„Für wen gehst Du?“
Der emeritierte Bischof von Limburg, Franz Kamphaus, hat oft eine Geschichte erzählt, die auf Martin Buber zurückgeht. In der Stadt Ropschitz, so erzählt es Buber, würden die Reichen immer wieder Leute anstellen, die nachts Wache halten sollten, über den Besitz ebenso wie über die Besitzenden. Rabbi Naftali, der Rabbiner des Ortes ging nachts ein wenig spazieren und begegnete einem solchen Wächter. „Für wen gehst Du?“, fragte er den Wächter. Der antwortete anstandsgemäß und stellte die Gegenfrage: „Und Ihr, für wen geht Ihr, Rabbi?“ Tief getroffen, antwortete Rabbi Naftali: „Noch gehe ich für niemanden. Aber sag, willst Du in meinen Dienst treten, willst Du mein Diener werden?“ -„Gerne will ich das“, antwortete der Wächter, „aber was habe ich dann zu tun?“ – „Mich zu erinnern“, sagte Rabbi Naftali.[1]
Sich zu Christus bekennen: Dieser Satz aus dem Evangelium schlägt für mich die Brücke zu den vielen exzellenten Predigten, die Bischof Kamphaus hielt, die Brücke zu dem „Für wen gehst Du?“. Dieser Satz ist Erwartung Jesu an die Jünger und ist seine Zusage an sie, die er zu zweit aussendet und die an seiner Statt gehen sollen: „Jeder, der sich vor den Menschen zu mir bekennt, zu dem werde auch ich mich vor meinem Vater im Himmel bekennen“ (vgl. Mt 10,32).
Die drei Weisen des Bekennens
Sich willentlich und öffentlich, vor Menschen, also vor anderen zu einem oder zu etwas zu bekennen, ist alles andere als alltäglich. Als „öffentliches Bekenntnis“ singen wir Nationalhymnen, hissen Flaggen, haben Protokolle für Staatsbesuche und ähnliches; als „quasi -öffentliches Bekenntnis“ mag gelten, welchen Schulranzen sich Kinder wünschen und warum, welche Schuhe oder Handtaschen ich bevorzuge, welche Automarke ich wähle und wo und wie ich meine Kleider und Klamotten kaufe. „Bekenntnis“ korreliert hier eher mit „Marke“, weniger mit „Mensch“.
Aber tun wir doch mal so, als gelte Jesu Zusage – oder ist es gar eine Aufforderung – Ihnen oder mir, den Einzelnen, oder der Gruppe, die geteilt (nicht gespalten) für ihn geht, oder für die Kirche als Ganzes, die sich ja selbst als den „mystischen Leib Christi“ zu bezeichnen vermag und und sich zu bezeichnen traut.
Ich unterscheide und beschreibe drei Weisen des Bekennens und des Bekenntnisses:
Mir genügt es schon, zu leben. ... «
Die erste Weise: Sich zu Christus zu bekennen kann heißen, einzustehen und weiterzugeben, was er selbst gelehrt hat. Und was im Laufe der Geschichte über ihn gelehrt wurde. Man bekennt sich zum Glaubensinhalt, zum Glauben, dergeglaubt wird (lat.: fides quae creditur) und zeichnet sich so als ein religiöser Mensch aus, als Angehöriger der christlichen Religion, der für sein Leben als geltend annimmt, was Christus und was danach die Kirche lehrte. Für diese Christus bekennenden Menschen darf der Katechismus nicht fehlen, es geht um die Lehre, die das Leben bestimmt. Das Bekenntnis, das hier zu Christus abgelegt wird, ist ein Bekenntnis der Haltungen und der Einstellungen, denen das Leben folgt. – Die „Gretchenfrage“ hier wäre: Wie hältst Du es mit der christlich-katholischen Lehre?
Sieh mich willig hingegeben; ... «
Die zweite Weise: Sich zu Christus zu bekennen kann heißen, diesem Bekenntnis durch Riten und Formen des gemeinsames Liedes, Gebetes oder anderer vergesellschaftenden Formen Ausdruck zu verleihen. Hier geht es um den Glaubensakt, um den Glauben, wie er geglaubt wird (lat. fides qua creditur). Man vollzieht mit, was alle anderen auch vollziehen – was vermeintlich schon immer (ein gut katholisches Argument!) so vollzogen wurde, ohne oft genug zu wissen, warum man da was eigentlich mitmacht. So wird man zum Angehörigen einer christlichen Frömmigkeit, zu einem, der irgendwie immer noch zu Hause ist in Gottesdiensten oder im Empfang der Sakramente. Für diese Christus bekennenden Menschen darf das Gotteslob, das Gesangbuch nicht fehlen, denn hier sind alle wichtigen Gebete, Lieder und Formen beschrieben und vorgelegt, die einen Mitvollzug der Riten und der Feiern ermöglichen. – Die „Gretchenfrage“ hier wäre: Welche Bedeutung haben die christlichen Feiern und Riten für Deine Zugehörigkeit zu Christus und Dein Bekenntnis zu ihm?
Weiß ich in mir selber wohnen. «
Die dritte Weise: Sich zu Christus zu bekennen kann heißen, diesem Bekenntnis durch einen das Leben und den Alltag gestaltenden Geist Ausdruck zu verleihen[2]. Hier geht es (1) um die Alltagstauglichkeit des Bekenntnisses i.S.v. Glauben prägt Leben und umgekehrt; es geht (2) um Dialogfähigkeit – ich kann vernünftig argumentieren, warum ich in diesem Geist lebe, und ich kann aus diesem Geist heraus verantwortet Antworten finden und geben auf die Fragen, die das Leben selbst mir stellt. Das Leben aus diesem Geist stellt (3) ein „Mehr“ i.S.v. „magis“ (qualitatives Mehr), nicht von „multum“ (quantitatives Mehr) her, ist also auf Humanität, Menschwerdung, ausgerichtet. Und zum Bekenntnis zu Christus wird diese übergreifende Form von Spiritualität – um nichts anderes geht es – dann, wenn Sie in Ihren Haltungen, Einstellungen und Handlungen Maß nehmen an dem, wie Christus sich Ihnen zeigt und Sie ihn – gerne in Auseinandersetzungen, Diskussionen und Übereinstimmungen mit andern – verstehen. – Die „Gretchenfrage“ hier wäre: Hat der Geist, aus dem heraus ich mein Leben gestalte, die Kraft, dem Alltag standzuhalten, ist er dialogisch in den beiden beschriebenen Formen, steht er für ein „Magis“ an Menschlichkeit – und kann er, will er christliches Bekenntnis sein – sich auf Christus berufen?
Statt „Für wen gehst Du?“ jetzt „Wie gehst Du?“ und vor allem „Gehst Du?“
Damit lasse ich Sie gehen, und gehe damit auch selbst. Gerne können Sie abwägen, welche religiösen, welche frommen und welche spirituellen Anteile Sie in der Weise Ihres Bekenntnisses zu Christus finden, wie sie zusammenspielen oder auch auseinanderdriften und was Ihnen Kraft gibt oder nur Nerven kostet.
Oder Sie schauen darauf, wieviel von welchen Anteilen Ihnen gerade noch ertragbar erscheinen, dass Sie sie zähneknirschend mittragen, weil die anderen Anteile dieses Mittragen doch lohnen.
Oder Sie tauchen ein wenig tiefer ein und schauen sich die Konflikte innerhalb der Kirche an – es sind häufig diese drei Anteile, die – jeder für sich absolut gesetzt – die anderen beiden verdrängen will.
Zum Schluss: Im Januar 1918 schrieb Hermann Hesse ein kleines Gedicht, das den Titel „Bekenntnis“ trägt. Hesse ist mir so etwas wie der Wächter für den Rabbi Naftali, und von ihm lasse ich mir auch in den hier behandelten Fragen die Frage stellen: „Für wen gehst Du?“ und mehr noch: „Wie gehst du?“ und generell: „Gehst Du?“. Auf diesem Hintergrund lese ich sein „Bekenntnis“ und gebe es auf diesem Hintergrund auch an Sie weiter. Also: Für wen gehen Sie? Wie gehen Sie? Gehen Sie?
Amen.
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Hermann Hesse: Bekenntnis
Holder Schein, an deine Spiele
Sieh mich willig hingegeben;
Andre haben Zwecke, Ziele,
Mir genügt es schon, zu leben.
Gleichnis will mir alles scheinen,
Was mir je die Sinne rührte,
Des Unendlichen und Einen,
Das ich stets lebendig spürte.
Solche Bilderschrift zu lesen,
Wird mir stets das Leben lohnen,
Denn das Ewige, das Wesen,
Weiß ich in mir selber wohnen.
Köln, 23.06.2023
Harald Klein
[1] in: Buber, Martin (1949) Die Erzählungen der Chassidim, Zürich, 671.
[2] Im Folgenden beziehe ich mich auf Schütz, Christian (1977): Art. Spiritualität, christliche, in: ders. (Hrsg.): Praktisches Lexikon der Spiritualität, Freiburg, 1170-1180.