14. Sonntag im Jahreskreis – „Komm! Ins Offene! Freund!“

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Hölderlins Einladung

Friedrich Hölderlin (1770-1843) ist eine wirklich tragische Figur in der deutschen Literaturgeschichte. Den Dingen, den Erscheinungen und den Erlebnissen versuchte er denkend und zugleich empfindend auf den Grund zu gehen. Er endete im Wahnsinn. Den Beginn von Hölderlins Elegie „Der Gang aufs Land. An Landauer“ – sie ist seinem Vermieter und Freund Christian Landauer gewidmet – habe ich als Titel für diese Predigt gewählt: „Komm! Ins Offene! Freund!“

Der Grund dafür sind drei Ereignisse und ein Wort Jesu aus dem heutigen Evangelium. Mit dem Wort aus dem Evangelium möchte ich beginnen.

Vom Joch und von der Last Jesu

Es ist gerade mal zwei Wochen her, dass in der Feier des Herz-Jesu-Festes dasselbe Evangelium gelesen wurde, der Absatz aus Matthäus, in dem er Jesus sagen lässt: „Nehmt mein Joch auf Euch und lernt von mir; denn ich bin gütig und von Herzen demütig; und ihr werdet Ruhe finden für Eure Seele. Denn mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht.“

Wenn Jesus von seinem Joch und seiner Last spricht, meint er dann wohl sein eigenes Verstoßenwerden, seinen Kreuzweg,sein Kreuz und letztlich sein Sterben? Und sagt er uns wirklich, dass wir sein Joch auf uns nehmen sollen – wie ein fortdauernder Simon von Cyrene am Kreuzweg? Das ist eher eine naive Sichtweise, oder? Eine zweite Sichtweise: Jesus erinnert an sein Geschick und lädt ein bzw. fordert auf, daran teilzuhaben, von ihm zu lernen und zu entdecken, dass dieses Joch letztlich sanft und dass die Last leicht sei. Auch nicht viel besser als Sichtweise! Bleibt die dritte Sichtweise: Jesus spricht von einer Last, von einem Joch für einen jeden von uns, dass er selbst uns auferlegt. Auch kein schönes Bild oder keine schöne Sichtweise, aber hier hilft zumindest die Zusage, dass das Joch sanft und die Last leicht sei.

Drei kurze Erlebnisse der vergangenen Woche

Bei dem sanften Joch und der leichte Last Jesu möchte ich mit Ihnen verweilen. Gleich dreifach.

Da wäre „das Joch und die Last Jesu, Vol. I“: Ein Abend mit zwei befreundeten Kollegen aus der Arbeit in der Seelsorge. Die Kirchliche Statistik von 2017 ist gerade veröffentlicht, von Kirchenaustritten in hoher Zahl, der höchsten seit der Zählung, ist die Rede. Und dann ein Satz, der nachwirkt: „Weißt Du, ich bin froh, noch drei, vier Jahre arbeiten zu müssen, und dann frei zu sein von Aufgaben, die letztlich schon seit Jahren ins Leere laufen. Uns laufen die Menschen weg, und wir machen weiter wie bisher. Ich will das eigentlich nicht mehr unterstützen.“ Spüren Sie die beiden Sichtweisen: Für meinen Kollegen ist das „Business as usual“ das Joch und die Last; für die, die für das „System“ stehen, ist es der Mitarbeiter! Hier gilt – im Ruhestand – Hölderlins Elegie: „Komm! Ins Offene! Freund!“

Dann „das Joch und die Last Jesu, Vol. II“: Eine Gesprächsrunde mit jungen Erwachsenen, alle kirchlich sozialisiert und z.T. engagiert. Die Frage war: „Was würdet Ihr von mir erwarten, wenn Ihr zu mir kämet mit der Frage, wie man aus der Kirche austreten kann. Wie soll ich mich verhalten?“ Die Antwort war schnell klar. „Wenn wir zu Dir kommen, wollen wir, dass Du uns drinnen hältst. Den formalen Weg zum Amtsgericht kennen wir.“ Spüren Sie wieder die beiden Sichtweisen: Wenn wirklich jeder und jede, die die Kirche(n) verlassen, von denen, die für das „System“ stehen, als „Verlust“ angesehen wird, frage ich mich, warum die, die gehen, nicht das Gefühl haben im „System“ irgendwann einmal als „Reichtum“ gesehen und so auch angesprochen worden zu sein. Das Joch Jesu und seine Last kann für die, die gehen, entweder unsagbar schwer oder völlig belanglos gewesen sein. Sie gehen. Ins Offene!, würde Hölderlin sagen. Verhindern kann das nur ein „Halten“ im System, das wieder der Hölderlin’schen Elegie entspricht: „Komm! Ins Offene! Freund!“ – in spirituelle oder diakonische Nischen in einer Kirche, die mehr und mehr als „selbstreferenzielles System“ erlebt wird und den Kontakt mit dem Außen immer mehr verliert.

» Die einzige Weise, mit Sicherheit zu erkennen, wie wir zu Gott stehen, liegt darin, alle unsere menschlichen Beziehungen zusammenzunehmen und anzuschauen. Was in diesen Beziehungen vorhanden ist, das ist auch in unserer Beziehung zu Gott vorhanden. «
Franz Jalics

Und schließlich „das Joch und die Last Jesu, Vol. III“: Eine kurze Meldung auf www.katholisch.de am 02.07.2020 mit dem Titel „Segnet Menschen, keine Gitter!“[1] Es gehe, so der Autor Felix Neumann, um einen kuriosen Termin mit einer kuriosen  Aussage. Um den Eingangsbereich der Domschatzkammer und die Nordportale zu schützen, wurde ein etwa 47 m langes und über drei Meter hohes Gitter künstlerisch entworfen, gefertigt und gestern eben aufgerichtet[2]. Und – das ist das kuriose Moment dabei – es wurde gestern gesegnet! Neumann schreibt: „Während anderswo die beispiellos hohen Kirchenaustrittszahlen diskutiert werden, segnet in Köln anlässlich des Patroziniums der Hohen Domkirche St. Petrus der Domprobst emeritus höchstselbst – ein Metallgitter.“[3] Und er fährt fort: „Zu naheliegend die Nachfrage: Unter großem Bahnhof wird ein Metallgitter feierlich gesegnet, das die sehr profane Aufgabe hat, Wildpinkler, Andenkensammler und andere Vandalen von der Dommauer fernzuhalten – dafür ist Segen über? Über einen barmherzigen Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen und den Segen nicht für Zäune, sondern für Menschen, die sich zwar gegenseitig lieben, dabei aber den oder die Falsche lieben, debattiert die Kirche seit Jahren.“[4] Was die Bilder der Pressestellt der Erzdiözese nicht zeigen: Gegenüber des Gitters versammelt sich eine Gruppe von Frauen der Protestbewegung Maria 2.0 mit einem Plakat, auf dem, so Neumann, der beste Kommentar zu diesem kuriosen Vorgang stehe: „Segnet Menschen, keine Gitter!“ Spüren Sie wieder die beiden Sichtweisen von „Joch“ und „Last“ Jesu: Für die Vertreter des „Systems“ sind Joch und Last – um Felix Neumann zu zitieren – die Wildpinkler, Andenkensammler und andere Vandalen, denen in solchen Aktionen deren ganze Aufmerksamkeit gilt. Für die, mit denen ich einen Großteil meiner Woche verbracht habe, sind es genau umgekehrt die Vertreter des „Systems“, in denen ihnen das Joch und sie Last Jesu begegnen – ob als „sanftes Joch“ bzw. „leichte Last“, ob als nicht mehr (er-) tragbar, das sei dahingestellt.

Ich kann es gut verstehen, wenn diese Menschen sich im Sinne Hölderlins zurufen „Komm! Ins Offene! Freund!“ Ich kann meinen Kollegen gut verstehen der auf den Augenblick des Gehens wartet. Ich kann die 25-39jährigen gut verstehen, die zahlenmäßig die größte Gruppe derer stellt, die die Kirche verlassen. Ich bin froh für die, da sagen: „Segnet Menschen, keine Gitter!“ Und ich habe dennoch diebisch Freude an denen, die in der Gemeinschaft der Kirche (denn ja, auch die gibt es!) einander zurufen „Komm! Ins Offene! Freund!“ – und die dann wissen, wohin!

Amen.

Köln, 03.07.2020
Harald Klein

[1] vgl. [online] https://www.katholisch.de/artikel/26033-segnet-menschen-keine-gitter [03.07.2020]

[2] vgl. [online] https://www.koelner-dom.de/aktuelles/news?tx_ttnews%5Btt_news%5D=628&cHash=d846bbc7008ea912bf12a395a16ae0e0[03.07.2020|

[3] vgl. [online] https://www.katholisch.de/artikel/26033-segnet-menschen-keine-gitter [03.07.2020]

[4] vgl. [online] https://www.katholisch.de/artikel/26033-segnet-menschen-keine-gitter [03.07.2020]