11. Sonntag im Jahreskreis – Jesus und die vier „S“

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Rückerinnerung an den Religionsunterricht in der Oberstufe

Leistungskurse Religion hätten in der Zeit des Lockdowns gute Karten gehabt, im Präsenzunterricht weiterzuarbeiten. Die Belegungszahlen lassen es häufig zu, dass links und rechts in einer Klasse mit 30 Stühlen gut und gerne zwei Plätze frei bleiben, und doch hat der ganze Kurs im Raum Platz. Gerne denke ich an den letzten Kurs zurück, den ich leitete – die Lerngruppe mit acht Schülerinnen und Schülern war interessiert, vielleicht weniger an „Kenntnissen“ in Sachen Bibel oder Kirchengeschichte, als vielmehr an „Deutungsmöglichkeiten“, die eine biblische Theologie, die die Kirchen- und Konzilsgeschichte und vor allem die die Menschen mit ihren Lebenszeugnissen anboten, gerade dann, wenn sie versuchten, die Vernunft, die Philosophie mit hineinzunehmen. Das war eine gute Zeit!

» So ganz gegen die Unruhe der Not, so ganz gegen die Ungeduld des Selber-Einschreitens richten sich diese ruhigen und vertrauensvollen Worte Jesu von dem Allerwichtigsten, das es in unserem Leben gibt: von dem langsamen Wachsen Gottes in unserem Dasein. «
Drewermann, Eugen (5. Aufl. 1989): Das Markusevangelium. 1. Teil. Bilder von Erlösung, Freiburg, 344.

Was die Themen anging, konnte man sich gut auf die Abiturprüfung vorbereiten. Ein wirklich beliebtes Thema war die Reich-Gottes-Verkündigung Jesu, und da half der Tipp mit den vier „S“: Man musste Auskunft geben können über das Gleichnis vom Sämann, vom Sauerteig, vom Senfkorn und von der selbstwachsenden Saat – ok, eigentlich sind es fünf „S“, aber nur vier Gleichnisse, die Sie in Mt 13 finden können. Mk hat nur zwei davon – das von der selbstwachsenden Saat und das vom Senfkorn. Sie bilden das heutige Evangelium. Die Gleichnisse sind bekannt – wenn Ihnen nicht, lesen Sie sie mal in Mt 13 nach. Sie werden staunen über die zärtliche und einfache Sprache, die Jesus wählt, um anzudeuten, dass Gottes Reich im Kommen ist, und dass unser Dienst dabei vor allem der Dienst der Geduld, des Vertrauens, der Hoffnung und des Abwartens ist. Alle diese Gleichnisse sagen aus: Der Grund, der Same ist gelegt, nun gebt ihm Zeit, wartet, ab – das Reich Gottes kommt, ist schon da, bricht sich Bahn.

» Glaube aber ist: Feststehen in dem, was man erhofft, Überzeugtsein von Dingen, die man nicht sieht. «
Hebr 11,1

„Als Glaubende gehen wir unseren Weg, nicht als Schauende“

Harter Schnitt! Paulus hat einige Jahre vor den Evangelisten gelebt und geschrieben, und in manchen Aussagen steht er ihnen diametral gegenüber. Der Sämann hat gesät – und schaut, wie die Saat aufgeht, zusammen mit dem Unkraut, manchmal hundertfach, manchmal sechzigfach, manchmal dreißigfach, manchmal gar nicht, weil sie auf falschen Boden oder in die Dornen gefallen ist. Ein anderer Sämann schaut, wie aus dem kleinsten Samenkorn, dem Senfkorn, ein Baum wächst, in dem die Vögel singen. Und eine Frau mischt Sauerteig unter einen Trog Mehl und schaut, wie das Ganze durchsäuert wird.

Ich würde gerne mit Paulus diskutieren. Ich glaube, ich gehe als Schauender durch meine Welt, und schaue die vielfältige kleine und große Gegenwart des Reiches Gottes, mitten in genau dieser meiner Welt. „Ich sehe Dich mit Freuden an und kann mich nicht satt sehen“, heißt es in meinem liebsten Weihnachtslied „Ich steh an Deiner Krippen hier“. Und doch hat Paulus – zumindest ein wenig – Recht. Dass ich die Begegnung mit den Freunden und Gefährten, dass ich die Begegnung gerade mit diesem Buch und diesem Autoren zum jetzigen Moment, dass ich die Fahrt nach Maulbronn mit L. und F. mit großer Vorfreude vorbereiten kann, dass wir wieder im Chor Mendelssohns „Elias“ eben nicht nur am PC üben, sondern im Kreuzgang unseres Probenortes – dass ich all das mit dem angebrochenen „Reich Gottes“ in Verbindung bringe, hat etwas mit „Glauben“ zu tun. Die mir liebste und am ehesten zutreffende Definition dessen, was „Glaube“ ist, ist übrigens aus paulinischer Schule und auch gut für die Abiturprüfung (vor allem in Köln) zu merken. Hebr 11,1 sagt: „Glaube aber ist: Feststehen in dem, was man erhofft, Überzeugtsein von Dingen, die man nicht sieht.“

» In Wahrheit werden wir [...] viel Schaden und Verwüstung anrichten, wenn wir nicht das einzige lernen, was uns wirklich helfen könnte, zu uns selbst zu finden: eine heilsame Geduld im Umgang mit uns selber und der 'Saat', die wachsen will. Nur der Sonne und dem Regen öffnen sich die Blumen des Feldes; nur in Güte und Verständnis reift unsere Wahrheit. «
Drewermann, Eugen (5. Aufl. 1989): Das Markusevangelium. 1. Teil. Bilder von Erlösung, Freiburg, 346.

So bekomme ich den Weg vom Glauben zum Schauen oder die Zuordnung, erst Glaubender und dann Schauender zu sein, gut zusammen, auch was das Reich Gottes angeht. Es ist das glaubende Vertrauen des Sämanns bei der Aussaat und im Zuschauen des Wachsens, es ist das glaubende Vertrauen der Frau, die den Sauerteig untermischt, es ist das glaubende Vertrauen von Ihnen oder mir, trotz allem und immer wieder ins Leben hinein und ins lebendig sein hinein zu investieren, was man auch als „Glaube“ bezeichnen kann: Feststehen in dem, was ich, was Sie erhoffen, und überzeugt sein von Dingen, die ich, die Sie (noch) nicht sehen.

Aber genauso wichtig ist für die „Verkündigung“ des Reiches Gottes – und ich meine damit weder den Katechismus noch die Predigt oder die Schriften von Papst und Bischöfen, sondern die Begegnung mit leibhaftigen Menschen, in denen Gottes Geist spürbar wirksam ist – das Schauen auf deren Leben und Wirken, das dann Grund zum Wundern, zum Staunen, zur Frage wird: Was ist das für eine Hoffnung, für ein Überzeugtsein, das Dich so handeln, denken, reden lässt?

» Wirklich gut täte uns ein Vertrauen, dass die Saat Gottes schon recht gesät sei und von selber wachsen werde. «
Drewermann, Eugen (5. Aufl. 1989): Das Markusevangelium. 1. Teil. Bilder von Erlösung, Freiburg, 345.

Religionsunterricht einmal anders: Offene Augen, offenes Herz, offene Tür

Wer so angefragt wird, muss es richtig gemacht haben, wie der Sämann auf dem vielfältigen Boden, wie der Sämann, der das Unkraut mit der Frucht wachsen lässt oder der auf den ausgewachsenen Baum warten kann, wie die Frau, die das rechte Maß an Sauerteig hat, um damit den ganzen Trog Mehl zu durchmischen. Mir scheint es wichtig zu sein, selbst mit Glauben und als Schauende den eigenen Weg zu gehen und geduldig mit dem Reden zu warten, bis ich gefragt bin, und nicht zu denen zu reden, die gar nicht gefragt haben oder mich gar nicht hören zu wollen. Wer warten kann, bis er gefragt wird, der hat gewonnen. Und selbst wenn ich dauerhaft schweige – das, was ich geschaut habe, zeigt: Gottes Reich ist mitten unter uns.

Was das Reich Gottes angeht: Halten Sie die Augen offen! Und das Herz, und die Tür! Um Augustinus als Paulus-Schüler zu zitieren: „Porta patet, magis cor“ – Die Tür steht offen, mehr noch das Herz.

Amen.

Köln 12.06.2021
Harald Klein