2. Sonntag der Osterzeit: Da freuten sich die Jünger… – warum eigentlich?

  • Predigten
  • –   
  • –   

Die feinen Unterschiede

Ein biblisches Rätsel vornweg: Er gehört unweigerlich zum Oktavtag von Ostern, zum Sonntag der Barmherzigkeit – und das, obwohl er am ersten Oktavtag von Ostern gar nicht dabei war. Sie ahnen es, es geht um den Apostel Thomas, den Zwilling, den Zweifler, wie er manchmal zu Unrecht genannt wird; sein Zweifel war kein Zweifel am Herrn, sondern eher an der gefühlten Unmöglichkeit der Auferstehung, und da ist er mir – und nicht nur mir allein – sicher ein guter Weggefährte.

Über den Thomas möchte ich heute nur am Rande sprechen. Sprechen möchte ich über das, was er verpasst hat: Die erste Begegnung mit dem Auferstandenen. Und was er nicht miterlebte: Die Freude der Jünger, als sie den Herrn sahen.

Da freuten sich die Jünger…

Mittlerweile wird es beinahe zu einem Hobby von mir, aufmerksam zu werden, was in der neuen Einheitsübersetzung verändert wurde im Vergleich zu der Bibelübersetzung, mit der ich groß geworden bin. Da stolpert man manchmal über ein Wort, von dem man genau weiß, dass es anders heißt (oder besser: hieß) und jetzt verändert dasteht. Und man darf davon ausgehen, dass die Übersetzer sich etwas dabei gedacht haben. Das sind sprachlich oft ganz feine Unterschiede, die aber viel auslösen und mit sich bringen.

Im Evangelium heute wird geschildert, dass der Auferstandene der verschlossenen Tür trotzt, in die Mitte der Jünger tritt, ihnen den Frieden wünscht und ihnen seine Hände und seine Seite zeigt. Die neue Einheitsübersetzung drückt die Reaktion der Jünger aus mit „Da freuten sich die Jünger, als sie den Herrn sahen.“ Die alte Einheitsübersetzung schreibt: „Da freuten sich die Jünger, dass sie den Herrn sahen.“ Bei Martin Luther heißt es ebenfalls: „Da wurden die Jünger froh, dass sie den Herrn sahen“ – und das ist auch die wörtliche Übersetzung des griechischen Originales.

Sich über die Auferstehung freuen (können)?

„Da freuten sich die Jünger… – unser Osterlieder sind voll von Aufforderungen, sich zu freuen. „Christ ist erstanden“ – und darin: „Des woll’n wir alle froh sein“ (GL 318), oder: „Ihr Christen, singet hocherfreut“ (GL 322); oder „Wir wollen alle fröhlich sein“ (GL 326); oder „Das ist der Tag, den Gott gemacht“ (GL 329) – gipfelnd vielleicht in „Die ganze Welt, Herr Jesus Christ, Halleluja, Halleluja, in Deiner Urständ fröhlich ist, Halleluja, Halleluja. (GL 332). In den Liedern und oft auch in der Verkündigung und den liturgischen Gebeten wird die Freude über die Auferstehung schlichtweg vorausgesetzt, erwartet, beinahe gefordert.

Mal ehrlich: Können Sie das – sich über die Auferstehung freuen? Mir fällt das nicht leicht, und ich möchte Ihnen erklären, warum.

Sich über etwas oder über jemanden freuen

Am Ostersonntag habe mich riesig gefreut, habe mich gefreut auf den Besuch, der sich angekündigt hatte, habe mich gefreut an der kleinen Osterfeier, ich habe mich gefreut über die guten Gespräche, den Austausch, die Vorbereitungen zum Ostermontagsgottesdienst, ich habe mich gefreut mit meinen beiden Gästen an unserem so schönen Zusammensein, ich habe mich gefreut, als der Gottesdient an Ostermontag hier so gut verlief.

Sie hören es schon, freuen kann ich mich auf, an, über, mit oder als/dass/wenn etwas geschieht. Die Freude verwandelt mich, ganz egal, ob es die Freude auf etwas, an jemandem usw. ist. Mich freuen – das kann ich gut! Aber anders als bei der Auferstehung habe ich dann auch etwas oder jemanden gegenüber, der oder das der Grund meiner Freude ist, und der oder das hat irgendwas mit mir zu tun. Und diesen Bogen kann ich zur Freude an der Auferstehung Jesu Christi kaum schlagen. Über die Auferstehung kann ich mich kaum freuen. Aber über den Auferstandenen – vor allem daran, wie und wo ich ihn erahne, da kann ich mich freuen. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht – vielleicht ähnlich. Und ich musste es mir erst einmal eingestehen; jede Osterfreude wäre eher gespielt, nicht echt; echt ist die Freude an dem, was ich mit einer Begegnung mit dem Auferstandenen verbinde.

Verhaltene Freude

Sie kennen die Osterevangelien bei Johannes. Da ist der Wettlauf von Petrus und dem Jünger zu leeren Grab, da ist die Episode mit Maria von Magdala und dem „Gärtner“, da ist das heutige Evangelium mit der Episode um Thomas, und da ist die angehängte Erzählung von der Erscheinung des Auferstandenen am See von Tiberias. Wissen Sie, wie oft das Wort Freude in den beiden Kapiteln mit den Ostererzählungen vorkommt? Genau einmal – an der Stelle, die wir heute hörten: „Da freuten sich die Jünger, als sie den Herrn sahen“ – oder: dass sie den Herrn sahen. Johannes schildert, was Petrus, was der Jünger, den Jesus liebte, was Maria Magdalena, was die versammelten Jünger, was Thomas sah bzw. sahen. Aber er bleibt sehr verhalten mit der Freude an der Auferstehung bzw. am Auferstandenen.

Das Gesehene, das Erlebte deuten

Das tut mir ehrlich gesagt gut. Und mit tut der Thomas gut: „Wenn ich nicht sehe…“ Da kann ich gut mitgehen. Und in diesen Osterevangelien wird mir die Unterscheidung zwischen „sehen“ und „erkennen“ oder „deuten“ deutlich. Das Unfassbare, besser: der Unfassbare wird für Thomas fassbar. Das Unbegreifliche, besser: der Unbegreifliche lässt sich „begreifen“.

Wie war das mit meinem Besuch am Ostersonntag, mit dem kleinen Ostergottesdienst, mit den Gesprächen zu Dritt, mit dem Üben für den Ostermontag, und mit der gemeinsamen Feier – das gute Mittagessen nicht zu vergessen? Wie kamen wir drei in unserer Freundschaft eigentlich zusammen? Und wie bin ich bei den Vinzentinerinnen gelandet? Warum macht mir Musik, warum machen mir solche Gespräche so eine Freude, schenken Erfüllung? Zeigt mir da der Auferstandene nicht auch seine Seite, und zwar seine beste Seite? Sehe ich auch seine wunden Seiten in den wunden Seiten derer, mit denen ich unterwegs bin, so wie sie meine wunden Seiten aushalten? Kann es sein, dass das, was ich erfüllend erlebe, Auswirkungen und Folgen der Auferstehung sind? Noch mehr: Kann es sein, dass sich gerade darin die Auferstehung ereignet, die Auferstehung sich fortsetzt?

Ja, das glaube ich. Und wenn ich mich auch nur schwer an der Auferstehung freuen kann, so kann ich mich doch zutiefst freuen an dem, was sie in meinem Leben bewirkt. Es ist eine Frage von Deutung, von Erkennen von Sehen-wollen; wie gesagt, da bin ich dem Thomas nahe. Sowohl in dem „Wenn ich nicht das Mal der Nägel an seinen Händen sehe, und wenn ich meinen Finger nicht in das Mal der Nägel und meine Hand in seine Seite lege, glaube ich nicht.“ Aber auch in dem „Mein Herr und mein Gott.“

Den Auferstandenen sehen – die Auferstehung glauben? Kein Beweis. Aber Ansichtssache. Und begreifbar.

Amen.

Köln, 18.04.2020
Harald Klein