14. Sonntag im Jahreskreis – Imperativisch reden? – Imperativisch hören!

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Reden im Imperativ

Ich erinnere mich aus meiner Kinderzeit noch an Imperative, da wusste ich gar nicht, dass es solche Begriffe gibt. „Marsch – ins Bett“ war so einer, oder „Zähne putzen!“ oder „Erst Hände waschen, dann essen!“ Je knapper die Sätze wurden, je lauter gesprochen wurde, um so ernster war es.

Und ich erinnere mich an Imperative in der Zeit als Erwachsener – ich erlebe sie noch. Gerade ist „Sparen Sie Energie“ hoch im Kurs, oder „Lass Dein Auto stehen“. Oder die „AHA-Regel“, ausgeweitet auf „Mit AHA+A+L durchs Jahr“: „Abstand – Hygiene – Alltag mit Maske – App nutzen – Lüften“ als alltägliche Versuche, dem Corona-Virus Paroli zu bieten.

Rein phänomenologisch, rein von der Beobachtung her scheint eine erste Feststellung zu gelten: wenn im Gespräch auf einmal Befehlsformen, Imperative auftauchen, dann gibt es irgendeine Form von Hierarchie, von Gefälle im Miteinander, dann gibt es klare Ansagen, an deren Einhaltung ein Stück Zukunft und ein Fortsetzen der Gemeinschaft hängt.

» Die väterliche Güte Gottes zeigt sich nur im „Kindlichen“ (10,21), so dass, wer immer glaubt, nach ‚Erwachsenenart‘ wissend, fertig und festgelegt, Gott in einen Lieferanten von Titeln, Ämtern und Pöstchen verwandeln zu können, an ihm auf schlimme Weise scheitern wird. Alles, was von Gott sich weitergeben lässt, entsteht im Feld eines solchen Vertrauens und einer solchen Vertrautheit. «
Drewermann, Eugen (2009): Das Lukasevangelium Bd.1: Bilder erinnerter Zukunft, Düsseldorf, 751.

Die Aussendung der Zweiundsiebzig

Im heutigen Evangelium geht es – beinahe parallel zur Aussendung der Zwölf in Lk 9,1-6 – um die Aussendung der Zweiundsiebzig. Die „Zwölf“ sind die Apostel, so etwas wie der Ursprung der Bischöfe in einer klerikalisierten und in Ämtern formierten Kirche. Dem gegenüber ist die Aussendung der „Zweiundsiebzig“ so etwas wie der Ursprung der „Laien“, mitten hinein in die Welt – „wie Schafe mitten unter die Wölfe“ heißt es im Evangelium.

Das für mich Auffällige ist: In beiden Aussendungen spricht Jesus im Imperativ, in der Befehlsform; bei den Zwölfen genügen ihm fünf solcher Imperative: Nehmt nichts mit; bleibt in dem Haus, in dem ihr einkehrt; wenn Ihr nichtaufgenommen werdet, geht weiter und schüttelt den Staub von Euren Füßen. Bei den Zweiundsiebzig sind es gleich dreizehn Imperative: bittet; geht; nehmt nichts mit; grüßt; wünscht Frieden; bleibt, esst und trinkt in diesem Haus; zieht nicht von einem zum anderen Haus; esst, was man euch vorsetzt; heilt die Kranken; sagt, dass das Reich Gottes nahe ist; lasst den Staub von Euren Füßen dort zurück, wo man euch ablehnt. Und auffälligerweise kommt dazu, dass den Zwölfen die Vollmacht gegeben wurde, alle Dämonen auszutreiben und die Kranken zu heilen – von dieser Vollmacht ist bei den Zweiundsiebzig nicht die Rede, das „heilt die Kranken“ kommt aber als Imperativ doch durch.

Rein phänomenologisch, rein von der Beobachtung her scheint eine zweite Feststellung zu gelten: den Funktionsträgern in der sich entwickelnden Kirche gelten weniger Imperative als denen, die von der Kirche wie Schafe mitten unter die Wölfe gesendet werden.

» Sie (i.e. die Zweiundsiebzig) bilden gerade nicht den Instanzenzug eines sich etablierenden Rechts- und Verwaltungssystems ab, vielmehr sind sie Sendboten, welche die Ankunft Jesu in den Dörfern Galiläas vorbereiten sollen. Sie sind durchaus keine Beamten, keine Titelträger, keine Repräsentanten einer (Kirchen)Macht und (Ritual)Magie; sie sind Personen, die in ihrer Lebensauffassung und Lebensweise etwas von der Art Jesu selbst erahnen lassen und vermitteln. «
Drewermann, Eugen (2009): Das Lukasevangelium Bd.1: Bilder erinnerter Zukunft, Düsseldorf, 725f.

Sich einreihen in die Schar der Zweiundsiebzig

In dieser Woche wurde die Statistik der Kirchen vorgelegt. Das Jahr 2021 verzeichnet „Rekord-Kirchenaustritte“[1]. Die bloße Anzahl der Austritte sei schon verheerend, so der Internet-Artikel. Mit 359.338 Menschen hätten 138.000 Personen mehr die Kirche verlassen als im Jahr zuvor. Felix Neumann, der Autor des Artikels, spricht von einem Jahr der sich verschärfenden Kirchenkrise. Menschen aller Couleur, Menschen aller Weisen von Nähe und Distanz zur Kirche verlassen diese Kirche, lassen sie hinter sich.

Rein phänomenologisch, rein von der Beobachtung her scheint eine dritte Feststellung zu gelten: zu den Imperativen, die den Zweiundsiebzig, den Laien, gelten, gehört: „Sagt, dass das Reich Gottes nahe ist.“ – diesen Imperativ hören wiederum die Zwölf aus Jesu Munde nicht!

Offensichtlich sind die Imperative an die Zweiundsiebzig die, die das Mitgehen – innerlich wie äußerlich – leichter machen. Es sind allesamt Imperative, die mir nicht von außen (besser vielleicht: von oben) gesagt werden müssen. Es sind Imperative, die ich innen in mir hören kann, wenn ich in mich hineinlausche. Oder anders: Mit Imperativen eines anderen von außen bombardiert zu werden heißt, dass jemand anders an mit herumbastelt und mir letztlich Gewalt antut. Denselben (!) Imperativ in mir und aus mir selbst zu hören heißt, ich gebe den heilsamen Basteleien des Geistes in mir nach, bin und bliebe formbar und wachse in meine Gestalt von selbst hinein.

» Wenn Subjekte [...] im Sinne der Leitthese dieses Buches auf Resonanzerfahrungen angelegt sind, so können sie darauf hoffen, als ‚zweite Stimmgabel‘ von etwas Begegnendem zum Klingen gebracht zu werden – oder aber im Sinne der ‚ersten Stimmgabel‘ so lange zu suchen, bis sie ‚Widerhall‘ finden. «
Rosa, Hartmut (2016): Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung, 2. Aufl., Berlin, 212.

Innere Imperative als Resonanzerfahrung

Diese „innerlichen Imperative“ kann man mit Hartmut Rosas „Resonanzerfahrung“ in eins setzen. „Wenn Subjekte […] auf Resonanzerfahrungen angelegt sind, so können sie darauf hoffen, als ‚zweite Stimmgabel‘ von etwas Begegnendem zum Klingen gebracht zu werden – oder aber im Sinne der ‚ersten Stimmgabel‘ so lange zu suchen, bis sie ‚Widerhall‘ finden.“[2] Sie erinnern sich an die dreizehn Imperative Jesu an die Zweiundsiebzig: bittet; geht; nehmt nichts mit; grüßt; wünscht Frieden; bleibt, esst und trinkt in diesem Haus; zieht nicht von einem zum anderen Haus; esst, was man euch vorsetzt; heilt die Kranken; sagt, dass das Reich Gottes nahe ist; lasst den Staub von Euren Füßen dort zurück, wo man euch ablehnt. Das sind alles Weisen der Weltbeziehung und der Weltaneignung. Und es gibt vieles mehr!

Die Aufgabe, das Ziel und gleichzeitig die Erfüllung der Menschen, die sich in die zweiundsiebzig Gesendeten einreihen, ist es, gut hinzuhören, was sie von außen, von einer „zweiten Stimmgabel“ zum Klingen bringt, oder im Sinne einer „ersten Stimmgabel“ so lange zu suchen, bis es zu einem Widerhall kommt.

Für den einen kann das zu bleiben heißen, für die andere heißt es, den Staub von den Füßen dort zu lassen, wo man nicht aufgenommen wird resp. sich nicht aufgenommen fühlt. Interessant ist doch, dass beides zu den Imperativen Jesu gehört.

Welchen Imperativ hören oder spüren Sie wohl in sich selbst? Welcher darf in Ihnen leben? Imperative sind mehr als nur Kinderkram!

Amen.

Köln 28.06.2022
Harald Klein

[1] vgl. [online] https://www.katholisch.de/artikel/39885-rekord-kirchenaustritte-die-kirchenkrise-ist-chronisch-geworden [28.06.2022]

[2] Rosa, Hartmut (2016): Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung, 2. Aufl., Berlin, 212.