13. Sonntag im Jahreskreis – Sich einfach freuen

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„ … heilbringend sind die Geschöpfe der Welt“

Es gibt Begegnungen mit Worten, die einem schlichtweg das Herz öffnen können. Die heutige Lesung ist so eine Ansammlung von „Herzöffnern“. Lesen Sie diesen kleinen Text aus dem Buch der Weisheit doch mal in Ruhe nach, lesen Sie ihn aus Ihrem Leben und Erleben hinaus und in Ich Leben und Erleben hinein. Das kann nicht ohne Reaktion bleiben – da bin ich mir sicher.

Die Frage ist nur, welche Reaktion dieser kleine Text bei Ihnen hervorruft. Können Sie sich freuen über Sätze wie „Gott hat keine Freude am Untergang des Lebens“ oder „zum Dasein hat er alles geschaffen“ oder „heilbringend sind die Geschöpfe der Welt“? Oder winken Sie eher ab und bleiben traurig am Schlusssatz hängen, der so ganz anders klingt: „Doch durch den Neid des Teufels kam der Tod in die Welt, und ihn erfahren alle, die ihm angehören.“

» Wir sehen die Welt nicht, wie sie ist,
sondern wie wir sind. «
Anais Nin

Je nachdem, wie Ihre Reaktion ausfällt, wird allerdings eines schon deutlich: Es gibt kein eindeutiges Reagieren. Das Zitat von Anais Nin abgewandelt, könnte man sagen: Wir lesen die Sätze nicht, wie sie sind, sondern wie wir sind! Das, was geschieht, die Dinge, wie sie sich ereignen, auch das, was Sie lesen oder hören – all das ist zunächst einmal wertfrei, beinahe könnte man sagen „bedeutungs-los“. Es ist schlichtweg das Gewicht, das Sie den Ereignissen geben, die Bewertung, die sich bei Ihnen einstellt, die den Dingen, den Ereignissen, den Äußerungen ihr Gewicht und ihre „Richtung“ gibt. Das können Sie in der Weisheit eines östlichen Buddhismus ebenso nachlesen wie bei den Stoikern der römischen Antike. Der Satz „Jeder ist seines Glückes Schmied“ bedarf natürlich zum einen einer gendergemäßen Form, zum anderen – und das finde ich noch „bedeutungs-voller“, einer geistlichen Umdeutung: Ich lese den Satz nicht auf das Handeln des Menschen hin, auf die Möglichkeiten, vom Tellerwäscher zum Millionär zu mutieren, sondern auf die zutiefst menschliche Möglichkeit hin, mich den Ereignissen gegenüber in deren Bewertung verhalten zu können. Natürlich könnten Sie sich den ganzen Tag ärgern, sogar ein Leben lang, aber Sie sind nicht dazu verpflichtet. Sie könnten sich, um es mit der Lyrikerin Ulla Hahn zu sagen, auch „einfach freuen, so ein unschuldiger Entschluss, und das Pathos der Hoffnung, und die Augen zu sehen.“

» Sich einfach freuen
so ein unschuldiger Entschluss
und das Pathos der Hoffnung
und die Augen zu sehen... «
aus: Hahn, Ulla, Freude

„Sich einfach freuen“

Mit der Freude tun sich die Menschen im Umgang mit Jesus im heutigen Evangelium irgendwie schwer. Da ist die Rede vom Synagogenvorsteher, der für seine kleine Tochter bittet, auf Knien, flehend, so schildert es das Markusevangelium. Jesus macht sich mit ihm auf den Weg. Da ist auf diesem Weg die blutflüssige Frau, die nur das Jesu Gewand berühren möchte, weil sie sich davon Heilung verspricht, und so geschieht es auch. Jesus spürt, dass eine Kraft von ihm ausgeht, die alle heilt – was für ein Satz! – und fragt, wer ihn berührt habe. Und obwohl die Frau sich schon als geheilt erlebt, kommt sie, zitternd vor Furcht, weil sie wusste, was mit ihr geschehen war, fällt vor Jesus nieder und sagte ihm die ganze Wahrheit. Schließlich überliefert Markus das Entsetzen – und nicht die Freude -, das sich einstellt, als Jesus die tote Tochter des Jairus zum Leben erweckt. Es heißt wörtlich: „Die Leute waren fassungslos vor Entsetzen.“

Wo ist da die Freude, dass einer mitgeht, um nach dem Mädchen zu sehen, einer, dem es Jairus zutraut zu helfen? Wo ist die Freude der butflüssigen Frau, die sich als geheilt erlebt? Und wo ist die Freude der Leute, die zum Haus des Synagogenvorstehers gehören, als das Mädchen wieder lebt?

Wo ist meine Freude, wenn ich die Dinge dieser Welt betrachte, und ist Ihre? Wie sieht das aus mit Ulla Hahns gutem Rat „sich einfach (zu) freuen“?

» Man muss die Wirklichkeit hinter der Wirklichkeit finden, um als Mensch wirklich leben zu können. «
Drewermann, Eugen (1993): Auferstanden aus der Angst. Eugen Drewermann im Gespräch mit Eike Christian Hirsch, in: der. (Hrsg.): Wort des Heils - Wort der Heilung, Bd. 4, Düsseldorf, 177.

Widerständig zur Schwermut – Wieder stehen in Freude

Wenn es stimmt (und es ist so), dass nicht die Dinge und Ereignisse an sich zur Schwermut, zur Traurigkeit und zur Niedergeschlagenheit führen, sondern die Bewertung, die Sie ihnen geben, dann ist es ein gutes geistliches Lernfeld, dieser Schwermut widerständig zu begegnen. Das Wort „Niedergeschlagenheit“ vermittelt einen Zweiten oder ein Zweites, ein Gegenüber, das Sie umgeworfen und „aus den Latschen geschmissen“ hat. Das führt Sie in eine Opferrolle! Manchmal mag das stimmen, meist ist es Ihre eigene Sichtweise, Ihre eigene Bewertung, die Sie zum Opfer macht. In diesem geistlichen Lernfeld, das sich Ihnen da auftut, gilt es, eine Sehnsucht zur Entschiedenheit zur Hoffnung und zur Freude zu entwickeln. In sieben Schritten kann das geschehen. Es braucht in allem, was Ihnen schwer, vielleicht sogar unlösbar erscheint, (1) die Haltung des Optimismus: Das was ist, geht vorbei; das was ist, ist nicht alles… Es braucht (2) die Akzeptanz, die Annahme dessen, was ist; es hilft kein Schönreden oder kein Wegsehen von oder Fortlaufen aus der Situation, die zuerst schlicht so ist, wie sie eben ist, und die Sie dannbewerten, wie auch immer. Es braucht (3) den Entschluss zur Lösungsorientierung, der meist nicht zurück zum Bisherigen führt, der aber dennoch oft neue Lösungen aufzeigt, um aus der Dunkelheit und der Niedergeschlagenheit herauszukommen. Es braucht (4) einen Weg, die Opferrolle zu verlassen, egal ob das „Gegenüber“ ein Mensch und seine Angriffe, eine Krankheit, eine Trennung oder was auch immer ist. Nur, wenn Sie die Opferrolle verlassen, kann Selbstbestimmung neu beginnen. Für das was war oder was noch ist, werden Sie (5) Verantwortung übernehmenmüssen, keiner nimmt Ihnen das ab, was nur Sie tun können und auch tun müssen, um die Niedergeschlagenheit hinter sich zu lassen und um wieder aufrecht stehen zu können. Und wenn Sie stehen, dann (6) schauen Sie, mit wem Sie sich vernetzen, verbünden, wer Ihnen Stütze und Halt sein kann, nutzen Sie Netzwerke, die Sie haben oder die sich neu gründen.  Ich erinnere mich an Zeiten, wo das, was man „Gemeinde“ im Raum der Kirche nennt, dafür ein Ort gewesen ist. Lieber als das Wort „Gemeinde“ sind mir die Worte „Gefährte“ und „Gefährtin“, weil sie das Miteinander, Füreinander, Zueinander mehr betonen als das alte Wort „Gemeinde“. Und mit diesen Menschen, die Sie dann finden – vielleicht sind es die von „früher“, eher werden es „neue“ Menschen sein – nehmen Sie (7) die Zukunft in den Blick, schauen Sie aus der Gegenwart auf das, was in Zukunft kommen kann, was Sie im wahrsten Sinne des Wortes „angehen“ wollen. Dieser Zukunftsplanung und Zukunftsgestaltung mag der erste Satz der ersten Lesung gelten: „Gott hat den Tod nicht gemacht und hat keine Freude am Untergang der Lebenden. Zum Dasein hat er alles geschaffen, und heilbringend sind die Geschöpfe der Welt.“

„Sich einfach freuen / so ein unschuldiger Entschluss / und das Pathos der Hoffnung / und die Augen zu sehen…“ (Ulla Hahn)

Ich wünsche Ihnen diese „Augen zu sehen“ und den „unschuldigen Entschluss“, sich zu freuen, auch und gerade dann, wenn die Freude offensichtlich nicht obenauf liegen will.

Amen.

Köln 26.06.2021
Harald Klein