13. Sonntag im Jahreskreis – Nachfolge: Anspruch und Einspruch

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Zum Mitgehen angesprochen

„Hinter Jesus her“ – dieses Wort des ehemaligen Limburger Bischofs Franz Kamphaus hat Einzug gefunden in die Predigt an Fronleichnam. „Hinter Jesus her“ kann auch als Hintergrundmotiv der drei Männer stehen, von denen im heutigen Evangelium die Rede ist. Sie sprechen Jesus an, oder sie werden von ihm angesprochen. Und genau darum geht es: Um den Anspruch zum Mitgehen, zur Nachfolge. Oder auch um das Abgleichen der Ansprüche von beiden Seiten – wie in jeder Beziehung: Welchen Anspruch haben die drei Männer, welchen hat Jesus, und gibt es da überhaupt eine Schnittmenge, eine Deckungsgleichheit?

Schauen Sie doch einmal nach, ob der eine, der andere oder alle drei so etwas wie ein „Bruder im Geiste“ für Sie ist, für Sie sein oder werden könnte.

» Wir sollten aufhören zu glänzen
und anfangen zu leuchten. «
Buttgereit, Michael, Positionierungsdesigner, Gute Botschafter GmbH [online] https://diestillerevolution.de [19.01.2022]

„Ich will Dir nachfolgen, wohin Du auch gehst…“ (Lk 9,57)

Vollmundig und mutig, dieser erste Mann. „Ich“ ist sein erstes Wort – und er bietet sich und seine unbedingte Gefolgschaft an. Sie können ja einmal die Augen schließen und sich diesen ersten Mann vorstellen; sicher aus gutem Hause. Ich sehe da den adligen Ignatius von Loyola auf seinem Krankenbett, als er beschließt, „dem himmlischen König“ (so heißt es oft im Exerzitienbuch) nachzufolgen – er könnte aus der Sicherheit seines Elternhauses, gebildet und reich, so einen Satz gut und leicht sagen. „Jesus nachfolgen“ wird hier verbunden mit den Wagnissen des Aufbruchs und des Kampfes, mit der Kenntnis der richtigen Waffen, die zu beherrschen sind, aber auch mit den Sicherheiten des eigenen Hauses, mit der Möglichkeit des Rückkehrens ins heimische Schloss.

Jesus dreht den Spieß um! „Die Füchse haben Höhlen und die Vögel des Himmels Nester, der Menschensohn aber hat keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen kann“ (Lk 9,58). Es ist vielleicht gerade die Vollmundigkeit, das Auftrumpfen, die Haltung des Schon-alles-wissen-und-könnens, der Jesus hier vielleicht schelmisch, aber doch deutlich, eine Abfuhr erteilt. Der Positionsdesigner Michael Buttgereit hat im Film „Die stille Revolution“ zur Zukunft der Arbeit seinen Beitrag beendet mit den Worten „Wir sollten aufhören zu glänzen und anfangen zu leuchten.“[1] Ein erster Merkpunkt: Hinter Jesus her sein, mit Jesus mitgehen hat nichts mit Glanz, aber viel mit Leuchten zu tun!

» Wer dagegen ein Bild der Menschlichkeit zu setzen sucht in der Gestalt des ‚Menschensohns‘, der hat sie alle gegen sich, die ‚Menschen-Söhne‘, so lange jedenfalls, als sie sich noch als die ‚Gewinner‘ in dem elenden Getriebe nicht endender Grausamkeiten fühlen. ‚Heimisch‘ wird er nur sein bei denen, die selber Heimatlose sind, zu Hause nur bei allen Unbehausten, verstanden nur von den Randständigen. Die bürgerliche ‚Mitte‘, diese Zielgruppe der sogenannten Volksparteien, dieses Herzstück einer verspießbürgerlichten Volks-‚Kirche‘, wird jemals einen Mann wie Jesus den Ort bieten, sein Haupt hinzulegen. Dort wird’s ihm nicht zum Ausruhen, dort wirkt er selbst beunruhigend genug. So wie sie denkt er nicht. «
Drewermann, Eugen (2009): Das Lukasevangelium Bd.1: Bilder erinnerter Zukunft, Düsseldorf, 713.

„Folge mir nach!“

Die zweite Begegnung ist eine Umkehrung. Jetzt ist es Jesus, der den zweiten Mann anspricht: „Folge mir nach!“ Schlüpfen Sie mal in dessen Haut. Das Wort, das diesem Manne gilt, gilt jetzt Ihnen: „Folge mir nach!“ Und?

In einem Bibliodrama, es ist 25 Jahre her, äußerte ich in meiner Rolle einmal den Wunsch, Jesus möge mir doch spürbar nahekommen, zu mir wie bei Zachäus zum Besuch einkehren. Hermans Andriessen, der niederländische Kursleiter, sagte mit holländischem Zungenschlag: „Harald, ich bin Jesus, und ich komme jetzt zu Dir.“ Langsam, Schritt für Schritt kam er näher – und mir werden jetzt noch die Hände schwitzig und der Puls schnellt nach oben, wenn ich an die Szene denke. So ist es mit dem „Folge mir nach!“.

Dann doch lieber – wie der zweite Mann – im gewohnten Raum, im gewohnten Rahmen, in den Riten des Alltäglichen bleiben, lieber das Um-Feld weiter bebauen als das Lebens-Feld wechseln. Angesichts der Erwartungen dessen, was „man“ tut, fehlt diesem zweiten Mann die Souveränität, die zur Nachfolge Jesu gehört. „Lass mich zuerst weggehen und meinen Vater begraben!“, sind die Worte des von Jesus Angesprochenen, und ein „… und dann“ fehlt! Ich verorte diesen zweiten Mann in der bürgerlichen Mitte. „Die bürgerliche ‚Mitte‘, diese Zielgruppe der sogenannten Volksparteien, dieses Herzstück einer verspießbürgerlichten Volks-‚Kirche‘, wird jemals einen Mann wie Jesus den Ort bieten, sein Haupt hinzulegen. Dort wird’s ihm nicht zum Ausruhen, dort wirkt er selbst beunruhigend genug. So wie sie denkt er nicht.“[2] – Und Sie? Und ich?

Ein zweiter Merkpunkt: Hinter Jesus her sein, mit Jesus mitgehen erfordert Souveränität, erfordert auch Abschied von Gewohntem, stellt Sitten, Gebräuche, Normen (auch das „Normale“) in Frage und richtet sich streng nach dem Leben aus, nicht nach schon Totem.

» Da will tatsächlich Jemand Jesus folgen, doch bittet er zuvor um die Verstattung, sich ‚von denen zu Hause‘ ‚verabschieden‘ zu dürfen (9,61). Er merkt nicht den Widerspruch, der in seiner Einstellung liegt; denn wenn etwas unmöglich ist, dann ist es, frei werden zu wollen mit Erlaubnis. Freiheit kann man nur sich selbst nehmen; eine von fremd genehmigter Freiheit ist nur eine genehmere Form der Unfreiheit, eine verlängerte Kette für den Hund. «
Drewermann, Eugen (2009): Das Lukasevangelium Bd.1: Bilder erinnerter Zukunft, Düsseldorf, 718.

„Zuvor aber lass mich Abschied nehmen…“

Dann der dritte Mann, zugegeben, der mir liebste! Aus eigener Initiative geht er auf Jesus zu – aber nur, um ihm seinen Vorbehalt zu sagen. Das berühmte „Ich würde ja gerne, aber…“ Die Vorbehalte, die Enttäuschungen aus vielen Versuchen. Wen oder was möchte ich nicht alles hinter mir lassen, verabschieden aus meinem Leben, von der „Festplatte des Lebens“ löschen, um neuen „Speicherplatz“ zu haben. Wie viel Geld ist in Exerzitien, wieviel Zeit in Begleitung geflossen. Kennen Sie das?

„Wer die Hand an den Pflug legt und dann nochmals zurückblickt, taugt nicht für das Reich Gottes“, so Jesus (vgl. Lk 9,62). Hier steht die Freiheit, die Souveränität des dritten Mannes auf dem Spiel. Willst Du um Erlaubnis fragen, ob man Dich gehen lässt? Noch einmal Eugen Drewermann, der über diesen dritten Mann sagt: „Er merkt nicht den Widerspruch, der in seiner Einstellung liegt; denn wenn etwas unmöglich ist, dann ist es, frei werden zu wollen mit Erlaubnis. Freiheit kann man nur sich selbst nehmen; eine von fremd genehmigter Freiheit ist nur eine genehmere Form der Unfreiheit, eine verlängerte Kette für den Hund.“[3]

„Zuvor aber lass mich Abschied nehmen…“ – in Zeiten der unglaublichen Austrittszahlen in der Kirche hat sich das Blatt gewendet; der Beweggrund ist derselbe: Freiheit und Souveränität stehen auf dem Spiel. Vielleicht ist es überspitzt, aber in Sachen „Nachfolge“ glaube ich sagen zu dürfen: die Freiheit, die Souveränität, die Jesus von Nazareth für die Nachfolge vorausgesetzt hat, ist von denen, die sich als die Nachfolgenden halten gerade beschnitten und abgelehnt worden. Das „Lass mich Abschied nehmen“ ist oft genug auch der Befreiungsschlag in eine freie und souveräne Form der Seelsorge, so erlebe ich das immer wieder.

Ein dritter Merkpunkt: Hinter Jesus her sein, mit Jesus mitgehen wartet nicht darauf, dass mir jemand die verlängerte Kette vom Hals nimmt, dass mir jemand die Erlaubnis zur Freiheit gibt – hinter Jesus her zu sein und ihm nachzufolgen heißt mutig frei zu leben, genauer, heißt (1) mutig und dann (2) frei zu leben.

» Ob Leben gelingt oder misslingt, hängt davon ab,
auf welche Weise Welt (passiv) erfahren
und (aktiv) angeeignet oder anverwandelt wird
oder werden kann. «
Rosa, Hartmut (2016): Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung, 2. Aufl., Berlin, 53.

Nachfolge im Dreierpack

„Hinter Jesus her“: Für ein „Predigt-Nachgespräch“ stelle ich mir vor, dass Ich ein Stück des Weges mit jedem der drei Männer gehe. Die drei Merkpunkte brächte ich ins Gespräch. Und mit Hartmut Rosa und seinem Resonanz-Begriff würde ich danach fragen, ob sie ihr Leben als „gelungen“ oder eher als „misslungen“ ansehen, wie sie die Welt um sich herum (passiv) erfahren und sich (aktiv) aneignen. Ich würde gerne wissen, ob es für sie einen Grad an Verbundenheit mit anderen Menschen oder auch Dingen gibt, und ob sie das eher freier oder eher abhängiger macht. Ich würde gerne wissen, was sie tun – oder auch lassen -, damit sie ihr Leben so souverän wie möglich gestalten können, und wer oder was ihnen dabei eine Hilfe ist, und dann, was das alles für sie mit Jesus zu tun habe.

Und ich würde hoffen, dass die drei Männer, jeder für sich, mir dann die gleichen Fragen stellen. Schließlich geht es um die Nachfolge Jesu.

Amen.

Köln 24.06.2022
Harald Klein

[1] Buttgereit, Michael, Positionierungsdesigner, Gute Botschafter GmbH [online] https://diestillerevolution.de [19.01.2022]

[2] Drewermann, Eugen (2009) Das Lukas-Evangelium, Bd.1: Bilder erinnerter Zukunft, Düsseldorf, 713.

[3] Drewermann, Eugen (2009) Das Lukas-Evangelium, Bd.1: Bilder erinnerter Zukunft, Düsseldorf, 718.