17. Sonntag im Jahreskreis – Einfach anfangen

  • Auf Links gedreht - Das Evangelium
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Leben von dem, was auf den Tisch kommt

Ganz gleich, ob es die mehrtägige Tour durch die Berge oder eine Tagesetappe am Kölnpfad ist – das gemeinsame Pausieren und Öffnen des Rucksackes ist immer ein Highlight eines jeden Weges. Der eine hat seine Gemüsekiste geleert und bringt frische Kohlrabi oder Karotten ans Licht, der andere holt – ökologisch unverzeihlich – die Schnapsbecher aus Plastik und einen guten Klaren oder selbstgemachten Likör hervor; irgendjemand hat sicher einen Beutel Studentenfutter dabei und lässt ihn im Kreis herumgehen; Käse und Salami sind obligatorisch. Die Pause – und die Pausierenden – leben von dem, was auf den Tisch kommt. Und das gilt bei der Pause ebenso wie beim Laufen und an den Hüttenabenden bzw. beim Ausklang am Ende der Wanderung an einer Kaffeetafel: Was haben wir im Rucksack, was können wir teilen, und was kommt auf den Tisch?

Wenn Sie dieses Bild, diese Erfahrung im Hinterkopf behalten, lesen sich Lesung und Evangelium ganz anders.

» Jedenfalls gibt es kein einziges Übel auf der Welt,
das sich nicht auf Angst zurückführen ließe;
kein einziges. «
de Mello, Anthony (1992): Der springende Punkt. Wach werden und glücklich sein, 2. Aufl., Freiburg, 67.

Sich trauen, auszupacken

In der Prophetengeschichte aus dem zweiten Buch der Könige bringt ein namenloser Mann einen Beutel zu Elischa, zwanzig Gerstenbrote sind darin. Elischa nimmt den Beutel, gibt ihn seinem Diener und sagt: Gib den Leuten zu essen! Doch sein Diener, der den Beutel mit den Broten hat, zweifelt: Wie soll ich das hundert Männern vorsetzen? Sie ahnen, wie die Geschichte endet: Der Diener teilt den Männern aus, sie aßen und ließen sogar noch übrig.

Oder das Evangelium, die Geschichte von der Brotvermehrung, hier in der Fassung des Evangelisten Johannes. Sie kennen bestimmt die Geschichte vom kleinen Jungen mit den fünf Broten und den zwei Fischen am Ufer des Sees von Galiläa: Fünf Gerstenbrote und zwei Fische, was ist das für so viele – von fünftausend Männern ist die Rede. Jesus spricht den Segen, das Dankgebet über die Fische und das Brot, dann teilt er aus, soviel die Leute wollen. Und am Ende werden zwölf Körbe mit den Brocken der fünf Gerstenbrote gesammelt, die vom Essen übriggeblieben sind.

Zwanzig Gerstenbrote auf hundert Männer, oder fünf Brote und zwei Fische auf zweitausend Männer: Wenn es um den Hunger auf dem Weg geht, muss einer sich trauen, mit dem Auspacken anzufangen. Einer muss sich trauen auszuteilen, auszupacken, das, was er oder was sie im Gepäck, im Rucksack hat und mit sich herumschleppt, und ist es noch so wenig, ist es noch so einfach – oder so viel, so schwer. Das Geheimnis erfüllt sich, der Hunger wird gestillt im Auspacken und im Teilen. Es braucht erst einmal Mut.

» Ich kenne keinen anderen Weg zur Bewusstheit: Nur was man versteht, lässt sich ändern. Was man nicht versteht, und wessen man sich nicht bewusst wird, verdrängt man, Sie ändern sich nicht. Doch sobald Sie etwas verstehen, ändert es sich. «
de Mello, Anthony (1992): Der springende Punkt. Wach werden und glücklich sein, 2. Aufl., Freiburg, 63.

Einfach anfangen

Und dann braucht es Demut. Noch einmal: Zwanzig Gerstenbrote bei Elischa für hundert Männer, fünf Brote und zwei Fische für fünftausend Männer – was ist das für so viele? Was habe ich, was haben Sie schon zu teilen? Was können Sie auf den Tisch legen, so, dass andere davon satt werden, ihren Hunger stillen?

Das Schöne an den Texten dieses Sonntags ist: Ich darf, Sie dürfen einfach anfangen. Das muss nicht viel sein am gemeinsamen Weg, ich erinnere an die Gemüsekiste, an das Studentenfutter und an den vielleicht schon warm gewordenen Klaren. Das Teilen macht es aus! Die Szene an der Schönen Pforte in der Apostelgeschichte liebe ich. Petrus und Johannes begegnen einem von Geburt an Gelähmten, der sie um ein Almosen bittet. Und Petrus antwortet: „Silber und Gold besitze ich nicht. Doch was ich habe, gebe ich Dir. Im Namen Jesu Christi, des Nazoräers, geh umher!“ Und Petrus greift den Gelähmten an der rechten Hand, richtet ihn auf – und er kann gehen. Im gemeinsamen Unterwegssein gilt: einfach anfangen! Gold und Silber habe ich nicht – ich brauche es auch nicht. Aber was ich habe, das gebe ich Dir – das, was in meinem Rucksack ist, das, was mir lieb und wichtig ist, und am Ende mich selbst. So wird Hunger gestillt.

» Das, meine Damen und Herren, ist Glaube! Offensein für die Wahrheit, was auch immer sich daraus ergeben mag, wohin auch immer sie einen führen wird. Das ist Vertrauen. Nicht Überzeugung, sondern Glaube. «
de Mello, Anthony (1992): Der springende Punkt. Wach werden und glücklich sein, 2. Aufl., Freiburg, 67.

Einfach anfangen

Neben Mut und Demut baucht es das Gespür für den rechten Zeitpunkt. Hermann Hesses „und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft zu leben“ aus seinem Gedicht „Stufen“ hat einen hohen Bekanntheitsgrad; offen ist, wann der Anfang zu geschehen hat, wann ich anfangen soll, wann Sie anfangen sollen. Die Gefahr des Aufschiebens ist groß, viele Ungewissheiten führen zum Verzögern, und wenn die Motivation zum Anfang fehlt, spricht man in der Psychologie von Prokrastination, man könnte es mit „Aufschieberitis“ übersetzen.

Denen, die Therapieerfahrung haben, ist das immer wiederkehrende Abwägen bekannt: Soll ich, soll ich nicht? Jetzt? Oder besser später? Nicht, dass ich den Inhalt überzeugend finde, aber der Titel von Dale Carnegies Buch von 1948 (!) „Sorge Dich nicht, lebe!“ überzeugt mich. Beinahe eine Binsenweisheit: Um vorwärtszukommen, muss ich, müssen Sie einfach anfangen! Ohne loszugehen, verharren Sie an Ihrem Platz! Der Diener des Elischa fängt an, die zwanzig Brote zu verteilen, und Jesus verteilt (zumindest bei Johannes) die fünf Brote und die zwei Fische. Vielleicht liegt es an diesem „Zauber des Anfangs“ (Hermann Hesse), dass alle aßen, satt wurden und noch zwölf Körbe voll Brot am Ufer des Sees von Galiläa übriggeblieben sind.

» In dem Maß, in dem die Bewusstheit wächst, reagieren Sie weniger und agieren Sie. «
de Mello, Anthony (1992): Der springende Punkt. Wach werden und glücklich sein, 101.

Leben aus dem und mit dem, was auf den Tisch kommt

Zurück zum Anfang, zum Bild vom Wandern und dem Teilen dessen, was jeder und jede im Rucksack hat. Beim Wandern, bei der Pause wird auf den Tisch, vielleicht besser auf den Schoß, gelegt, was man miteinander teilen will. Sie fangen einfach an, und Sie fangen einfach an.

Um einen Weg im Leben gemeinsam gehen zu können, gilt das gleiche: Sie gehen ein Stück miteinander, irgendwann ist der Moment der Rast, der Pause gekommen, Sie packen aus, Sie fangen einfach an, aber fangen auch einfach an! Das ist die einzige Chance, dass Vertrauen erwachsen kann. Sie leben aus dem und mit dem, was auf den Tisch kommt.

Die Erfahrung lehrt, dass dieses einfach anfangen und dieses einfach anfangen Kreise zieht, Die hundert Männer bei Elischa lassen noch von den zwanzig Gerstenbroten über, und Jesu Jünger sammelten zwölf Körbe mit Broten ein, die übrig blieben. Ist da nicht „Fülle“ das richtige Wort, um zu beschreiben, was geschieht?

Amen.

Köln 24.07.2021
Harald Klein