18. Sonntag im Jahreskreis – Verkosten und Deuten: Der Vorgeschmack des Ewigen

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Nach dem „Einfach anfangen“ …

Für die Prediger und für die, die der Predigt lauschen, sind diese Sonntage im Sommer immer eine harte Kost. Da das kurze Markusevangelium im Lesejahr B nicht genügend Texte für alle Sonntage anbietet, werden für fünf Wochen im Sommer immer Ausweichtexte aus dem Johannesevangelium gelesen. Die insgesamt 71 Verse sind dem 6. Kapitel des Johannesevangeliums entnommen, und sie werden zusammengefasst unter dem Stichwort „Brotrede“. Es passiert wenig in dieser Rede, vielmehr geht es seitenlang um die Frage, wie Gott Menschen nährt, welche Rolle die Symbolik des „Brot des Lebens“ auf Jesus hin meint, es geht um theologische Spekulationen, denen zuzuhören und nachzugehen ungefähr den gleichen Freudenfaktor hat wie über sie zu predigen.

Am letzten Sonntag ist es mir im Zusammenhang mit der Geschichte von der Brotvermehrung um die beiden Aspekte des einfach anfangen – fünf Brote und zwei Fische, was ist das für so viele? – und des einfach anfangen – Jesus nimmt Brot und Fisch, danket betend und beginnt auszuteilen – gegangen. Den Anfang machen, mit dem – oft so scheinbar wenigen -, was auf den Tisch kommt. Den Anfang machen, um zu erleben, wie sich dieser Anfang entwickelt.

Das Evangelium vom heutigen Sonntag hat etwas vom Vertrauen oder mehr noch vom Misstrauen. Kann das gut gehen, einfach anzufangen und einfach anzufangen? Wo kommen wir denn da hin…?

» Wo kämen wir hin,
wenn alle sagten, wo kämen wir hin,
und keiner ginge, um zu sehen,
wohin wir kämen,
wenn wir gingen. «
Kurt Marti (1921-2017)

… jetzt das „Verkosten und Deuten“

Ja, wo kommen wir hin? Eine kleine Urlaubsgeschichte: Zu dritt sind wir in Maulbronn miteinander, im Kloster, in dem Hermann Hesse als jugendlicher Schüler litt und das so oft Pate gestanden hat für seine Erzählungen und Romane. Wir lesen miteinander, diesmal Rilkes Briefe an einen jungen Dichter. In einem der Briefe rät Rilke, die Frage, auf die sein Gegenüber keine Antwort habe zu leben, um auf diese Weise vielleicht ganz unbemerkt in die Antwort hineinzuleben. Unser Impuls fürs Gespräch: Welche Frage(n) bewegen uns im Augenblick? In großer Vertrautheit können wir uns einander anvertrauen. Das tut gut, daraus und darin kann man gut leben. Und plötzlich ist die Frage nach den Fragen hinter der Frage da. Wir erleben uns sehr vertraut miteinander. Und doch wird es Frage geben, die wir uns einander nicht zu sagen trauen – aus welchen Gründen auch immer. Kurze Stille. Dann Zustimmung – und dann sind die Frage da, liegen offen auf dem Tisch, ohne Anspruch beantwortet zu werden. Einfach anfangen, einfach anfangen – und schauen, verkosten, deuten, was daraus entsteht.

» Es ist typisch für den Unglauben, immer neue Zeichen zu fordern. Das gilt auch für die menschlichen Beziehungen. Wenn man die Zeichen der Liebe nicht im Vertrauen überholt, führen sie nicht zu einem Wachstum in der Liebe. Die Bedeutung der Liebesbeweise nimmt dann immer mehr ab. Das wiederum hat eine Art Inflation der Liebesbeweise zur Folge; man verlangt ständig nach mehr. «
Bots, Jan (1997): Mir geschehe nach deinem Wort. Meditationen zu den Sonntagsevangelien der Lesejahre A, B und C., Kevelaer, 511.

Brot vom Himmel – ein Vorgeschmack des Ewigen

Der 2020 verstorbene Heidelberger Neutestamentler Klaus Berger hat eine Predigt zu diesem Evangelium überschrieben mit „Brot vom Himmel – ein Vorgeschmack des Ewigen“[1]. In der ignatianischen Spiritualität ist der Geschmack wie alle anderen Sinne hochgeschätzt. In diesen vertrauten Stunden in Maulbronn, im Teilen der Ferienwohnung, der Stunden, der Inhalte, der Gedanken und Fragen, im Teilen auch des Schweren, das jeder von uns auszuhalten und zu gestalten hat, erfahren wir – wenn wir es verkosten und dann so deuten wollen – einen Vorgeschmack des Ewigen.

Was mich anrührt dabei, ist, dass es hier um eine „Spiritualität von unten“ geht. Ich setzte an beim einfachen Anfangen und beim einfachen Anfangen. Ich erlebe die „Brotvermehrung“, die ja eigentlich eine Geschichte der „Brotteilung“ ist, darin, dass jeder von uns dem anderen seinen Hunger mitteilt, und dass allein im Zuhören, in der Zugewandheit zueinander Sättigung geschieht. Maulbronn wird für eine kurze Zeit zu einem Vorgeschmack des Ewigen, zu einem kleinen Stück Himmel auf Erden.

»Yesterday is history.
Tomorrow is a mystery.
And today? Today is a gift.
That's why we call it
the present. «
Eleanor Roosevelt (1884-1962) zugeschrieben

Irdisches Brot – der Geschmack der Gegenwart

Ich habe kein Interesse mehr daran zu streiten, wie Jesus Christus selbst gegenwärtig ist im „Brot des Himmels“, was Sakramente auf welche Weise bewirken und wer aus welchen Gründen Sakramente spenden darf bzw. nicht darf. Mir genügt die Erfahrung dieses greifbaren und spürbaren Gottes in der Gegenwart des einfachen Anfangens und des einfachen Anfangens. Und die Erfahrung dieses greifbaren und spürbaren Gottes in dem, was geschieht, wenn Menschen sich – ich traue mich zu sagen: geführt vom Heiligen Geist – auf dieses Anfangen einlassen und es weiterspinnen. Da stellt sich nicht die Frage nach Kirche, nach Gemeinschaft im Glauben in der Vergangenheit, auch nicht nach Kirche der Zukunft, da ist Christus greifbar gegenwärtig und erlebbar, erfahrbar im Miteinander.

Vielleicht wird so nachvollziehbar, was Jesus mit den Schlussworten des heutigen Evangeliums meint: „Ich bin das Brot des Lebens; wer zu mir kommt, wird nie mehr hungern, und wer an mich glaubt, wird nie mehr Durst haben“ (Joh 6,35).

Amen.

Köln 27.07.2021
Harald Klein

[1] Berger, Klaus (2008): Evangelium unseres Herrn Jesus Christus. Meditationen zu den Sonntagsevangelien. Lesejahr B, Freiburg, 203-206.