14. Sonntag im Jahreskreis – Einfach, aber nicht leicht!

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Der Hintergrund: Untergangsstimmung

Es ist zunächst nur ein einziger – und später dann ein zweiter – Satz, der mich am heutigen Sonntagsevangelium fesselt. Zuerst sind es die ersten Worte Jesu aus dem Schlussteil des 11. Kapitels bei Matthäus: „Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du das vor den Weisen und Klugen verborgen und es den Unmündigen aber offenbart hast“ (Mt 11,25).

Wer auch nur ein klein wenig aufmerksam liest oder hinhört, wird sich fragen, von was Jesus hier redet: „…, dass du das vor den Weisen und Klugen verborgen und es den Unmündigen offenbart hast.“ – „Was denn?“, möchte man Jesus fragen, „was hat er vor den einen verborgen und den anderen geoffenbart?“

Eine erste Lesart: Das 11. Kapitel erweckt vorher, vor dieser Schlussszene, eine Untergangsstimmung. Das ist die Rede von Johannes dem Täufer im Gefängnis (Mt 11,1-6), da spricht Jesus nicht nur das Urteil über Johannes den Täufer, sondern auch das Urteil über die, für die auf der Flöte Hochzeitslieder gespielt wurden und die nicht getanzthaben bzw. denen Klagelieder gesungen wurden und die sich nicht an die Brust geschlagen haben (vgl. Mt 11,7-19). Als Drittes findet sich in Mt 11,20-24 dann das Gericht über die galiläischen Städte, die sich nicht bekehrt haben. All das mögen die „Weisen“ und „Klugen“ verdrängt haben, irgendwie „übersehen“ haben, sie wollten es nicht wahrhaben, oder sie können es nicht wahrhaben. Anders wahrscheinlich die „Unmündigen“, die hinsehen und hingehen.

Eine zweite Lesart: Der Dank Jesu an den Vater zu Beginn des heutigen Evangeliums hat etwas von einer Ikone, man könnte es malen („schreiben“ heißt es bei Ikonen). Ausdrücklich wird hier die Vater-Sohn-Thematik ins Wort gebracht, es geht um die Übergabe göttlicher Vollmacht des Vaters an den Sohn, um die Kenntnis des Vaters, die nur der Sohn hat und dann die, denen es der Sohn offenbaren wird. Vielleicht sind die Weisen und Klugen diejenigen, die im Evangelium stehenbleiben bei diesen Sätzen und ins Diskutieren, ins Lehren und Belehren, ins Streiten und ins gegenseitige Ausschließen kommen – auf dem Weg, das Ineinander, das Miteinander und das Füreinander der göttlichen Personen zu klären und zu lehren. Sie haben es nicht leicht, die „Weisen“ und „Klugen“! Und sie haben diese Lehrfragen bis  heute nicht gelöst!

» Wir hören ganz richtig: Die Person, die wir für die wichtigste der ganzen Menschheitsgeschichte halten, in der wir den Gründer unserer eigenen Religion erkennen, die wir für den Erlöser der Menschheit halten, tut genau das nicht, was uns von Seiten der Kirche in seinem Namen wie selbstverständlich beigebracht worden ist: die Leute einzuladen, weil sie einer ganz bestimmten Doktrin sich zugehörig fühlen. «
Drewermann, Eugen (1994): Das Matthäus-Evangelium. Bilder der Erfüllung. Bd.2, Solothurn/Düsseldorf, 208f.

Im Vordergrund: Die Einladung Jesu

Mir gefällt das Gedankenexperiment, dass die „Unmündigen“ eben nur „unmündig“ sind aus dem Blickwinkel der „Weisen“ und „Klugen“. Die Unmündigen mögen sich in den Fragen der Weisen und Klugen nicht auskennen, nicht mitdiskutieren oder streiten, erst recht nicht kämpfen. Sie haben andere Lasten zu tragen, plagen sich an anderen Orten oder „Fronten“ des Lebens.

Jetzt ist es Zeit für den zweiten Satz aus dem Evangelium, der mich fesselt: „Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Ich werde euch Ruhe verschaffen. (Mt 11,28). Im ersten Satz war es die Frage, was Jesus denn mit dem „das“ meint, das den Unmündigen geoffenbart wird. Im zweiten Satz ist es das kleine Wörtchen „alle“, das mich rührt. Eugen Drewermann schreibt in seinem Kommentar zum Matthäusevangelium dazu:

„Wir hören ganz richtig: Die Person, die wir für die wichtigste der ganzen Menschheitsgeschichte halten, in der wir den Gründer unserer eigenen Religion erkennen, die wir für den Erlöser der Menschheit halten, tut genau das nicht, was uns von Seiten der Kirche in seinem Namen wie selbstverständlich beigebracht worden ist: die Leute einzuladen, weil sie einer ganz bestimmten Doktrin sich zugehörig fühlen. Sie sind katholisch, dann dürfen sie hier sein; sie sind evangelisch, dann dürfen sie nicht hier sein; sie sind Muslime, dann gehören sie überhaupt nicht hierher; sie sind Hindus, dann sind sie Heiden. Wenn es möglich wäre, einmal nur darauf zu achten, wie Menschen sind, und zu begreifen, dass das Leid überall das gleiche ist und keine Grenzen zulässt, weil jede Grenze das Leid nur noch vermehren muss, dann wird die Welt wie von selbst so offen, so wehrlos, so schutzlos, so leergeräumt von allen Zäunen der Abgrenzung, wie Jesus es wollte. Da gibt es kein Ende, keine Beschränkung, kein Halten.“[1]

Wenn ich es jetzt bedenke: Die „Weisen“ und Klugen“ haben es in ihren Denkstrategien, Lehrmeinungen, Begründungszusammenhängen und (vor allem institutionellen) Überlebensstrategien nicht leicht. Es sind ihren Augen, es ist ihr Blick und ihre Konstruktion, diejenigen, die da nicht mitmachen, als „Unmündige“ zu bewerten. Umgekehrt ist es für die „Unmündigen“ einfach, diese Einladung Jesu für sich selbst anzunehmen und anderen gegenüber anzubieten. Einfach, aber nicht leicht ist es für sie, die „Weisen“ und „Klugen“ davon zu überzeugen, dass dies Jesu Weg ist, den er – zumindest im heutigen Evangelium – propagiert.

Amen.

Köln, 08.07.2023
Harald Klein

[1] Drewermann, Eugen (1994): Das Matthäus-Evangelium. Bilder der Erfüllung, Bd. 2, Solothurn/Düsseldorf, 208f.