Ijob – „Ist nicht Kriegsdienst das Leben des Menschen auf Erden?“
Was für eine Eröffnung im Wortgottesdienst, in der ersten Lesung. Nachdem er alles und nahezu jede und jeden verloren hat, ringt der von Gott und vom Satan auf die Probe gesellte Ijob mit sich und mit seinen Freunden. Innerlich hin und hergerissen, was und wie er von seinem Schöpfer denken soll, kommt es zu Diskussionen. Und in diesen Diskussionen dann dieser Satz: „Ist nicht Kriegsdienst des Menschen Leben auf Erden?“
Schlüpfen Sie mal hinein die Rolle der Freunde Ijobs. Lassen Sie Ihr Mitgefühl zu Wort kommen angesichts der Opfer von allem Möglichen, die Sie kennen, und malen Sie sich das „alles Mögliche“ aus. Und noch eins drauf: Spüren Sie mit viel Selbstmitgefühl einmal hin, ob Sie die rhetorische Frage Ijobs für sich selbst, an dessen Stelle sagen können: „Ist nicht Kriegsdienst mein Leben auf Erden?“
Jesus in Kafarnaum
Sie müssen wissen, dass die alttestamentliche Lesung immer ausgesucht wird, um einen Zusammenhang zum Evangelium herzustellen. Erste Lesung und Evangelium stehen in Bezug zueinander[1]. Da geht es weiter in Kafarnaum, nach der Heilung des von einem Dämonen Besessenen in der Synagoge erst im Haus des Petrus, wo dessen Schwiegermutter fiebrig ist, und dann vor der Haustür des Petrus, wo die ganze Stadt sich versammelt und ihre Kranken und Besessenen bringt, und Jesus heilte viele. Wenn es zeitlich und örtlich hinhaute, könnte Ijob da vor der Tür des Petrus liegen, hingebracht von den seinen Freunden. Krankheit und Besessenheit als Formen des „Kriegsdienstes“, der das Leben bezeichnet – Leben als Leiden, Leiden am Leben, der Zusammenhang liegt auf der Hand.
Jesus – ein Kriegsdienstverweigerer in Sachen „Leben“
Man nennt es ein „Summarium“, wenn in einem Satz oder Absatz des Evangeliums viele Tätigkeiten an vielen Orten in einem einzigen Satz zusammengefasst werden. Jesus zieht sich frühmorgens, als es noch dunkel war, vom Haus des Petrus an einen einsamen Ort zurück, um zu beten. Simon und seine Begleiter eilen ihm nach, und als sie ihn finden, sagen sie zu ihm: Alle suchen dich. Er antwortet: Lasst uns anderswohin gehen, in die benachbarten Dörfer, damit ich auch dort verkünde. Und jetzt folgt das Summarium: „Und er zog durch ganz Galiläa, verkündete in den Synagogen und trieb die Dämonen aus.“
In der Denk- und Sprechweise des Ijob ist Jesus ein Kriegsdienstverweigerer, er verweigert den Kriegsdienst im Alltag und den Kriegsdienst des Alltags. Im Summarium heißt es: Er verkündete in ihren, der Galiläer, Synagogen und trieb die Dämonen aus. Er lässt nicht zu, Krankheit und Besessenheit ausschließlich als „Leiden“ anzusehen, um dann darunter zu leiden. Er sucht andere Sichtweisen und Deutungsmuster für „Leben“ und „Leiden“ und bietet sie den ihm Folgenden an. Diese Muster müssen viel Kraft gehabt haben, heißt es doch: „Er verkündete in ihren Synagogen und trieb die Dämonen aus“, und nicht: und trieb einige oder manche/viele Dämonen aus.
Noch einmal das Summarium: „Und er zog durch ganz Galiläa, verkündete in den Synagogen und trieb die Dämonen aus.“ Das „und“ im Summarium mag ich nicht als „erstens“ und „zweitens“ verstehen, nicht als Unterscheidens, sondern als Beschreibendes, Erklärendes, im Sinne von: Er trieb die Dämonen aus, indem er verkündete! Das ist die Wahrheit Jesu: Heilung durch Verkündigung und Aufnahme bzw. Annahme des Verkündigten.
Die Vier Edlen Wahrheiten
Heilung und Heil sein ist ein Topos, ein Ziel wohl der meisten Religionen. Eine der Grundlagen des Buddhismus sind die sogenannten Vier Edlen Wahrheiten[2]: Die Wahrheit von der Existenz des Leidens, die Wahrheit von der Ursache des Leidens, Die Wahrheit von der Aufhebung des Leidens und die Wahrheit vom Pfad zur Aufhebung des Leidens.
Leiden existiert, auch alltäglich. Das Sicherste, was man einem Kind zur Geburt sagen kann, ist, dass es sterben wird. Krankheit und Tod bringen Leid mit sich, ebenso Begehren, Anhaften und Festhalten. Da hat Ijob recht! Man kann das Geschehen des Alltags als Kriegsdienst erleben.
Die Wahrheit über die Ursache des Leidens lässt sich durchschauen. Im Buddhismus geht es vorrangig um das Loslassen; in der Verkündigung Jesu wird Vieles von dem, was Leiden im Alltag hervorruft, ins Wort gebracht: Begehren, Zorn, Eifersucht, Trauer, Sorge, Angst, Verzweiflung u.v.m. Heilung geschieht durch das Wort Jesu, das aufgenommen und befolgt wird.
Die Wahrheit über die Aufhebung des Leidens ist im Buddhismus wie bei Jesus eine Änderung der Sichtweise. Jesus verweigert den Kriegsdienst. An die Stelle des Kämpfens und Ringens mit dem, was augenscheinlich zum Leid führt, setzt er Verkündigung, Vertrauen in Gott und das Kommen seines Reiches. Hier wie dort geht es um ein Überlassen, um ein Sich-formen-lassen, um die Abkehr vom Zwang, das Leben selbst gestalten zu müssen und um die Neugier darauf, wie das Leben formt und Form gibt.
Den Pfad zur Überwindung des Leidens, den der Buddhismus vorgibt, ist der sog. Achtfache Pfad, ein Leben in Rechtem Verstehen, Rechtem Denken, Rechter Rede, Rechtem Handeln, Rechtem Lebenserwerb, Rechtem Bemühen, Rechter Achtsamkeit und Rechter Konzentration. Wenn ich in Sachen „Leben“ und „Alltag“ mit Jesus den „Kriegsdienst“ verweigere, kann ich diesen Pfad gut mitgehen. Kirche, Gemeinschaft und Glaube wäre dann der Ort, der mich das „Rechte“ in den acht Pfaden lehrt.
Eine Antwort auf Ijob
Wenn ich mir das so überlege, kommt mir eine Antwort, die ich im Geiste des Buddhismus, vor allem aber im Geiste Jesu und an seinem Lebensweg ablesen kann. Ijob fragt: „Ist nicht Kriegsdienst des Menschen Leben auf Erden?“ Oder Sie fragen sich (oder vielleicht mich): „Ist nicht Kriegsdienst mein Leben auf Erden?“ Und ich antworte: „Das kannst Du so sehen. Wenn Du es so sehen willst. Aber es gibt auch andere Sichtweisen. Soll ich Dir davon erzählen?“ – „Und er zog durch ganz Galiläa, verkündete in ihren Synagogen und trieb die Dämonen aus.“
Amen.
Köln, 05.02.2021
Harald Klein
[1] Die zweite Lesung ist eine „Bahnenlesung“ und wird Sonntag für Sonntag fortgesetzt. Sie steht in keinem direkten Zusammenhang zum Evangelium.
[2] Vgl. dazu: Thich Nhat Hanh (2020): Wie Siddartha zum Buddha wurde. Eine Einführung in den Buddhismus, München, 139f.