibt, ist das nichts Schlimmes!

Bei der Berufungsszene von Simon und Andreas, dann von Jakobus und Johannes muss ich schmunzeln. Dreimal ist in diesem Evangelium vom Netz die Rede, sind doch alle vier Männer Fischer von Beruf. Als wollte Jesus ihnen ihre neue Aufgabe, besser: ihre Berufung deutlich machen, ist von ihm überliefert: „Kommt her, mir nach! Ich werde Euch zu Menschenfischern machen.“

Vor dreißig Jahren fand ich diese Szene wunderbar. Die einen werden aus ihrem alten traditionellen Beruf herausgerufen, bei den anderen beiden sind sogar eigens die familiären Bande genannt, die sie hinter sich lassen, um Christus zu folgen. Was für ein Abenteuer, die Entscheidung der Nachfolge Christi, da hört man die Befreiung von Altem und von den – Verzeihung! – Alten heraus.  Alles und alle hinter sich lassend, um Menschenfischer für Christus zu werden. Wie gesagt: Vor dreißig Jahren hatte das etwas sehr Anziehendes für mich.

» Dies ist das Eigentümliche jeder wirklichen Berufung: zu erfahren, dass es keine Macht gibt noch geben kann, die imstande wäre, Menschen in den Gefängnismauern des Irdischen einzukerkern. «
Drewermann, Eugen (5. Aufl. 1989): Das Markusevangelium. 1. Teil. Bilder von Erlösung, Freiburg, 162.

Was Petrus mit Eddi Arendt verbindet

Kleiner Exkurs: Es sind zum einen die Edgar-Wallace-Filme, zum anderen die Karl-May-Verfilmungen der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts, in denen Eddi Arendt in humorvollen Rollen entweder einen schrulligen Scotland-Yard-Detektiv oder einen Pressefotografen spielte, in den Karl-May-Verfilmungen war er häufig als abenteuerlustiger, aber tollpatschiger englischer Lord zu sehen. Einer der Filme zeigt ihn – jetzt wieder zur Predigt – mit einem Netz, einem Kescher, wie er hinter Schmetterlingen hinterherjagt, die er sammeln und katalogisieren will. Ein kindliches Gemüt kann sich so in etwa den Menschenfischer für Christus vorstellen – mit einem Schmetterlingskescher, mit dem er zuschlägt, um die arme Seele zu fangen. Man könnte lachen, wenn es nicht so traurig wäre. Die Zwangstaufen in der Kirche, vor allem in ihrer Missionsgeschichte, ist alles andere als zum Lachen. Und schauen Sie sich mal die Gebote und Verbote des Katechismus an – auch da könnte man meinen, sie hätten etwas von einem Menschen fangenden Kescher. Freilassend ist das allemal nicht.

Als Sozialarbeiter ist mir dieses Bild vom Menschenfischer völlig verloren gegangen, mehr noch: beinahe widersinnig vorgekommen. Um den Menschen zu dienen, ist das Gegenteil die Voraussetzung – nicht Menschenfischer sein, sie nicht fangen wollen, sondern ihnen das Gehen in Freiheit ermöglichen. Und ihnen zu helfen, die Netze, die sie als „Sklavenhypothek“[1] binden, abzulegen. Habe ich vor dreißig Jahren noch laut „Hier“ geschrien, wenn es um das Fischen von Menschen für Christus ging, sage ich heute“ „Da sei Gott vor!“ Wie gesagt, geistliche Wege müssen nicht immer geradeaus führen – Hauptsache, das Ziel geht nicht dem Blick verloren.

» Ein Mensch lebt nicht von dem, was er erarbeitet, um zu leben. Was ein Mensch ist, ergibt sich aus der Wahrheit, die in ihm liegt und zu der er berufen ist. «
Drewermann, Eugen (5. Aufl. 1989): Das Markusevangelium. 1. Teil. Bilder von Erlösung, Freiburg, 166.

Die Netze liegen lassen

Bleibt die Frage, was es heute meinen kann, sich von Christus rufen zu lassen. Und wofür sich von ihm rufen lassen. Drei entscheidende Momente gibt es in dieser Szene des Evangeliums: (1) dass sie ihm, dass sie Jesus nachfolgen – die Aufgabe ist zweitrangig; (2) dass der Beruf und sogar die Herkunftsfamilie hintangestellt wird; und (3) dass die Netze liegenbleiben!

» Wir sind nicht berufen, Kinder von Menschen zu sein und zu bleiben; wir besitzen die Fähigkeit, Kinder Gottes zu werden. «
Drewermann, Eugen (5. Aufl. 1989): Das Markusevangelium. 1. Teil. Bilder von Erlösung, Freiburg, 168.

Zum ersten: Es muss etwas von der Person Jesu ausgehen, dass die Menschen dazu bringen, „sogleich“ (Mk 1,18.20) alles stehen und liegen zu lassen und ihm zu folgen. Ob es seine Botschaft vom Reich Gottes ist und von Gott, dem Vater aller? Oder ob es die Art und Weise ist, wie er auftritt? Das wäre eine erste Frage auch an Sie, an mich: Was ist es an der Person Jesu, das mich aufhorchen lässt, dass mich aufbrechen lässt?

» Die erste Frage unseres Lebens ist nicht, was wir gelernt haben, als wir noch Kinder waren; die Frage ist, wie wir es wagen, selber zu denken und einander so offen zu begegnen, wie es der Augenblick erfordert. «
Drewermann, Eugen (5. Aufl. 1989): Das Markusevangelium. 1. Teil. Bilder von Erlösung, Freiburg, 168f.

Zum Zweiten: Es muss etwas Verlockendes haben, dass mich Abschied nehmen lässt von Altbewährtem, von Traditionen, vielleicht sogar von meinen gewohnten Tätigkeiten und von meiner Familie. Das wäre eine zweite Frage auch an Sie, an mich: Welche Inhalte der Botschaft Jesu, welche Kräfte im Umgang mit dem Heiligen sind verlocken und befreiend, aber auch umgekehrt: welche Botschaften auch der Kirche und welche Kräfte im Umgang mit ihr haben den Geschmack von „Sklavenhypothek“?

Zum Dritten: Die Netze bleiben liegen, bleiben im Boot zurück! Mehr und mehr möchte ich auf einem geistlichen Weg lernen, nicht als „Menschenfischer“ aufzutreten, und ich meide den Kontakt zu Menschen in der Kirche, die sich als solche ausdrücklich verstehen. Das Geschenk der Christusbegegnung ist doch, selbst denken und einander so offen begegnen zu können, wie es der Augenblicke erfordert.[2]

» Wenn wir einmal merken, zu welcher Freiheit wir berufen sind, und wie wenig uns die Kräfte binden, die wir wie unsichtbare Stricke jeden Tag als Sklavenhypothek durch unser Leben schleppen, beginnen wir zugleich zu spüren, welch eine Kraft die Entscheidung für Christus zu vermitteln vermag. «
Drewermann, Eugen (5. Aufl. 1989): Das Markusevangelium. 1. Teil. Bilder von Erlösung, Freiburg, 170.

Vielleicht ist gerade der Kairos des Rufes Christi, ihm nachzufolgen („Kommt her, mir nach!“ – Mk 1,17) – und gleichzeitig der Kairos der Abkehr von allem, von denen, die mit Netzen aller Art versuchen, die Menschen zu fangen, zu binden, unter Kontrolle zu halten. Menschen, die für Christus gehen, ebenso Menschen, die mit Christus gehen, gehen „unbenetzt“, weil sie niemanden fangen oder festhalten wollen. Und weil sie die Hände und den Kopf frei haben wollen, um von sich (und wenn gewünscht, auch von anderen) abzustreifen und wegzunehmen, manchmal auch wegzureißen, was nach Menschenfischerei riecht. Lassen Sie sich nicht ködern, und gehen Sie niemandem ins Netz – denken Sie dran: Die ersten Jünger ließen sie liegen, und Christus hatte keines.

Amen.

Köln, 21.01.2021
Harald Klein

[1] Drewermann, Eugen (5. Aufl. 1989): Das Markusevangelium. 1. Teil. Bilder von Erlösung, Freiburg, 170.

[2] Vgl. Drewermann, Eugen (5. Aufl. 1989): Das Markusevangelium. 1. Teil. Bilder von Erlösung, Freiburg, 168f.