19. Sonntag im Jahreskreis: In der Schule Gottes

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Die murrenden Juden

„Ich kapiere es nicht“, „Was soll das?“ oder auch „Wir verstehen das/dies nicht“ – mit diesen Worten oder Haltungen könntest Du verstehen, wie der Evangelist Johannes in der Fortsetzung des Evangeliums vom letzten Sonntag die Juden um Jesus beschreibt: „In jener Zeit murren die Juden gegen Jesus, weil er gesagt hatte: Ich bin das Brot des Lebens, das vom Himmel herabgekommen ist. Und sie sagten: Ist das nicht Jesus, der Sohn Josefs, dessen Vater und Mutter wir kennen? Wie kann er jetzt sagen: Ich bin vom Himmel herabgekommen?“ (Joh 6,41f)

Ins Heute gewendet, käme es etwa der Verwunderung und dem Staunen gleich, zu sagen: „Du bist mir nur Freund, Freundin, ok, aber doch nicht gleich vom Himmel gesendet!“ Oder: Dieser Autor liest sich gut, er trifft mich im Innersten, aber deswegen hat er doch nichts mit Gott zu tun!“ Oder: „Dass ich diese Weiterbildung begonnen habe, war echt eine gute Entscheidung, aber doch nicht eine Fügung Gottes.“, Oder, oder, oder… Oder vielleicht doch?

Zwei Fragen erwachsen für mich daraus, die ich gerne mit Dir teilen möchte: (1) Traue ich mich, traust Du Dich, solche Sätze von Erfahrungen zu sagen und dem „aber“ trotz allem zu trauen? Und (2): Was verbindest Du dann damit, und was verbinden die um Dich herum damit? Und mit Dir?

» Geschrieben steht bei den Propheten:
und es werden alle Gottesbelehrte sein. «
Joh 6, 45, übersetzt von Eugen Drewermann, in: ders. (2003): Das Johannes-Evangelium. Bilder einer neuen Welt. Teil 1, Düsseldorf, 281.

Jesu Hinweis auf die Schule Gottes

Die beiden Fragen oben setzen voraus, dass Du solches Fragen und solches Deuten irgendwann gelernt hast. Du musst dafür durch eine Art von Schule gegangen sein.

In den Büchern der Propheten ist die Rede von den Gottesbelehrten[1], und so wundert es nicht, wenn Jesus dem Murren der Juden entgegnet: „Niemand kann zu mir kommen, wenn nicht der Vater, der mich gesandt hat, ihn zieht; und ich werde ihn auferwecken am Jüngsten Tag. Bei den Propheten steht geschrieben: Und alle werden Schüler Gottes sein. Jeder, der auf den Vater hört und seine Lehre annimmt, wird zu mir kommen.“ (Joh 6,44f).

Für die Schüler und Schülerinnen, für die „Gottesbelehrten“ (Eugen Drewermann)  in der Schule Gottes gilt, so Jesus, was für Dich und mich in unserer Schulzeit galt und heute noch gilt: Es gibt einen „Zug“ für alle dorthin, der manchmal auch ein „Druck“ ist und dem gegenüber sich jeder und jede in Grenzen frei verhalten kann. Es gibt einen „Lehrplan Gottes“, und es kann gelingen, diese Lehre anzunehmen, zu übernehmen und zu einem erfüllenden Ziel zu kommen.

Das soll in aller Kürze überprüft werden!

» Porta patet, magis cor.« -
» Die Tür steht offen, mehr noch das Herz. «
Augustinus von Hippo (5. Jhdt.) zugesprochen, Wahlspruch des Ordens der Zisterzienser

Das dreigliedrige Schulsystem Gottes

Was in Deutschland – stark vereinfacht – Hauptschule, Realschule und Gymnasium ist, meine ich auf dieses Wort von Jesus, dass alle Schülerinnen und Schüler Gottes sein werden, übertragen zu können.[2]

Da ist – analog zum Gymnasium – die „Religions“-Schule, vermutlich der Ort der schlauen Köpfe, der Denkenden und der das Ganzen Durchdenkenden. Hier Schüler und Schülerin Gottes zu sein heißt, Gott selbst denken, beschreiben, verstehen zu wollen. Hier wird die Lehre vorangebracht. In den Konferenzen des Lehrpersonals entstehen Katechismen, und die Schulleitung tut gut daran, gut zu unterscheiden und sich vom Personal und von Schülerinnen und Schülern zu trennen, die diesen Lehren und Katechismen nicht entsprechen oder sie ignorieren oder sogar verachten.

Da ist – analog zur Realschule – die „Frömmigkeits“-Schule, vermutlich der Ort für die Kaufleute und der den Handel Betreibenden. Hier Schüler und Schülerin Gottes zu sein heißt, Formen des Handelns mit dem, was uns heilig ist, zu entwickeln, Abläufe und Wege des Einübens dieser Abläufe zu lernen. Hier entstehen die Lehrenden und die Lernenden verbindende Lieder und Liturgien. In den Konferenzen des Lehrpersonals wird das Recht entwickelt, in dem sich die Schule Gottes und deren Schülerinnen und Schüler bewegen, und die Schulleitung trägt Sorge dafür, dass eine große Schulgemeinschaft oder Schulgemeinde entsteht, die – zumindest mehr oder weniger – gleichgeschaltet ist.

Und da ist – analog zur Hauptschule – die „Spiritualitäts“-Schule, vermutlich der Ort derer, die diese Welt (und nicht die Schule) mit allem, was in ihr zu finden ist und sich zeigt, gestalten wollen. Hier Schüler und Schülerin sein heißt, das Gegenwärtige über das Vergangene oder das Zukünftige zu stellen und sich dem Ruf Jesu im gegenwärtigen Moment, in der gegenwärtigen Begegnung zu stellen. Hier entwickeln sich bzw. hier erwachsen Haltungen für die Schülerinnen und Schüler, die alltagstauglich sind, die dialogisch sind im Sinne von auskunftsfähig auf die eigene Motivation des Handelns, aber auch auskunftsfähig darüber, wie auf gegenwärtige Fragen und Geschehnisse im Kleinen wie im Großen geantwortet werden kann so, dass die Menschlichkeit, dass das Humanum sich entfaltet und mehr gelebt denn gelehrtwird. In der Schule Gottes, die wir hier betrachten, ist Jesus, sein Wort, seine Weise des Lebens und des Sterbens der Maßstab. Daneben gibt es aber auch noch viele andere Schulen.

» Hör jetzt gut zu, denn das ist ein Gesetz: Was viel Kraft für das Gute besitzt, hat bei falscher Anwendung ebenso viel Kraft für das Böse. Fingerhut kann ein schwaches Herz anregen, aber wenn man zuviel nimmt, dann wird das Herz wie ein scheu gewordenes Pferd durchgehen und galoppieren. Bis es vor Schwäche zusammenbricht. Wer heilen will, muss ein gutes Urteilsvermögen haben. «
Zimmer Bradley, Marion (1997): Die Wälder von Albion, Frankfurt/Main, 213.

Noch einmal: Das Murren der Juden

Das Bild der Schule Gottes im Hinterkopf, seiner Dreigliedrigkeit – natürlich gibt es mehr Glieder dieser Schule – kann das Murren der Juden damals verständlich machen: Wie kann einer mit einem „Hauptschulabschluss“ – dazu zähle ich Jesus – den Gelehrten aus dem Gymnasium, gar der Universität das Wasser reichen? Was macht es mit den sog. Gelehrten, wenn das Volk sich um die Lehre nicht schert, sondern aus einem Geist, den sie verstanden haben und der sie ergriffen hat, ihre Zugehörigkeit zu Gott leben, ausdrücklich oder auch unausdrücklich? Was geschieht, wenn Riten und Gesetze innerhalb der „Schule“ noch Geltung haben, aber außerhalb ihrer in der „Welt“ und im „Alltäglichen“ nicht mehr verstanden, geschweige denn mitgetragen werden?

Das Tröstende: es gibt bei Gott weder G8 noch G9, keine verpflichtenden Praktika, keine Leistungsnachweise und kein Sitzenbleiben – auch wenn sein Lehrpersonal dies vielleicht gerne hätte. Bei Hausaufgaben bin ich mir allerdings nicht so sicher! Du kannst morgens aufstehen und zu ihm in einer sei drei Schulformen gehen. Zulassungsfrei, ohne jede Empfehlung der Grundschule! Der Grund Deiner Wahl ist Deine Sehnsucht, ist das, was Du lernen möchtest. Du kannst in die Religions-, die Frömmigkeits– und die Spiritualitäts-Schule besuchen. Egal, welche Du besuchst, es gilt, um die beiden anderen zu wissen und ihnen die Achtung gegenüberzubringen, die Dir möglich ist.

In allen drei Schult gilt der Satz des Augustinus, den er an einen Freund in Not schrieb: Porta patet – magis cor (übersetzt: Die Tür steht offen – mehr noch das Herz“). Und das ist genau die Besonderheit der Schule Gottes, in über ihre Dreigliedrigkeit hinaus.

Was momentan zu beobachte ist: Die drei Glieder des Schulsystems Gottes waren einmal miteinander verbunden, und diese Verbundenheit scheint vergessen, scheint in einen Kampf um Überlegenheit hineingewachsen zu sein. Und hier kommt das Volk ins Spiel, denn diese Verbundenheit zu vergessen, beinahe zu negieren, das ist ein Grund zum Murren!

Amen.

Köln, 09.08.2024
Harald Klein

[1] In seinem Johannes-Kommentar nutzt Eugen Drewermann den Begriff der Gottesbelehrten, z.B. mit Verweis auf Jes 54,13: Alle Deine Söhne werden Jünger des Herrn sein, und groß ist der Friede Deiner Söhne; Jer 31,34: Keiner wird mehr den anderen belehren, man wird nicht zueinander sagen: Erkennt den Herrn!, sondern sie alle, Groß und Klein, werden mich erkennen – Spruch des Herrn; vgl. Drewermann, Eugen (2003): Das Johannes-Evangelium. Bilder einer neuen Welt. Erster Teil, Düsseldorf, 281.

[2] Der Dreigliedrigkeit von „Religions-„, „Frömmigkeits-„ und „Spiritualitätsschule“ liegt der Spiritualitätsbegriff von P. Christian Schütz OSB zugrunde, der hier näher erläutert wird: https://www.harald-klein.koeln/womit-kann-ich-dienen-ueber-lebensfragen-in-sachen-glaube-in-deutschland/