20. Sonntag im Jahreskreis – Der Leib Christi sein

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Feuer auf die Erde werfen und die Spaltung bringen…?

Im Anschluss an das Gleichnis vom treuen und vom schlechten Knecht und von der Sorge über die große Ernte des reichen Mannes an den beiden vergangenen Sonntagen kommen heute auf den ersten Blick wirklich harte Worte aus Jesu Mund:

„Ich bin gekommen, um Feuer auf die Erde zu werfen. Wie froh wäre ich, es würde schon brennen. […]. Meint ihr, ich sei gekommen, um Frieden auf der Erde zu bringen? Nein sage ich euch, sondern Spaltung.“

Diese Spaltung schlüsselt Jesus auf: Im gleichen Haus leben fünf Menschen in Zwietracht, drei gegen zwei; der Vater wird gegen den Sohn stehen und umgekehrt; die Mutter gegen die Tochter und umgekehrt; die Schwiegermutter gegen die Schwiegertochter und umgekehrt. Man muss schon einen wirklich gutwilligen Anlauf nehmen, um die Worte Jesu vom Feuer und von der Spaltung angesichts der Kriegsbilder aus der Ukraine und aus dem Gaza-Streifen wohlwollend und heilend verstehen zu wollen.

» Eben darum ist Jesus der Messias, dass seine Person und seine Botschaft jetzt und für immer als Richtmaß für die Lebensführung eines jeden gelten. Gleich zweierlei geht mit dieser veränderten ‚Geschichtstheologie‘ Hand in Hand: Es ist, zum einen, nicht mehr möglich, als Individuum sich im Allgemeinen zu verstecken, so als wäre das religiös Entscheidende nach wie vor noch das ‚Volk‘ (oder die ‚Gemeinde‘); worum es fortan geht, ist jeder Einzelne mit seinem Leben; auf ihn kommt es an, er, wesentlich er, ist ab sofort gemeint in der Vision von der ‚Wiederkunft‘ Christi. Und zum anderen: der Maßstab, der da an sein Leben angelegt wird, besteht in der Person und in der Botschaft Jesu selbst. Wieviel davon hat im eigenen Tun und Verhalten Gestalt angenommen? Einzig das ist die Frage. «
Drewermann, Eugen (2009): Das Lukasevangelium Bd.2: Bilder erinnerter Zukunft, Düsseldorf, 65.

Jesus und/oder die Kirche?!

Lassen Sie mich gleich mit einem kleinen Gedankenexperiment beginnen, das seine Wurzeln im heutigen Evangelium hat. Um das Ergebnis vornweg zu sagen: Das reinigende Feuer, das Jesus werfen möchte, die Spaltung, die er auf der Erde bringt, hängt einzig und allein an damit zusammen, wie Menschen sich zu Jesu Botschaft vom angebrochenen Reich Gottes und wie sie sich hinsichtlich seiner Person verhalten. Um nichts anderes geht es in dieser so bedrohlich klingenden Rede. Man könnte es auf die einfache Frage Jesu an seine Jünger, an die Menschen in Israel, an die zur Kirche gehörenden Christen, an Sie und an mich bringen: „Wer bin ich für Dich? Und wo oder wie lebe ich in Dir?“ Oder anders: Sie machen sich klar, dass letztendlich Sie der Leib Christi mitten in der Welt sind.

Jetzt das Gedankenexperiment: Nehmen Sie statt des Vaters und seines Sohnes doch mal Jesus und die Kirche; nehmen Sie statt der Mutter und der Tochter die Suche nach einem gelingenden  Leben in der Welt der Mutter und in der Welt der Tochter; nehmen Sie statt der Schwiegermutter und der Schwiegertochter ein althergebrachtes, erwartetes und ein auszuprobierendes neues Verhalten, etwa wie Familie oder Gefährtenschaft geht. Sie werden schnell merken: Feuer hat da niemand hineingeworfen, aber es brennt! Spaltung hat niemand bewusst gewollt, aber sie ergibt sich!

In einer christlichen Spiritualität – einem Geist, in dem ich mein Leben führe und der Maß nimmt an Jesus Christus – geht es im Gegenüber von Jesus und Kirche, im Suchen nach dem Leben in der Welt, im Ausprobieren von neuen Weisen, wie Familie und Gefährtenschaft gelingen, immer um das Maßnehmen an der Person, am Leben und Geschick, an der Botschaft Jesu. Die Frage nach der Christusgeburt in mir ist bei Meister Eckhart im 14. Jahrhundert genauso wichtig wie bei Angelus Silesius im 19. Jahrhundert: „Wird Christus tausendmal / in Bethlehem geboren / und nicht in dir / so bist du doch verloren.“ Das geht leicht über die Lippen, aber schwer in den Kopf, und noch schwerer ins Herz.

„Jesus: Ja – Kirche: Nein“: Man kann es vielleicht am ehesten in der Spaltung zwischen „Jesus“ und „Kirche“ erläutern. Auf einer kognitiven, einer Verstandesebene kann die Spaltung natürlich beschrieben werden als Reaktion auf Skandale und Enthüllungen aller Art oder auf Unverständnis und Zorn denen gegenüber, die lautstark ihre Führungsrolle in der Kirche verkünden. Es gibt aber mit Sicherheit eine noch tiefer liegende Spaltung, die im Verlust von Plausibilitäten gründet, oder darin, auf anderen Ebenen als plausibel geltendes Verhalten aus der Kirche auszuklammern. Es gibt für viele Menschen keinen plausiblen, nachvollziehbaren und allgemein getragenen Grund mehr, in der Kirche zu sein oder zu bleiben. Sollte solch eine Spaltung wirklich von Kirchenleuten „gebracht“ werden, müsste von Borniertheit und Dummheit ausgegangen werden; hier geht es aber um das Festhalten der „Kirche“ an ihren Positionen, die seitens derer, die sie verlassen, die Botschaft „Jesu“ von der Kirche mit Füßen getreten fühlen.

» Man muss – nach Jesu Beispiel – unter allen Umständen versuchen, ‚christlich‘ zu leben, denn in dem Maße das geschieht, ist das Reich Gottes ‚gekommen‘. «
Drewermann, Eugen (2009): Das Lukasevangelium Bd.2: Bilder erinnerter Zukunft, Düsseldorf, 76.

Das Messinstrument der Resonanz

In der Rede Jesu müssen die Zwei im Haus entscheiden, ob sie bei den anderen Drei bleiben wollen, muss der Sohn entscheiden, wie er zum Vater steht, und die Schwiegertochter, wie sie es mit der Schwiegermutter hält. Ein Teil der Entscheidung geschieht kognitiv – die Vernunft, das Abwägen entscheidet hier. Der andre Teil geschieht über das Empfinden und die Reflexion darauf – es geht um die Frage, welche Entscheidung sich am ehesten mit der Person, mit dem Leben, dem Geschick und der Botschaft Jesu decken. Wenn es um Bleiben oder Gehen, um Beibehalten oder Loslassen geht, ist das Maß der Resonanz, die – kognitiv – sowohl zwischen den Alternativen als auch – emotional – zwischen Jesus und mir spürbar wird, ein beinahe unmöglich fehlgehendes Maß, was Entscheidung angeht – auch wenn diese Entscheidung den Charakter von „Spaltung“ und „Feuer“ haben kann.

» Es galt, Gott in der Unendlichkeit seiner Liebe, in der Eindeutigkeit seiner Bejahung, in der Unverbrüchlichkeit seiner Vergebung wiederzufinden und in all den Strafreden und Gerichtsandrohungen den eigentlichen Kern neu zu entdecken: für ‚verloren‘ gelten muss nicht, wer ein Gesetz – wie den Sabbat – nicht hält; sich zu verlieren droht allerdings, wer die Liebe verweigert. Sie, einzig sie, ist der Ernstfall des Lebens; und wirklich alles entscheidet sich an ihr. «
Drewermann, Eugen (2009): Das Lukasevangelium Bd.2: Bilder erinnerter Zukunft, Düsseldorf, 81.

Das Feuer reinigt, es verbrennt nicht

Noch einmal das Bild von der Spaltung und dem Feuer. Letztlich geht es in der Botschaft Jesu nicht darum, dass Köpfe rollen, dass Andersdenkende Lügner oder Abstand Nehmende Verbrecher seien. „Spaltung“ meint, bei den Stimmen in mir und neben mir hellhörig werden auf die Stimme Gottes, bei den Menschen, mit denen ich Umgang habe, ein Gespür für die den „Christus in Dir“ zu bekommen, der den „Christus in mir“ trifft, kurz: alles dafür zu tun, dass ich nicht verloren gehe in einer Welt, die das möglich macht, sondern dass ich mich finde und gefunden werde in der Liebe Jesu Christi zu mir. In den Worten Eugen Drewermanns: „Es galt, Gott in der Unendlichkeit seiner Liebe, in der Eindeutigkeit seiner Bejahung, in der Unverbrüchlichkeit seiner Vergebung wiederzufinden und in all den Strafreden und Gerichtsandrohungen den eigentlichen Kern neu zu entdecken: für ‚verloren‘ gelten muss nicht, wer ein Gesetz – wie den Sabbat – nicht hält; sich zu verlieren droht allerdings, wer die Liebe verweigert. Sie, einzig sie, ist der Ernstfall des Lebens; und wirklich alles entscheidet sich an ihr.“[1]

Auge in Auge, Arm in Arm, Herz an Herz mit Jesus ist das Feuer, von dem er spricht, ein reinigendes Feuer, und ist die Spaltung, die er andeutet, ein Mich-positionieren nicht nur an seiner Seite, sondern an Seiner statt. „Worauf es ankommt, ist die Übereinstimmung mit der Person Jesu in der eigenen Existenz.“[2]

In Kurzform: Wo und wie spüren Sie Feuer und Spaltung? Wer oder was hilft, dabei Maß zu nehmen an Jesu Person, Leben, Geschick und Botschaft? Wie positionieren Sie sich – und wie halten Sie diese Position durch? So, und nicht anders (!), ist das Reich Gottes mitten unter uns.

Amen.

Köln 11.08.2022
Harald Klein

[1] Drewermann, Eugen (2009): Das Lukasevangelium, Bilder erinnerter Zukunft, Bd. 2, Düsseldorf, 81.

[2] a.a.O., 76.