12. Sonntag im Jahreskreis: Wenn Dir das Wasser bis zum Halse steht

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Durchlebte Szenarien des Untergangs

Das Bild spricht für sich – und es gehört zu den wohl bekanntesten Bildern in den Evangelien – es geht um den Sturm auf dem See, um die den Untergang fürchtenden Jünger im Boot, um den scheinbar all das verschlafenden Jesus, den die Jünger vorwurfsvoll wecken, es geht um Jesu Drohung dem Sturm gegenüber, der sich legt, sodass vollkommene Stille eintritt.

Die eigentliche Spitze dieser Episode ist jedoch das Wort, das Jesus an die Jünger richtet: „Warum habt ihr solche Angst? Habt ihr noch keinen Glauben?“ (Mt 4,40)

Und Markus setzt noch einen drauf: War es vorher der Sturm, der sie in Furcht versetzte, so ist es jetzt das Erleben des Tuns Jesu: „Da ergriff sie große Furcht, und sie sagten zueinander: Wer ist denn dieser, dass ihm sogar der Wind und das Meer gehorchen?“ (Mt 4,41)

Es ist wohl nicht so, dass Jesus von all dem Sturm gar nichts mitbekommen habe. Markus erzählt, er habe hinten im Boot auf einem Kissen gelegen. Du kannst Dir das Bild des Bootes vor Dein geistiges Auge stellen. Wenn jetzt das Boot sich mit Wasser zu füllen beginnt – so erzählt es Markus -, dann bekommt Jesus nicht nur nasse Füße, dazu müsste er sitzen. Wenn er im Boot liegt, steht ihm das Wasser bis zum Hals!

Ich bin sicher, Du kennst diese Redewendung, und ich kenne kaum eines Menschen Leben, in dem diese Erfahrung noch nicht gemacht wurde! Das kommt vor, und das gehört zum Leben: Dir/mir steht das Wasser bis zum Hals. Es geht um erlebte – und oft auch nur gefühlte – Szenarien des Untergangs, seien sie von außen her fremdverschuldet, seien sie von innen her selbstverschuldet. Das Tragische dabei: In vielen solcher Untergangsszenarien kannst Du von „Schuld“ kaum sprechen, dann nämlich, wenn sich Umstände so unglücklich miteinander verflochten haben, dass der Untergang zwar tatsächlich droht, aber weder von Dir noch von mit „verschuldet“ ist. Das Bild vom Sturm auf dem See mag Pate stehen für solche Situationen.

»Der Herr antwortete dem Íjob aus dem Wettersturm
und sprach: Wer verschloss das Meer mit Toren,
als schäumend es dem Mutterschoß entquoll,
als Wolken ich zum Kleid ihm machte,
ihm zur Windel dunklen Dunst,
als ich ihm ausbrach meine Grenze,
ihm Tor und Riegel setzte und sprach:
Bis hierher darfst Du und nicht weiter,
hier muss sich legen Deiner Wogen Stolz? «
Ijob 38,1.8-11

Eine Art „Kontrollverlust“

Ich möchte im weiteren nur bei der Situation der Jünger im Boot bleiben – diese Situation mag aber stellvertretend für Szenarien aller Art stehen, an deren Ende irgendeine Art von „Untergang“ steht.

Mittlerweile gibt es gute Beschreibungen dafür. Die Jünger, so könnte man sagen, haben ihre Komfortzone, ihr Kafarnaum, ihren Beruf, ihre Familien, haben Wohlbefinden und Sicherheit dieser Komfortzone hinter sich gelassen. In der Lernzone stellen sie sich Jesus, dem „Meister“ oder „Rabbi“, sie lernen, wer er ist und was er will, sie stellen sich neuen Herausforderungen und Zielen. Und genau dieses Sich-stellen führt in die Panikzone, die gekennzeichnet ist durch Kontrollverlust und Lähmung. Diese Panikzone bestehend führt in eine Wachstumszone hinein, die vielleicht zu einer neuen Komfortzone entwickelt.[1]

All das findest Du in der Geschichte vom Seesturm bei den Jüngern, und all das findest Du in den Szenarien des Untergangs, die Du vielleicht aus Deinem eigenen Leben kennst. Den Schritt in die Lernzone mögen sie noch gewagt haben, sonst säßen sie nicht mit Jesus in einem Boot. Die Ungewissheit, der Kontrollverlust – denn dafür mag der Seesturm stehen – halten sie nicht aus. Ein Wort Gottes an Ijob aus der Tageslesung, die für diesen Sonntag gewählt wurde, klingt wie eine Warnung und Mahnung an Dich selbst, wenn Dir der Sturm der Panikzone nicht geheuer oder ungeheuerlich ist: „Bis hierher darfst Du und nicht weiter, hier muss sich legen Deiner Wogen Stolz“ (Ijob 38,11) – oder anders: Einen Schritt weiter, und Du und Deine Welt drohen unterzugehen.

» Wenn also jemand in Christus ist,
dann ist er eine neue Schöpfung:
Das Alte ist vergangen,
siehe, Neues ist geworden. «
2 Kor 5,17

Dem Kontrollverlust die Stille entgegensetzen

Es mag sein, dass ich das Drei-Zonen-Modell jetzt ein wenig überstrapaziere, aber kannst du nicht auch alle drei Zonenin der Geschichte vom Seesturm auch bei Jesus finden? Zumindest in Andeutungen? Ist nicht das Sitzen im Boot mit den Jüngern und das sein Liegen hinten im Boot ein schönes Bild für das Wohlbefinden und die Sicherheit der Komfortzone? Kannst Du nicht die Schilderung des Bootes, das sich mit Wasser zu füllen beginnt, ein Bild für die Herausforderung der Lernzone deuten, auf das Jesus so ganz anders reagiert als die Jünger? Und wird nicht Im Ruf der Jünger „Meister, kümmert es Dich nicht, dass wir zugrunde gehen?“ der Kontrollverlust und die Panik der Jünger deutlich, auf die Jesus seine ganz eigene Antwort gibt?

Diese Antwort ist schlicht – Stille! Er schläft, lässt sich durch das sich mit Wasser füllende Boot zu keinem Wort verleiten, diskutiert nicht mit bzw. antwortet noch nicht einmal den panischen Jüngern, sondern sieht dem Sturm ins Gesicht bzw. sagt zu dem See: „Schweig, sei still!“ Der Evangelist Markus greift dieses Wort von der Stille gleich noch einmal auf und fährt fort: „Und der Wind legte sich, und es trat völlige Stille ein“ (Mk 4,39). Hier greift das Schlusswort der 2. Lesung dieses Sonntags aus dem 2. Korintherbrief: „Das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden“ (2 Kor 5,17). Hier spricht Paulus von einer „neuen Schöpfung“, die jeder Mensch werden kann, sofern er „in Christus“ sei (was auch immer das meint). Die Seesturm-Geschichte bestätigt das – im Bild der Komfort-, der Panik-, der Lern- und dann der Wachstumszone: Altes ist vergangen, Neues ist geworden.

» In der Unrast schenkst Du Ruh‘,
hauchst in Hitze Kühlung zu,
spendest Trost in Leid und Tod. «
Stephan Langton, Erzbischof von Canterbury, aus der Pfingstsequenz, um 1200.

Beten, wenn Dir das Wasser bis zum Halse steht…

Eins noch! Ich ringe mit der Fähigkeit oder der Gabe, das „Schweig!“ dieser Situation, in der mir das Wasser bis zum Halse steht, entgegenzuhalten. Wie kann ich die Stille außen finden, wenn das Wasser mir innen bis zum Halse steht? Das überfordert mich!

Und doch geht es, nämlich dann, wenn ich die Stille in mir innen kultiviere. Im Lied ausgedrückt, denke ich an die Pfingstsequenz, an das „Komm herab, o heiliger Geist“. Eine Strophe darin heißt „In der Unrast schenkst Du Ruh‘ / hauchst in Hitze Kühlung zu, / spendest Trost in Leid und Tod.“

Das sind die Momente stillen Betens, in denen ich mich – wie die Jünger – von Jesus fragen lasse: „Warum hast Du solche Angst? Hast Du noch keinen Glauben?“ (Mk 4,40). Ich gebe gerne zu, dass es mir dann wie den Jüngern geht: „Da ergriff sie große Furcht, und sie sagten zueinander: Wer ist denn dieser, dass ihm sogar der Winde und das Meer gehorchen?“ (Mk 4,41).

Aber in der Stille, wenn die Hitze Kühlung erfährt und die Unrast sich zur Ruhe hinkehrt, da wächst ein anderes Wort, von dem ich hoffe, dass es größere Kraft hat als die Angst: „Das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden“ (2 Kor 5,17).

Amen.

Köln, 19.06.2024
Harald Klein

[1] Vgl. Mai, Jochen: 3 Zonen-Modell: So verlassen Sie ihre Komfortzone [online] https://karrierebibel.de/3-zonen-modell/ [19.06.2024]