Zwischen Pfingsten und Fronleichnam
Das ist schon ein seltsamer Sonntag, dieser Dreifaltigkeitssonntag – und liturgisch weiß man nicht so recht, wohin damit. Der Karnevalssonntag war der fünfte Sonntag im Jahreskreis, dann folgen in der „Geprägten Zeit vor und nach Ostern“ mit eigenen Sonntag, die an Pfingsten enden. Der Dienstag nach Pfingsten ist dann der Dienstag der achten Woche – wen es interessiert, der kann mal fragen wo denn die sechste und siebte Woche geblieben ist. Und der Sonntag nach Pfingsten wäre eigentlich der neunte Sonntag im Jahreskreis, ist es aber nicht, denn hier „feiert die Kirche“ – wer und was auch immer damit gemeint ist – das Hochfest des Dreifaltigkeitssonntages“.
Ich hoffe, Sie nehmen es mir nicht krumm, wenn ich auf die vielen Metaphern und Erzählungen, auf Symbole und Lieder verzichte, die das „Mysterium des einen Gottes in dem einen Wesen und den drei Personen“ zu fassen suchen. Mir sind das Betrachten und Verweilen beim Schlussteil des Matthäusevangeliums deutlich lieber – und der findet sich heute im Evangelium.
Die letzten Worte Jesu: Gehen, taufen, lehren
Was die Apostelgeschichte in der Pfingsterzählung darstellt – den Aposteln und Maria fällt der Heilige Geist quasi in den Schoß – das stellt Matthäus in seinem Evangelium in den Schlussversen vor. Es ist das letzte Wort, sind die letzten Worte, die der Auferstandene zu den Seinen spricht:
„Da trat Jesus auf sie zu uns und sagte: Mir ist alle Vollmacht gegeben im Himmel und auf der Erde. Darum geht und macht alle Völker zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich Euch geboten habe. Und siehe, ich bin bei Euch alle Tage bis zum Ende der Welt.“
Zugegeben, ich mag die letzten Worte, das letzte Wort Jesu besonders – „Ich bin bei Euch/bin bei Dir alle Tage bis zum Ende der Welt.“ Aber genauso ansprechend und auffordernd finde ich die drei imperative: geht! tauft! lehrt! nur einer Frage möchte ich heute nachgehen: Wie gehen wir? Für wen und zu wem gehen wir? Meine These ist: Je nachdem, wie wir gehen, für wen und zu wem wir gehen, wird es uns gehen!
Gehen als Nicht-Gehen: Gemeinde als Kuschelgruppe
Das erste Gehen ist ein „Nicht-Gehen“, ein Verharren und Bleiben, am Ort, in den Riten, in den Einstellungen. Derselbe Matthäus, der so fulminant in großen Worten einen Sendungsbefehl zu allen Völkern gibt, legt in der Anweisung für die Mission in Mt 10,5-15 Jesus in den Mund: „Geht nicht zu den Heiden und betretet keine Stadt der Samariter, sondern geht zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel“ (vgl. Mt 10,5f). Da haben sich die Zwölf zusammen mit Jesus so aneinander gewöhnt. Warum überhaupt woandershin gehen, sollen die anderen doch kommen. Und wie sehr hat sich diese Haltung bis in die Gegenwart perpetuiert. Da können – in der horizontalen Dimension – die von „Franziskus“ nicht mit denen aus „Marien“, da gibt es – in der vertikalen Dimension – in Geistlichen Gemeinschaften die Tendenz zur „Formation“ in Altes, längst Vergangenes und vielleicht Überholtes hinein, damit bloß alles so bleibt wie bisher. Die, die in „Pastoralen Zukunftswegen“ (oder wie sie in anderen Diözesen heißen) mitarbeiten, werden ein Lied davon singen können: Aufbruch aus den selbst gesetzten Grenzen heraus – um Gottes willen! Die Zwölf damals, manche Gruppierungen heute „definieren“ sich als sehr geschlossen – und „definieren“ heißt ja zuerst, sich abgrenzen von anderem. So sind wir nicht, und so wollen wir nicht sein. Oder bayrisch: „Mia san mia.“ Gruppierungen und Gemeinden, die so leben, werden über kurz oder lang schlicht sterben. Der „Definition“ als geschlossene Kuschelgruppe folgt unweigerlich das „finis“, das Ende! Von daher ist Jesu Sendungsbefehl „Geht zu allen Völkern“ ein starker Impuls, seine Idee vom Reich Gottes lebendig und am Leben zu halten.
Gehen in der Kraft des Herrn
Das zweite Gehen könnten Sie ein wenig an Fronleichnam erleben. Oder Sie hören es sich an in Mendelssohns Oratorium „Elias“, im Rezitativ Nr. 36 singt Elias „Ich gehe hinab in der Kraft des Herrn. Du bist ja der Herr. Ich muss um deinetwillen leiden, darum freut sich mein Herz und ich bin fröhlich, auch mein Fleisch wird sicher liegen.“
Der Essener Generalvikar Klaus Pfeffer macht am Beispiel der Fronleichnamsprozession in der Essener Innenstadt sehr vorsichtig, aber dennoch absolut aktuell klar, dass dieses „Gehen in der Kraft des Herrn“ ein wenig „aus der Zeit gefallen“[1] wirkt:
„Feste und Gebräuche wie die Fronleichnamsprozessionen, wo die Gemeinde den sakralen Kirchenraum verlässt und ins profane Weltliche zieht, wirken heute mancherorts wie aus der Zeit gefallen, so Pfeffer. ‚In unseren Gewändern sowie mit den sehr traditionellen Texten und Liedern ziehen wir durch die Innenstadt – und an den Fenstern und am Straßenrand blicken uns Menschen an, als seien wir Außerirdische von einem fernen Planeten.‘“[2]
Ist Fronleichnam nur ein kultisches Fest der Verehrung von Leib und Blut Jesu Christi, so gibt es doch auch eine sehr reale Blutspur der Mission, des Gehens, Taufens, Lehrens in der Zeit der frühen Mission und in der Zeit der Kolonisation. Da wurde das „Gehen in der Kraft des Herrn“ und in seinem Namen zu einer tödlichen Begegnung für all diejenigen, die weder getauft noch belehrt werden wollten.
Auch dieses Gehen hat den Tod im Gepäck, vielleicht nicht so sehr nach vorn, eher nach hinten gedacht. Ich könnte nicht mit Elias sagen und singen, dass mein Herz sich freut und fröhlich ist, weil ich um Gottes willen leiden muss, an mir, an den anderen, an der Welt und ihrer Geschichte.
Gehen mit leeren Händen
Bleibt ein drittes Gehen, ein Gehen für Heute, ein Gehen, das mir das Herz froh und fröhlich macht. Dieses Gehen macht ernst mit der liturgischen Sprache, wenn von Brüdern und Schwestern die Rede ist. Nicht in der Kuschelgruppe der gemeindlichen oder Geistlichen Gemeinschaft. Nicht in der Gemeinschaft derer, die ich erst einmal – durch Taufe und Belehrung – zu meinen Brüdern und Schwestern machen oder formatieren muss. Sondern in der Annahme – Sie wissen: doppeldeutig zu lesen – der Menschen um mich herum als meine Schwestern und Brüder.
Als Christ aufzuhören, Menschen verändern zu wollen, und stattdessen die Verhältnisse mit ihnen zu verändern, in denen sie leben, das wäre es! Die Prinzipien sind dabei nicht Taufe, Firmung, Ehe, Eucharistie, Beichte (der Vollständigkeit halber seien noch Krankensalbung und Weihe genannt). Die Prinzipien dieses „Gehens mit leeren Händen“ sind
- Orientierung am Willen der Menschen;
- Unterstützung von Eigeninitiative und Selbsthilfe;
- Konzentration auf die Ressourcen;
- Zielgruppen- und bereichsübergreifende Aktivitäten;
- Koordinierte Zusammenarbeit.
Die Sozialarbeiter*innen unter Ihnen merken: Es geht um Sozialraumorientierung. Die vielleicht beste Weise, Menschen mit Christus in Berührung zu bringen, beginnt mit dem Hingehen zu ihnen. Aber nicht, um zu taufen oder zu lehren, sondern um mit ihnen ihre Verhältnisse zu gestalten, so, dass sie besser und freier, gesünder und froher leben können. Antoine de Saint-Exupery wird das Wort zugeschrieben: „Wenn Du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen, um Holz zu sammeln, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit zu verteilen, sondern lehre sie die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.“
Noch einmal: Zwischen Pfingsten und Fronleichnam
Der Dreifaltigkeitssonntag liegt zwischen Pfingsten und Fronleichnam. Pfingsten war schon, uns ist sein Geist gegeben, er lebt und wirkt in uns. Was bleibt, ist die Frage: Wie willst Du gehen? Für wen willst Du gehen? Zu wem willst Du gehen? Sie haben die Wahl. Manchmal muss man erst gehen, um dann gehen zu können.
Amen.
Köln 02.06.2021
Harald Klein
[1] [online] https://rp-online.de/panorama/religion/klaus-pfeffer-fronleichnam-ist-eine-provokation-fuer-die-gesellschaft_aid-58760513 [01.06.2021]
[2] [online] https://www.kirche-und-leben.de/artikel/essens-generalvikar-pfeffer-zweifelt-qualitaet-der-gottesdienste-an [02.06.2021]