04. Sonntag im Jahreskreis – Anhaften am Dämonischen

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Jesus tritt in Erscheinung

Das Markusevangelium, von dem man vermutet, es sei das älteste und erste der vier Evangelien, hat einen ersten Teil, der aber nur 13 Verse umfasst und von der Vorbereitung des öffentlichen Wirkens Jesu spricht. Hierzu gehören der Verweis auf Johannes den Täufer, der Jesus ankündigt, die Taufe und die Versuchung Jesu. Der andren Teile sind überschrieben mit „Das öffentliche Wirken Jesu in Galiläa“, dann die „Wanderungen Jesu außerhalb von Galiläa“ und „Das Wirken Jesu in Jerusalem“, dem sich dann „Leiden und Auferstehung Jesu“ anschließen.

Das Evangelium heute spiegelt einen Anfang wider. Nach einem kurzen Hinweis, Jesus verkünde, die Zeit sei erfüllt, das Reich Gottes sei nahe, und er rufe zur Umkehr und zum Glauben an das Evangelium auf, nach den ersten Jüngerberufungen, ist das heutige Evangelium so etwas wie ein erstes öffentliches Auftreten Jesu, nicht irgendwo am See oder auf dem Feld, sondern institutionell und „amtlich“ in der Synagoge, dem Lehrhaus in Kafarnaum.

» Gebt jedem Problem, jeder Erfahrung einen einfachen Namen. Benennt den Geist, der mit Freude gefüllt ist, und den Geist, der mit Ärger erfüllt ist, benennt das Auftauchen und das Entschwinden von Erfahrungen. So wird euer Verständnis auf natürliche Weise wachsen . «
Mannschatz, Marie (2. Auflage 2010): Buddhas Anleitung zum Glücklichsein. Fünf Weisheiten, die Ihr Leben verändern, München, 16.

Wie einer, der Vollmacht hat

Jesus tritt in Erscheinung, in der Synagoge, zunächst als Lehrer, als einer, der Vollmacht hat, so erleben es die Menschen in der Synagoge. Das ist die erste Stelle, an der ich Sie bitte, sich dieses Wort auszumalen: einer, der Vollmacht hat! Im bürgerlichen Staat ist der Begriff klar. Der Streifenpolizist, der mich ausbremst, weil ich zu schnell war, hat von Staats wegen, besser: von Rechts wegen die Vollmacht, mir ein Bußgeld abzufordern. Aber ein Mensch, der lehrt, wie einer der Vollmacht hat…? Wie klingt dieses Wort für Sie? Und kommt Ihnen da jemand in den Sinn? Mehr noch: Wie steht es um Ihre Vollmacht? Worin, wem gegenüber, in welchen Zusammenhängen, Aufgaben, Ideen sind Sie bevollmächtigt, vollmächtig, voll mächtig?

Wie dem auch sei, für unser Evangelium genügt es sich Jesus vorzustellen wie einen, der in Vollmacht lehrt. Ohne diese Vollmacht, die wirkmächtig ist, die bei den Zuhörern etwas bewirkt – sie waren voll Staunen über seine Lehren – bleibt der Rest unverständlich.

» Der träge Mensch lebt am liebsten unter der Bettdecke und vergeudet seine Energien mit Nebensächlichkeiten, die ihn von der Erfüllung vorrangigere Aufgaben abhalten. Auf der Gefühlsebene dominiert Lustlosigkeit, zuweilen auch ein dumpfer Trotz. Nichts macht Freude. Wozu Aufstehen, wenn es kein Entrinnen gibt aus dem selbst fabrizierten Labyrinth von Gewohnheiten? Das Neue, das Unbekannte wirkt so bedrohlich, dass es besser nicht wahrgenommen wird. «
Mannschatz, Marie (2. Auflage 2010): Buddhas Anleitung zum Glücklichsein. Fünf Weisheiten, die Ihr Leben verändern, München, 76.

„Was habe ich mit Dir zu tun?“

Für die Predigt Jesu und ihre Folgen braucht der Evangelist Markus nur zwei Verse. Das Wichtigere, die Begegnung mit dem von einem Dämon Besessenen braucht es dreimal soviel, es scheint ihm wirklich das Wichtigere zu sein. Da sitzt in der Synagoge ein Mensch, der von einem unreinen Geist besessen war. Das ist die zweite Stelle, an der ich Sie bitte, sich dieses Wort auszumalen: einer, der von einem unreinen Geist besessen war. Wie klingt dieses Wort für Sie? Und kommt Ihnen da jemand in den Sinn? Mehr noch: Wie steht es um meine und um Ihre Besessenheit? Wovon, wem gegenüber, in welchen Zusammenhängen, Aufgaben, Ideen bin ich, sind Sie besessen, wer oder was nimmt Sie in Besitz, nimmt Besitz von Ihnen? Ich bin dem Evangelisten Markus sehr dankbar, dass es hier nicht um die Heilung eines Blinden, eines Stummen, einen Gehörlosen oder eines Gelähmten, sondern um die Heilung eines Besessenen geht – weiter kann man den Begriff der Bedürftigkeit um Heilung kaum fassen!

Das Verrückte an dieser Szene: Während die der Lehre Jesu Zuhörenden noch staunen, weiß der vom Dämon Besessene, besser: weiß der unreine Geist, um wen es sich beim Lehrenden handelt: „Was haben wir mit dir zu tun, Jesus von Nazareth? Bist du gekommen, um uns ins Verderben zu stürzen? Ich weiß, wer Du bist: Der Heilige Gottes.“

Die Szene lässt mich an den „Herrn der Ringe“ und an Gollum denken, der immer in seinen Phasen der schizoiden Besessenheit von „wir“ und „uns“ sprach. Aber hier geht es um mehr! Hier spricht der unreine Geist exemplarisch für alle unreinen Geister, für alle Wesen und Wesenszüge, die einem Menschen besessen machen können, die vom Menschen Besitz ergreifen, sodass der unreine Geist den Menschen hat und nicht der Mensch den unreinen Geist, den Dämon.

Das ist die Frage des Dämonen: „Was habe ich mit Dir zu tun, Jesus von Nazareth?“ Und es ist die Frage all dessen und all derer, die Sie und mich besessen machen, das oder die Besitz von Ihnen oder mir ergreifen, das oder die mich letztendlich besitzen: „Was habe ich, der/die/das Besetzende, mit dir, Jesus von Nazareth, zu tun?“

» Trägheit ist [...] die Beharrlichkeit, mit der ein Körper in Ruhe oder Beweglichkeit verbleibt, solange keine gegensätzlichen Kräfte auf ihn einwirken. Trägheit bedeutet: Es wird keine Ursache für eine NEUE BEWEGUNGSRICHTUNG geben. «
Mannschatz, Marie (2. Auflage 2010): Buddhas Anleitung zum Glücklichsein. Fünf Weisheiten, die Ihr Leben verändern, München, 75.

„Schweig und verlass ihn!“

Der Heftigkeit des unreinen Geistes begegnet Jesus ebenso heftig. Jesus droht dem Dämon. Das finden Sie nicht oft in den Evangelien. Aber in dieser Heftigkeit wird von Anfang an – sein erstes öffentliches Auftreten – deutlich, um was es Jesus geht: „Schweig, und verlass ihn!“ Markus erzählt weiter: „Der unreine Geist zerrte den Mann hin und her und verließ ihn mit lautem Geschrei.“ Schreit der Mann, schreit der Dämon? Egal! Und dann die Reaktion der Menschen in der Synagoge: „Da erschraken alle und einer fragte den anderen: Was ist das? Eine neue Lehre mit Vollmacht: Sogar die unreinen Geister gehorchen seinem Befehl.“

Das ist die dritte Stelle, an der ich Sie bitte, sich dieses Wort auszumalen: „Da erschraken alle.“ Wie klingt dieses Wort für Sie? Und kommt Ihnen da jemand in den Sinn, der vor Jesus erschrickt? Besser: Kommt Ihnen etwas in den Sinn, das vor Jesus erschrickt? Wie steht es um mein, um Ihr Erschrecken? Was an der Botschaft Jesu, was in der Begegnung mit seiner Person lässt Sie erschrecken? Und das Wichtigste: Was folgt aus diesem Erschrecken?

» Furcht zeigt sich auch in der Angst vor Veränderung, wenn wir allzu fest am Gewohnten haften. Im Geist bewirkt Furcht GEDANKENSCHLEIFEN mit bedrohlichen Bildern, Worten, Szenen, die wir immer wieder durchspielen. «
Mannschatz, Marie (2. Auflage 2010): Buddhas Anleitung zum Glücklichsein. Fünf Weisheiten, die Ihr Leben verändern, München, 130f.

Anhaftung – Das Übel der Besessenheit

Eine mögliche Folge aus dem Erschrecken vor der Botschaft und in der Begegnung mit der Person Jesu möchte ich Ihnen anbieten. Sie hat mit dem unreinen Geist und dem von ihm besessenen Mann zu tun. Und sie hat mit dem dreimaligen Innehalten zu tun, um das ich Sie gebeten habe: Welchen Klang und welchen Erfahrungsraum haben die Worte „Vollmacht“, „Besessenheit“ und „Erschrecken“ für Sie?

Das Dämonische an diesem hier geschilderten unreinen Geist, dass er träge macht, dass er alles beim Alten lassen, dass er festhalten will. Dieser Geist ist ein Meister dessen, was die buddhistische Spiritualität „Anhaften“ nennt. Man entscheidet sich, an etwas oder jemandem hängen zu bleiben, so, dass es eher ein Kleben ist. Der unreine Geist hat Macht über den Menschen, der Mensch hat seine Freiheit, seinen freien Willen abgegeben, hat sich arrangiert mit diesem Geist. Mir sagt der Begriff der „Anhaftung“ aus der buddhistischen Spiritualität sehr zu. Man weiß gar nicht: haftet der Dämon an diesem Menschen, oder der Mensch an diesem Dämon? Alles soll beim Alten bleiben – und geht dabei vor die Hunde! Da helfen keine Beratungen, auch keine synodalen Wege. Da hilft nur Handeln, sich Lösen, etwas oder jemanden lassen, weil ich sonst festklebe, weil ich sonst anhafte. Da wird mir alle Bewegungsfreiheit und jegliche Freiheit überhaupt genommen – außer der, freiwillig und gewollt zu bleiben. Geschieht das aus Liebe und nicht aus Angst, kann das gut sein. Allemal ist es so, dass die Begegnung mit der Lehre und der Person Jesu dieses Haften auseinanderzureißen vermag! „Bist du gekommen, um uns ins Verderben zu stürzen?“ Uns – mich, und den oder das, an dem ich hafte. Genau darin erweist sich Jesus als Bevollmächtigter, genau darin ist er voll mächtig, dem Menschen seine Anhaftungen deutlich zu machen und die „Anhaftung“ an den Willen des himmlischen Vaters als Alternative anzubieten. Das nennt man dann „Glaube“. Ich glaube, dieser Vorgang erklärt auch das Erschreckenderer, die das Geschehen in der Synagoge von Kafarnaum verfolgen; mir ginge es nicht anders.

» Wir brauchen keine Magie, um unsere Welt zu verwandeln; wir tragen alle Kraft, die wir brauchen, bereits in uns: Wir haben die Kraft, uns Besseres vorzustellen. «
Rowling, J.K. (2017): Was wichtig ist. Vom Nutzen des Scheiterns und der Kraft der Fantasie, Hamburg, 67.

Der Vollmacht trauen

Für den Anfang – und der kann täglich sein – mag es genügen, der Vollmacht Jesu zu trauen, die die Menschen in der Synagoge in Kafarnaum beim ersten öffentlichen Auftreten Jesu erleben. Oder der Vollmacht zu trauen, die Sie erlebt haben, als Sie vielleicht als Kind begannen, diesem Jesus „anzuhaften“. Diese erlebte Vollmacht hat sich sicher verändert, die hat sich vielleicht sogar aufgelöst. Aber vielleicht (schönes Wort: „viel“ und „leicht“) ist es ja Zeit, neu Ausschau zu halten nach dieser Vollmacht Jesu für Ihr heutiges Leben, um in ihrer Kraft Anhaftungen sein zu lassen, die letztlich träge und des Lebens müde machen. Glauben Sie den Menschen aus der Synagoge in Kafarnaum: „Sogar die unreinen Geister gehorchen seinem Befehl.“

Amen

Köln 30.01.2021
Harald Klein