08. Sonntag im Jahreskreis – Das Märchen vom guten Baum, der gute Früchte trägt

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Sich die Welt schönreden …

Wenn ich mir vorstelle, ich säße mit Jesus irgendwo in einer Waldkneipe oder wir wären wandernd unterwegs, und er würde mir und den anderen, die dabei sind, diesen Teil seiner Feldrede beiläufig erzählen, der heute als Evangelium gelesen wird, ich würde nur den Kopf schütteln. Da redet er sich die Welt schön! Ein guter Baum trägt keine schlechten Früchte, ein schlechter Baum keine guten, nur der gute Mensch bringt das Gute, der böse Mensch nur das Böse hervor – das klingt wie eine Welt, die nach dem Prinzip der Heizung in den Zügen der Deutschen Bahn funktioniert. Da gibt es nur „An“ oder „Aus“.

Oder anders: Wieso kann ich nicht den Splitter aus dem Auge meines Bruders herausziehen, nur weil ich selbst einen Balken im Auge habe? Oder wieso kann der Jünger nicht über dem Meister stehen? Es zeichnet den Meister doch in seinem Dienst aus, wenn der Jünger auf Augenhöhe mit ihm – oder gar über ihn hinaus – zu arbeiten vermag.

… geht nur, wenn die Welt „klein“ ist

Der Wahlsonntag liegt hinter uns, und in einer kleinen Welt, in den vielen verschiedenen Milieus, in den verschiedenen Habitus, die in einer offenen Gesellschaft existieren, mag das Schönreden Jesu Geltung haben. Um es ein wenig plakativ zu begründen: Die Frucht des AfD-Baumes wird den Mitgliedern der AfD als „gut“ erscheinen, sie wähnen auch ihren Baum als „gut“, aber es gibt nicht viele außerhalb dieses Milieus, die dieses Urteil zu teilen vermögen. Dasselbe mag für die Linke gelten, oder für die Grünen, suche es dir aus. Es mag stimmen, dass man jeden Baum an seinen Früchten erkennt, aber nicht für jeden ist jedes Baumes Frucht „gut“.

Die Geschichte des Christentums zeigt, dass, wenn die Welt und der Einflussbereich größer wird, die Früchte des Baumes , der das Christentum darstellt, auch giftig, todbringend und – ich mag es nicht anders sagen – zum Kotzen waren. Darin trifft es sich mit anderen Weltreligionen, eben, weil es WELT-Religionen sind. Da ist es mit der guten Frucht des guten Baumes, die alle Welt zu erfreuen und zu sättigen, zu heilen vermag, ehrlich gesagt nicht so weit her.

Zur Strategie des Bösen

Parteiprogramme und -reden, kleine Welten und ihre Bewegungsräume, Paare und kleine Gruppen mögen Früchte hervorbringen, die in ihren Augen gut sind. Diese Früchte dienen dem Leben, schenken Identifikation, lassen aus Mini- und Medi-Ebene zusammenwachsen. Und gleichzeitig grenzen sie aus, machen aus den „Anderen“ den „Gegner“, sorgen für Abbruch, wenn nicht gar für Kampf und Krieg. Es ist gerade nicht so, dass viele kleine Menschen an vielen kleinen Orte viele kleine Dinge tun, und sie verwandeln das Angesicht der Erde automatisch zum Guten. Sie verwandeln es, das stimmt, und das bringt uns gegenwärtig ins Schwitzen, auf vielen Ebenen.

Es braucht ein den kleinen Welten und den kleinen Menschen gemeinsames Übergeordnetes, das anzubieten vermag, wann eine gute Frucht eine gute Frucht für alle ist. Es braucht ein gemeinsames Übergeordnetes, das aufzeigt, dass die Erste Welt noch lange nicht die Eine Welt ist. Es braucht ein gemeinsames Übergeordnetes, das jedes Menschen Blick über sich und seine Welt hinauslockt, mehr noch hinausdrängt. Philosophiegeschichtlich geht es um den Begriff des Guten.

Heleno Sanã (*1930), in Darmstadt lebender spanischer Philosoph, stellt in einem Aufsatz von 2005 die These auf, dass die Menschen in der Tiefe ihrer Seele weitgehend unglücklich geworden sind, weil sie in ihrer Mehrheit versuchen, Erfüllung außerhalb des Guten zu finden und bereit sind, dafür ihr Gewissen auszuschalten oder ihm Gewalt anzutun.[1]

In den kleinen Welten, auch in der kleinen Welt Jesu, in der predigte, gehört es zur Strategie des Bösen, sich als der Inbegriff des Guten zu tarnen.[2] In jedem Milieu, in jedem Habitus, werden die dem Milieu und dem Habitus Zugehörigen einen Begriff vom „Guten“ haben, den die anderen außen herum so nicht teilen werden. „Strategie des Bösen“ klingt mythisch, stimmt aber realiter trotzdem.

Der gute Mensch – und sein Dienst an den anderen

Was glaubst du? Besitzt der Mensch, besitzen du und ich, von Natur aus die Fähigkeit zum Guten? Tröstlich, dass sowohl die antike wie auch das neuzeitliche humanistische Denken mit einem klaren Ja geantwortet haben.[3] Das kann eine spontane Entscheidung sein, das kann einer reflexiven Ethik entspringen – egal, die Fähigkeit zum Guten ist uns Menschen eingeschrieben. Und jetzt kommt das Highlight in Sanãs Aufsatz. Er behauptet: „Das Gute kann die verschiedensten Formen einnehmen, aber sein wesentlicher Inhalt ist Dienst an den anderen. Das bedeutet: Das Gute speist sich aus dem subjektiven Bedürfnis oder Wunsch, unseren Mitmenschen zu helfen bzw. sie glücklich zu sehen.“[4]

Weiter unten ergänzt er: „Sich für ein edles, selbstloses und unegoistisches Anliegen einzusetzen, fasse ich als die höchste Form der Selbstverwirklichung auf. […] Das schwierigste ist allerdings nicht, nach dem Guten zu streben, sondern unsere Ohnmacht gegenüber dem Weltelend ertragen zu müssen und mit dem Bewusstsein unserer eigenen Endlichkeit konfrontiert zu werden.[5]

Über allen guten Früchten in den kleinen Welten könnte als übergeordnetes Gemeinsame die Frage stehen „Wem dient es?“ und die Forderung „Es möge allen dienen!“ Das macht vielleicht das Wesen der Demokratie aus, dass es viele Früchte gibt, die ihre Liebhaber und Liebhaberinnen finden, die aber so aufeinander abgestimmt sind, dass ihr Genuss niemandem schadet und erst recht nicht, dass sie nur auf dem Rücken oder zu Lasten anderer wachsen können. Es ist die liberale Demokratie, die diese Vielfalt zulässt, ermöglicht, sogar wünscht.

Die Strafe bei der Wahl des Guten

Die wissenschaftliche Redlichkeit verlangt, auf den Schluss des Aufsatzes von Sanã hinzuweisen. Er weiß, und du und ich wissen es auch: Wer das Gute wählt, wird auch bestraft! Sanã schreibt zum Ende:

„Und nicht unbedingt Belohnung bringt die Wahl des Guten, sondern auch Strafe. Ja, gerade die Menschen, die sich dem Humanen verpflichtet fühlen, werden am meisten bestraft. Zu dieser Strafe gehört in erster Linie das Gefühl, dass man umsonst versucht hat, selbstlos und hilfsbereit zu sein. Das sind Momente – die sehr lange dauern können – in denen alles sinnlos erscheint. Unsere Ohnmacht, die Verlogenheit des Ganzen, die Gedankenlosigkeit des großen Haufens, die blinde Automatik der Destruktivität und der Rücksichtslosigkeit der Herrschenden und Mächtigen. Und dennoch: Man kann in tieferem Sinn nur von Siegen sprechen, wenn unsere Handlungen dem Guten dienen. Alles andere ist Niederlage.“[6]

Oder der wandernde, in der Waldkneipe sitzende Jesus: „Der gute Mensch bringt aus dem guten Schatz seines Herzens das Gute hervor und der böse Mensch bringt aus dem bösen das Böse hervor. Denn wovon das Herz überfließt, davon spricht sein Mund“ (Lk 6,45).
Amen.

Köln, 25.02.2025
Harald Klein

[1] vgl. Sanã, Heleno: Vom Guten und Bösen, in: UTOPIE kreativ, Heft 176 (Juni 2005), 483-490, hier: 484 [online] https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/176Sana.pdf [25.02.2025].

[2] a.a.O., 487.

[3] ebd.

[4] a.a.O., 488.

[5] a.a.O., 489.

[6] a.a.O., 490.