17. Sonntag im Jahreskreis – Können Herzen hören?

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Der Fischer, seine Frau und der König Salomo

Wenn ich herausbekommen könnte, wer hier im Gottesdienst die zehn Jüngsten sind, würde ich sie fragen, ob sie ein kleines Gedicht weitersagen könnten. Ich würde nur anfangen mit „Manntje, Mantje, timpe te, / Buttje, Butjje inne See…“ – und ich würde darauf hoffen, dass einige der zehn Jüngsten, wenn nicht alle fortsetzen könnten: „myne fru, de Ilsebill, / will nich so, as ik wol will.“

Es geht um das Märchen vom Fischer und seiner Frau. Ein Fischer fängt einen Butt, der bittet um sein Leben, der Fischer wirft ihn zurück ins Meer, und er bekommt dafür drei Wünsche frei, die der Mann mit seiner Frau besprechen will. Sie kennen vielleicht das Desaster, das sich dann entwickelt, ich will nicht spoilern, aber es ist eine eher traurige Geschichte.

In der Lesung bekommt der König Salomo nicht drei, sondern nur einen Wunsch, eine Bitte frei, und anders als im Märchen deshalb, weil er selbst Gott ins Netz gegangen ist. So ganz anders als llsebill im Märchen wünscht sich der König keinen Palast, keine Stellung als Papst oder dann gar als Gott. Salomo wünscht sich stattdessen ein hörendes Herz, um sein Volk zu regieren und das Gute vom Bösen zu unterscheiden. Specken Sie diesen Wunsch mal ein wenig ab, nehmen Sie sich – nicht den König Salomo – als Adressaten dieser Forderung Gottes nach einem Wunsch, einer Bitte, etwa, um sich selbst gut zu regieren und Gut und Böse unterscheiden zu können. Mich hat diese Bitte des Salomo seit jeher sehr beeindruckt, sie beeindruckt mich immer noch. Ein hörendes Herz. Da kann ich gut drum bitten, immer und immer wieder. Wenn gleich nach der Predigt die Stille vor den Fürbitten ist, bitten Sie doch mal um ein hörendes Herz, und nehmen Sie wahr, was dann in Ihnen geschieht.

Wie und was kann ein Herz hören?

Wie kann ein Herz hören? Und was kann ein Herz hören? Diese zwei Fragen kommen mir, wenn ich über Salomos Bitte nachdenke. Die erste Frage: Wie kann ein Herz zu einem hörenden Herzen werden? Ich hole mir die Antwort beim Dichter, bei Rainer Maria Rilke. Er schreibt am 22.09.1899:

„Wenn es nur einmal so ganz stille wäre. / Wenn das Zufällige und Ungefähre / und das nachbarliche Lachen, / wenn das Geräusch, das meine Sinne machen, / mich nicht so sehr verhinderte am Wachen -: / Dann könnte ich in einem tausendfachen / Gedanken bis an deinen Rand dich denken / und dich besitzen (nur ein Lächeln lang), / um dich an alles Leben zu verschenken / wie einen Dank.“

Wie kann ein Herz hören? Rilkes Antwort: „Wenn es nur einmal so ganz stille wäre.“ Alles in mir und um mich herum so ausziehen lassen – vielleicht auf den Ausatem legen – bis es möglichst still wird in mir und ich nur noch mein Herz schlagen höre, bis ich selbst mein dann hörendes Herz höre, in einem Prozess des gegenseitigen Aufeinander-hörens. Je weniger ich mich selbst und die vielen ungeordneten Stimmen in mir höre und je mehr ich auf anderes, auf andere hinhöre, desto hörender wird mein Herz. Ein hörendes Herz kennt den Anspruch, wird angesprochen und spricht sich weniger selbst aus.

Die zweite Frage: Was kann ein Herz hören? Wissen Sie, dass Sie Ihr Herz im Hören schulen können? Und dass Sie, wenn Sie dabei nicht aufpassen, Ihrem Herzen freie Bahn geben, das zu hören, was Sie vielleicht eher niederdrückt als aufrichtet?

Sowohl die drei gewährten Wünsche des Fisches im Märchen als auch der eine Wunsch, den Gott dem Salomo gewährt, haben ja genau ein Ziel im Blick: die Bewährung des Menschen in einem geglückten Leben. Irgendwie geht es um den Schatz oder die Perle im Acker, von denen das Evangelium spricht. eben.

Der Buddhismus[1] lehrt uns fünf Hindernisse, die den Menschen davon abhalten, glücklich zu leben: Zweifel, Unruhe, Trägheit, unstillbares Verlangen und Widerwille. Das alles kann ein Herz hören, wenn es geschult wird. Das steckt für mich in meiner Bitte um ein hörendes Herz! Ich möchte mich selbst gut regieren können, indem ich die Stimmen des Zweifels, der Unruhe, der Trägheit, des unstillbaren Verlangens und des Widerwillens erkennen lerne, um in Distanz von ihnen zu gehen. Ich möchte sie unterscheiden von dem, was mehr zum Leben, mehr zum Glück, mehr zu einer guten Regierung mir selbst gegenüber führt.

In der ignatianischen Spiritualität gibt es einige Hilfsmittel, diese Herzensschulung anzugehen. Die Tagesauswertung am Abend, die nicht nur nach Dank und Bitte, sondern auch nach den Geistern fragt, die mich getrieben oder gelockt haben – und die ich für mich benennen kann. Die Stillen Zeiten am Tag, ein Stiller Tag im Monat, Exerzitien, in denen ich rückblickend schaue, wo ich stehe, und ausblickend zu erspüren versuche, wohin Gottes Geist mich lockt. Und die Geistliche Begleitung, die mich in der Herzensschulung und im Hören unterstützt.

Vom Wert des Bittens

Ein hörendes Herz ist ein Anfang. In ihrer Rede „Der liebevolle Erzähler“ schreibt die Trägerin des Literatur-Nobelpreises 2019, Olga Tokarczuk: „Wenn man jemanden vermisst, bedeutet dass, dieser Jemand ist schon da.“[2] Sie erinnern sich an die fünf Hindernisse, die den Menschen davon abhalten, glücklich zu leben: Zweifel, Unruhe, Trägheit, unstillbares Verlangen und Widerwille? Die Bitte um erlebte Gewissheit als Gegenstück zum Zweifel, um Stille und Ruhe als Gegenstück zur Unruhe, um einen Anfangsgeist als Gegenstück zur Trägheit, um Annahme dessen, was ist und derer, die sind als Gegenstück zum unstillbaren Verlangen, und um Loslassen und Stehenlassen als Gegenstück zum Widerwillen – das ist bereits der Beginn dessen, dass diese Gegenstücke schon da sind. „Weil Du gerade diese Bitte ausgesprochen hast, […] werde ich Deine Bitte erfüllen“, sagt Gott im Traum dem Salomo. Es wäre doch schade, wenn wir nicht mal im Traum daran dächten, dass diese Bitte um ein hörendes Herz, dass diese Bitten um Gewissheit, um Stille und Ruhe, um Anfangsgeist, um Annahme dessen, was ist, und derer, die da sind, um Loslassen und Stehenlassen – dass diese Bitten von Gott erhört werden. Unser Teil dabei ist, sich nach dieser Haltung sehnen, sie erwünschen und erhoffen, und uns ihnen öffnen – dass ist die Haltung des Mannes, der in seiner Freude all das Seine verkauft und den Acker kauft, in dem er den Schatz weiß.

Die Frage ist: Trauen wir dem Acker der Welt zu, dass er einen Schatz, eine Perle in sich trägt? Trauen wir uns selbst zu, dass wir eine Perle in uns tragen und selbst ein Schatz sind? Trauen wir der Schulung unserer Herzen zu, dass diese Perle in uns zum Leuchten kommt und wir gerade dadurch die Perle im Acker der Welt entdecken und zum Schatz füreinander werden können? Trauen wir uns das zu – und trauen wir es Gott zu?

Amen.

 

Köln, 25.07.2020
Harald Klein

[1] Vgl. Mannschatz, Marie (22010): Buddhas Anleitung zum Glücklichsein. Fünf Weisheiten, die Ihren Alltag verändern, München.

[2] Tokarczuk, Olga (2020): Der liebevolle Erzähler. Vorlesung zur Verleihung des Nobelpreises für Literatur. Mit einem Essay ‚Wie Übersetzer die Welt retten‘, Zürich, 13.