21. Sonntag im Jahreskreis – Widerständig leben (IV)

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Die Schlüssel des Himmelreichs…

Da ist heute wieder so ein Evangelium zum Wegrutschen in den Bänken, verbunden mit dem Ort „Cäsarea Philippi“: „Als Jesus in das Gebiet von Cäsarea Philippi kam, fragte er seine Jünger und sprach: Für wen halten die Menschen den Menschensohn?“

Ich will Ihnen die Antworten und die – Ihnen sicher bekannten – Dialoge ersparen. Nur zwei Sätzchen sollen der Predigt für heute dienen: „Du bist Petrus, der Fels, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen und die Pforten der Unterwelt werden sie nicht überwältigen. Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreiches geben.“

Um genau das geht es mir: um den „Fels“, der allem Anschein nach die Voraussetzung, die Grundbedingung, die conditio sine qua non für die „Schlüssel des Himmelreiches ist“.

Da regt sich ein geistlicher Widerstand in mir, und das auf verschiedenen Ebenen. Der erste Blick geht auf Petrus, den Jesus hier anspricht. Bald nach dem Weg von Cäsarea Philippi, auf dem Weg nach Jerusalem und dann in Jerusalem selbst ist’s aus mit dem Felsen. Nicht, dass ich ihm seine Brüchigkeit nachtrage – Menschen sind eher brüchig und gebrochen als felsenfest, das weiß ich selbst. Aber „Fels“ verlangen – und selbst eher „Sand“ sein, der in der Hand verrinnt, das geht nicht! Der zweite Blick geht auf die vielen Heiligen und Märtyrer, die uns die Religion vorstellt. „Blutzeugen“ werden sie auch genannt. Die Nachfrage jedoch, für was und um wessentwillen sie ihr Leben ließen, ihr Blut gaben, oder anders: für was ihnen der Himmel aufgeschlossen wurde… – da schaue ich lieber auf die Widerständigen der heutigen Tage, oft jenseits der Kirchen(n), mitten in der Welt, die mir Felsen in den Brandungen des Lebens sind, und die ihre Brüchigkeit dennoch nicht verbergen.

Letztlich glaube ich, dass denen, die in der Brüchigkeit ihres Lebens das Leben wagen, auch die Schlüssel für das Himmelreich mitgegeben sind, mit denen sie anderen und sogar sich selbst den Himmel aufschließen können – ohne auf das „Schmiermittel“ der Sakramente, des Bindens oder des Lösens warten zu müssen. Für meine Spiritualität bezeichnen und drücken Sakramente im Moment aus, was immer gilt und ist, und setzen nichts Eigenes oder Neues auf die Wirklichkeit „drauf“. Wie gesagt: Da spüre ich geistlichen Widerstand.

» Letztlich würde Bonhoeffer sich wohl von uns wünschen, dass wir uns nicht auf ihn fokussieren, sondern in unserem Leben die Verantwortung übernehmen, uns unserem Nächsten zuzuwenden. Denn so einsam sie und wir auch sein mögen, sind wir immer und jederzeit Menschen. «
Fabrycky, Laura M. (2021): Schlüssel zu Bonhoeffers Haus. Wie ich Welt und Weg Dietrich Bonhoeffers entdeckte, Gütersloh, 281.

… und die Schlüssel zu Bonhoeffers Haus

Die amerikanische Autorin Laura Fabrycky begleite 2016 ihren Mann nach Berlin, wo er drei Jahre lang im diplomatischen Dienst stand. Sie beschäftigte sich in dieser Zeit mit dem Weg und der Spiritualität Dietrich Bonhoeffers, so sehr, dass sie sich als englischsprachige Führerin im Bonhoeffer-Haus in der Marienburger Allee 43 in Berlin-Charlottenburg engagierte. Sie schrieb ihren Weg nieder und nannte diese spirituelle Reise „Schlüssel zu Bonhoeffers Haus“. Als Untertitel fügte sie hinzu: „Wie ich Welt und Weg Dietrich Bonhoeffers entdeckte“[1]. „Schlüssel zum Haus“ steht zum einen für die Schlüssel zur Haustür, mit denen sie sich und den Besucher*innen öffnete. „Schlüssel zum Haus“ steht zum anderen für das „Lebenshaus“ Dietrich Bonhoeffers, dessen Weg in den Widerstand in der Predigt des vergangenen Sonntags beschrieben wurde. Diese „Schlüssel zu Bonhoeffers Haus“ werden für Laura Fabrycky zu „Schlüsseln zum Himmelreich“. In der Begegnung mit der Welt und dem Weg Dietrich Bonhoeffers wurde ihr eine neue Einsicht in das Leben und die eigene Lebensführung, in das Miteinander der Gemeinschaften, in das Miteinander in der Kirche, letztlich in die Gemeinschaft mit Gott erschlossen. Und das alles mitten in der Welt! „Manche in der Kirche weigerten sich, Bonhoeffer als Märtyrer zu bezeichnen, weil er das Reich der reinen Spiritualität verlassen und sich in die Niederungen der politischen Wirklichkeit begeben hatte“, schreibt sie.[2]

Hier bleibt jede Form des geistlichen Widerstands bei mir aus. Bonhoeffer war es nicht, ich muss es nicht sein, und Sie auch nicht: Fels! Bonhoeffer war gebrochen oder zerbrechlich, ich bin es, und Sie auch! Und ihm wie mir und Ihnen sind die Schlüssel des Himmelreichs gegeben. Laura Fabrycky schreibt mit Blick auf Bonhoeffer: „Letztlich würde Bonhoeffer sich wohl von uns wünschen, dass wir uns nicht auf ihn fokussieren, sondern in unserem Leben die Verantwortung übernehmen, uns unserem Nächsten zuzuwenden. Denn so einsam sie und wir auch sein mögen, sind wir immer und jederzeit Menschen.“[3] Darum geht es: Ums Menschsein, um Freundschaft mit sich selbst, mit den anderen, mit der Welt und mit Gott – übrigens beginnt Laura Fabrycky das Buch in dem Jahr, in dem Donald Trump in Amerika die Präsidentschaftswahlen gewinnt!

» Wenn wir uns auf Unterschiede einlassen, auf Menschen, die anders sind als wir, entdecken wir rasch, was wir an unserer Herkunft schätzen, und erkennen, dass die Menschen im Grunde mehr verbindet als sie trennt. «
Fabrycky, Laura M. (2021): Schlüssel zu Bonhoeffers Haus. Wie ich Welt und Weg Dietrich Bonhoeffers entdeckte, Gütersloh, 264-269.

Immer wieder Neuland erschließen, neue Lebensräume aufschließen

Mit sieben Erinnerungen daran, was das Bonhoeffer Haus für sie bedeutet, will Laura Fabrycky die Schlüssel dieses Hauses dazu nutzen, die Zimmer des eigenen Lebenshauses aufzuschließen. Mit diesem Bild kann ich dem geistlichen Widerstand des „Du bist Petrus, der Fels und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen“ des Evangeliums gut begegnen, um dem gelebten widerständigen Leben auf ein solches Kirchenbild hin auch geistliche Nahrung zu geben.

Nochmal: Ich glaube, dass Ihnen und mir die Schlüssel des Himmelreiches (in einem spirituellen, nicht in einem kirchlich-religiösen Sinne) in die Hand gegeben sind. Ich glaube, dass wir in aller Brüchigkeit und Gebrochenheit genug Kraft und Stärke besitzen, das Leben zu tragen und zu ertragen. Ich glaube, dass es niemandem zuträglich ist, geistlichen Widerstand da abzuarbeiten, wo er anbrandet oder ins Leere läuft, sondern ihn dazu zu nutzen, Neues zu wagen, Neues zu erschließen und Neues aufzuschließen.

Eine der sieben Erinnerungen in Laura Fabryckys Epilog lautet: „Im Bonhoeffer-Haus sah ich, wie Bonhoeffer sich selbst, seine Welt und seine Verantwortlichkeiten gegenüber dieser Welt verstand, als er sich auf Neuland vorwagte. Nicht alle unternehmen große Reisen oder wohnen längere Zeit im Ausland, aber für uns alle ist es notwendig, dass wir über uns selbst und unsere ausgetretenen Pfade hinauswachsen. Wenn wir uns auf Unterschiede einlassen, auf Menschen, die anders sind als wir, entdecken wir rasch, was wir an unserer Herkunft schätzen, und erkennen, dass die Menschen im Grunde mehr verbindet als sie trennt.“[4]

Sie erinnern den Anfang und die Frage Jesu: „Als Jesus in das Gebiet von Cäsarea Philippi kam, fragte er seine Jünger und sprach: Für wen halten die Menschen den Menschensohn?“ – Vielleicht ist die einzig richtige Antwort an Jesus: „Von wem sprichst Du? Wen genau meinst Du?“

Amen.

Köln, 25.08.2023
Harald Klein

[1] Fabrycky, Laura (2021): Schlüssel zu Bonhoeffers Haus. Wie ich Welt und Weg Dietrich Bonhoeffers entdeckte, Gütersloh.

[2] a.a.O., 247.

[3] a.a.O., 281.

[4] vgl. a.a.O., 264-269.