05. Sonntag im Jahreskreis – Jesus und die „Aber-Geister“

  • Predigten
  • –   
  • –   

Der „Aber-Geist“

Ob Du mit der Kraft Deiner Fantasie dahin kommst zu entdecken, was ein „Aber-Geist“ ist? Dass Du ihn kennst, davon gehe ich aus! Aber ob Du ihn erkennst, wenn er am Werk ist, und ihn abwehrst oder abwehren willst – da habe ich meine Zweifel. Ich kenne diesen Mangel, diese Unfähigkeit oder die Unwilligkeit zur Abwehr von mir selbst nur zu gut.

„Aber-Geister“ werden uns mit den ersten Seiten der Bibel schon vor Augen geführt. Sie kennzeichnet zum einen, dass sie die Realität, wie sie Dir erscheinen will, auf eine eigene Weise hinterfragen. So fragt die Schlange in der Schöpfungsgeschichte in Gen 3,1: „Hat Gott wirklich gesagt: Ihr dürft von keinem Baum des Gartens Essen?“ – und schon ist zum anderen und vom „Aber-Geist“ intendiert Misstrauen, Eifersucht, Angst gesät.

» Die Welt, in der Jesus lebt, stellt alles in Frage, wovon und wofür man gewöhnlich in bürgerlichem Sinne leben zu müssen glaubt. «
Drewermann, Eugen (5. Aufl. 1989): Das Markusevangelium. 1. Teil. Bilder von Erlösung, Freiburg, 205.

Eugen Drewermann schreibt über den „Aber-Geist“, es handle sich um „ein Wort, auf derselben Ebene wie das Wort vom ‚Aber‘-Glauben, das vollkommen wiedergibt, was mit dem Ausdruck ‚Dämonen‘ gemeint ist: Stimmen der Opposition und der Verneinung in uns, die auf dem Weg zum Glück, zu uns selbst, zu unserer Wahrheit immer wieder mit mechanischen Gegenreden und Einwänden sich zu Wort melden.“[1]

„Aber-Geister“ sind die Stimmen in Dir, denen sich die inneren Antreiber bemächtigen: „Sei schnell – aber es geht noch schneller!“ – „Sei perfekt – aber es geht noch besser!“ !“ – „Sei stark – aber ein wenig mehr geht doch noch!“ – „Sei gefällig – aber ein bisschen freundlicher ist doch noch drin! !“ – „Streng Dich an – aber das ist doch noch nicht alles!“ Der „Aber-Geist“ verlockt nicht zum Bösen, sondern zu einem zerstörerischen Übermaß an Gutem bzw. zu einem Stehenbleiben bei einem Status quo, das bzw. der Dich kaputt macht.

Meisterhaft hat Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) seinen Mephisto, die Verkörperung des satanischen Prinzips, sich Faust vorgestellt mit den Worten: „Ich bin ein Teil von jener Kraft, / die stets das Böse will und stets das Gute schafft. […] / Ich bin der Geist, der stets verneint! / Und das mit Recht; denn alles, was entsteht, / ist wert, dass es zugrunde geht; /drum besser wär’s, dass nichts entstünde. / So ist denn alles, was ihr Sünde, / Zerstörung, kurz: das Böse nennt, / mein eigentliches Element.“

Es ist ja „eigentlich“ was Gutes, schneller, stärker, perfekter usw. zu sein – aber dieser Teil von jener Kraft, die stets das Gute will und stets das Böse schafft, ist der „Aber-Geist“, der „Un-Geist“, der zwar mehr Leben verheißt, und doch gerade dadurch Leben und Lebendigkeit verhindert bzw. zerstört. Es geht um den altbekannten Unterschied zwischen dem „magis“ und dem „multum“ im Leben. Vereinfacht gesagt, mag das „magis“ für die Qualität, die Tiefe des Lebens stehen, das „multum“ dagegen für die Quantität und die Menge im Leben.

» Könnte es nicht sein, dass das, was wir ‚normal‘ nennen, in Wahrheit eine einzige große Krankheit ist, ein völlig wahnsinniges ‚Fieber‘, das wir lediglich erst dann bemerken, wenn wir Menschen begegnen, die wirklich leben? Wäre es nicht denkbar, dass wir erst dann gesunden können, wenn sich eine Hand auf unsere Stirn legt, unter deren Schutz unsere Gedanken zur Ruhe kommen können, und wir merken, dass wir auf der Flucht sind, am meisten vor uns selbst? «
Drewermann, Eugen (5. Aufl. 1989): Das Markusevangelium. 1. Teil. Bilder von Erlösung, Freiburg, 206.

Ein Tag mit Jesus – der Mittag, der Abend, die Frühe des neuen Tages

Ich möchte mit Dir, von den beiden vergangenen Sonntagen her kommend, an diesem und am kommenden Sonntag durch einen „Tag mit Jesus“ gehen, so wie Markus ihn beschreibt. Und Markus, dieser eher wortkarge Evangelist, füllt den Tag – und die Zeit vorher – mit Begegnungen Jesu, die er mit „Aber-Geistern“ hat.[2]

Da war vor zwei Wochen die Berufung der ersten Jünger, Simon und Andreas und dann Jakobus und Johannes (Mk 1,16-20). Vom Fischerboot ins Wanderleben – da ist nichts im Geiste des „multum“, was werben könnte; es muss eine Begegnung im Geiste des „magis“ sein, der hier ein Mehr an Leben und Lebendigkeit versprich, so, dass die Vier ihre sozialen und familiären Bindungen einfach hinter sich zu lassen vermögen. Aufbruchstimmung, oder anders: Raus aus der Komfortzone! – Eine Art „Gegenfolie“ zu dem, was jetzt kommt!

Da war letzte Woche der vom unreinen Geist besessene Mann in der Synagoge, der Jesus, nachdem er in der Synagoge lehrte, anschrie: „Was haben wir mit Dir zu tun, Jesus von Nazareth? Bist Du gekommen, um uns ins Verderben zu stürzen? Ich weiß, wer Du bist: der Heilige Gottes.“ Der „Aber-Geist“ pur: Da lehrt einer Neues, und der besessene, der von seinen Überzeugung und Lehren besetzte Mann erlebt es als Bedrohung schlechthin, die ihn und alle, die so sind wie er ins Verderben stürzen will. „Aber“ bloß in der Komfortzone bleiben, „aber“ bloß keine Veränderung! Die ganz neue Lehre Jesu, sagt Markus, wird mit Vollmacht gelehrt – und sie schüttelt den besessenen Mann durch, zerrt ihn hin und her, bis er diesen „Aber-Geist“ aus seinem Leib hinauswirft! Du könntest von „Bekehrung“ reden, vielleicht auch von „Berufung“ zu neuem, zu tieferem Leben (im „magis“).

Dann heute die Szene mit der kranken Schwiegermutter des Petrus. Ein aktueller „Aber-Geist“: Nicht einverstanden sein mit dem, was ist, nicht ertragen können, was die Dir am nächsten Stehenden tun, und es doch nicht ändern können – ein klassischer Ausgangspunkt für eine depressive Verstimmung (aus der Ohnmacht heraus) oder für einen Fieberanfall (aus der Wut heraus). „Sie sprachen mit Jesus über sie“, heißt es. Petrus wird seine Familie verlassen – jeden Unterhalt, den der Fischer heimbrachte, ist dahin. Und dann bringt er auch noch den mit, der das alles veranlasst hat! Jesus fasst die kranke Schwiegermutter bei der Hand und richtet sie auf, und siehe: aller Widersand weicht. Der „Aber-Geist“ der Ohnmacht und der Wut weicht dem Dienen und der Sorge für Petrus und seine Gefährten.

In den folgenden drei Versen (Mk 1,31-34) bringen die Menschen aus Kafarnaum und Umgeben des Abends, als die Sonne untergegangen war, alle Kranken und Besessenen zu Jesus. Er heilte viele, die an allen möglichen Krankheiten litten, und trieb viele Dämonen, viele „Aber-Geister“ aus. Auffällig ist der Satz „Und er verbot den Dämonen zu reden; denn sie wussten, wer er war.“ Ich kann es mir nur so erklären, dass die „Aber-Geister“ es schaffen Dich und mich in der Komfortzone zu halten und jede Form des Aufbruchs zu meiden. Und dieser Aufbruch soll nicht durch Worte, durch Lehre allein, sondern vor allem durch Begegnung und Erfahrung hervorgelockt werden. Zumindest ist es das, was Hubertus Halbfas in seiner Gebetsschule „Der Sprung in den Brunnen“ immer wieder schreibt.

» Ich habe verstanden, dass man von Gott nichts weiß, wenn man nur übernommene Antworten hat, ohne eigene Erfahrung und Sprache. «
Halbfas, Hubertus (1981): Der Sprung in den Brunnen. Eine Gebetsschule, Düsseldorf, 80.

Aufbruch aus Kafarnaum – Aufbruch in den galiläischen Frühling

Damit endet der Tag. Bemerkenswert ist der frühe Morgen tags darauf! In aller Frühe, als es noch dunkel war, stand Jesus auf und ging an einen einsamen Ort, um zu beten“ (Mk 1,35). Das Gebet ist der Motor, das alles bewegende Etwas, das Jesus antreibt. „Alle suchen Dich“, sagt Simon und seine Begleiter, und Jesus bricht auf in die anderen benachbarten Dörfer, um zu predigen. Das Evangelium heute endet mit dem Satz: „Und er zog durch ganz Galiläa, predigte in den Synagogen und trieb die Dämonen aus“ (Mk 1,39). Solche Art Sätze nennt man „Summarium“, sie fassen zusammen und unterstreichen Hauptmerkmale: Galiläa – Predigen – Austreibung von Dämonen, von „Aber-Geistern“.

Was ich mir und auch Dir wünsche? Schau Dir summarisch Dein „Galiläa“ an, Deine Komfortzone, deinen Ort wo Du lebst und die, mit denen Du lebst. Höre das eine oder andere Wort Jesu genau an diesem Ort, genau mit diesen Menschen und auf sie hin, und spüre nach, ob sich darin ein „magis“, ein Mehr an Leben und Lebendigkeit versteckt oder offenbart. Und dann fühle in Dich hinein, ob es nicht einen „unreinen Geist“, eine „Besessenheit“, ein Fieber oder eine Fessel gibt, die Dich hindert, diese Komfortzone zu erweitern oder gar zu verlassen. Lass Dich berühren von diesem Jesus, steht auf und diene dem Leben, der Lebendigkeit, Deiner wie der der anderen, denn das meint Markus im Blick auf die geheilte Schwiegermutter des Petrus mit dem kleinen Satz „und sie sorgte für sie.“ Sorge für Dich, sorge für die um Dich herum – und zeige den „Aber-Geistern“ den Stinkefinger.

Amen.

Köln, 01.02.2024
Harald Klein

[1] Drewermann, Eugen (1989): Das Markus-Evangelium. Bilder von Erlösung.1. Teil, 5. Aufl., Olten/Freiburg i. Brsg., 207. Drewermann erinnert daran, dass die Bezeichnung „Abergeist“ in der Übersetzung des Neuen Testaments durch Fridolin Stier von diesem durchgängig gewählt wurde.

[2] In den Gottesdiensten im Jahreskreis wird das Markus-Evangelium Stück für Stück gelesen. Zwischen der Taufe Jesu und der Berufung der ersten Jünger stehen die beiden Verse der Versuchung Jesu (Mk 1,12f), die für den Ersten Fastensonntag aufgespart werden. Du wirst sehen, dass es da eine Spannung zwischen den dienenden Engeln und dem Leben mit den wilden Tieren geht, auch hier taucht das Dämonische auf!