21. Sonntag im Jahreskreis – Wohin sollen wir? Gehen!

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„Wollt auch Ihr gehen?“

Ein letztes Mal die Brotrede – aber dieses Mal hat sie es in sich. Die Stationen der vergangenen vier Sonntag rufe ich Ihnen nochmal in Erinnerung:

  • Joh 6,1-15: Die Erzählung von der Brotteilung – verbunden mit dem einfach anfangen und dem einfach anfangen;
  • Joh 6,24-35: Die Rede über das Himmelreich – verbunden mit dem Verkosten und dem Deuten des Vorgeschmacks des Ewigen;
  • Joh 6,41-51: Jesus, der von sich als dem Brot des Lebens spricht – verbunden mit der Frage, was mich, was Sie wirklich nährt;
  • Joh 6,51-58: Leben wird nur der, der dieses Fleisch ist und dieses Brot trinkt – verbunden mit der Erkenntnis, dass ich selbst Brot von der Welt und Brot für die Welt sein kann, dass Sie selbst Brot von der Welt und Brot für die Welt sein können.

Nach diesen vielen theologischen Spekulationen im Johannesevangelium endet diese Brotrede mit einer Frage, die auf den Nägeln – und im Herzen – brennt. Jesus fragt die Jünger, nachdem viele der Zuhörenden sich von ihm zurückzogen: „Wollt auch Ihr weggehen?“

Wie sieht es aus, bei mir, bei Ihnen? Will auch ich, willst auch Du, wollt auch Ihr, wollen auch Sie weggehen?

Mir ist die Frage so wichtig, weil ich die oben angeführten Stationen der Brotrede mit im Sinn – und im Herzen – habe. Ich bleibe mal in der „Ich-Form“, übernehmen Sie, was Ihnen guttut.

  • Erlebe ich noch einfache Anfänge an den Orten, die die Gegenwart Jesu verheißen, erlebe ich noch ein einfaches anfangen?
  • Ahne ich, wichtiger noch: verspüre ich an den Orten, in Gruppen, Zusammenkünften oder einfachen Begegnungen so etwas wie den Vorgeschmack des Ewigen, kann ich dieses Erleben daraufhin deuten?
  • Finde in an den Orten, in Gruppen, Zusammenkünften oder einfachen Begegnungen das, was mich wirklich nährt?
  • Finde ich mich an den Orten, in Gruppen, Zusammenkünften oder einfachen Begegnungen als Brot von der Welt wieder, und kann ich hier Brot für die Welt sein, mit beiden Beinen auf der Erde und zum Himmel hin aus- und aufgerichtet?

Im Nachsinnen über diese Frage bekommt die Frage Jesu einen zumindest für mich aktuellen Klang: „Wollt auch ihr, willst auch Du gehen?“

» Eine schöne Definition eines erwachten Menschen: ein Mensch, der nicht mehr nach der Pfeife der Gesellschaft tanzt, ein Mensch, der zu der Musik tanzt, die aus ihm selber kommt. «
de Mello, Anthony (1992): Der springende Punkt. Wach werden und glücklich sein, 2. Aufl., Freiburg, 175.

Die Trias „Religion“ – „Frömmigkeit“ – „Spiritualität“

Angelehnt an den Benediktinerabt Christian Schütz[1] möchte ich drei Begriffe unterscheiden, die helfen können, die Frage Jesu ausgewogen zu beantworten.

Schütz begreift Religion als ein Lehrgebäude, das Halt zu geben vermag und an das ich mich binde, an dem ich mich und mein Leben festmache. „Ich aber und mein Haus, wir wollen dem Herrn dienen“, sagt Josua in der ersten Lesung im sogenannten Landtag zu Sichem (Jos 24,15), der so etwas wie die Gründungsakte des Volkes Israel und seiner zwölf Stämme darstellt. „Ich bin getauft und Gott geweiht“, singen die Christen. Oder: „Fest soll mein Taufbund immer stehen, ich will die Kirche hören“. Andere Menschen haben andere Maßstäbe, an die sie sich und ihr Leben binden, um Halt zu finden; „Ich aber und mein Haus, wir wollen dem Leben dienen“, könnte so ein Bindungssatz sein, der viele an- und miteinander verbindet. Religion ist vor allem „Lehre“, die oft genug als Leere, als blutleer erlebt wird.

Schütz beschreibt dann Frömmigkeit als Riten und Gebräuche, die dieser Lehre Ausdruck geben. Unser Gottesdienst, die Sakramente und die Art, wie wir sie feiern, gehört dazu. Frömmigkeitsformen, die weltweit geteilt werden, geben das Gefühl der Zugehörigkeit. Ob der Satz, dass die Sakramente auch beinhalten, was sie bezeichnen, noch erfahrbar ist, erfahren wird, sei dahingestellt. Erfahre ich, erfahren Sie Vergebung im Sakrament der Beichte, oder Begegnung mit Jesus Christus in der Eucharistie und dem Empfang der Kommunion, sofern Sie denn – auch das ist Religion und Frömmigkeit – überhaupt noch „zugelassen“ sind?

Die Trias schließt Schütz mit dem Begriff der Spiritualität ab. Hier geht es um einen Geist, der alltäglich und alltagstauglich ist, der also voraus– und nachdenkend ist, was Lebensgestaltung, was Unterscheidung und Entscheidung angeht. Spiritualität ist dialogfähig; der spirituelle Mensch lässt sich anfragen von dem, was in der Welt geschieht, und er gibt im Vollzug seines Lebens eine Antwort. In Worten antwortet er denen, die ihn nach dem „Grund“ seines Handels fragen. Spiritualität will dem Leben dienen, ist einem Mehr an Humanum ausgerichtet, über Konfessionen und Religionen hinweg. Und sofern sie Maß nimmt an Jesus Christus, an seinem Wort, seinem Handeln, seinem Geschick, ist sie dann christliche Spiritualität.

In der Frage nach dem „Wollt auch ihr weggehen?“ sind alle diese drei Bereiche, sind Religion, Frömmigkeit und Spiritualität gefragt. Die Antwort wird davon abhängen, wo die Jünger, wo Sie, wo ich mich anteilig am ehesten wiederfinde.

» Nicht an einem Mangel an Religion im gewöhnlichen Sinn des Wortes leidet die Welt, sondern an einem Mangel an Liebe, einem Mangel an Bewusstheit. Liebe wird durch Bewusstheit geweckt und durch nichts anderes sonst. «
de Mello, Anthony (1992): Der springende Punkt. Wach werden und glücklich sein, 2. Aufl., Freiburg, 189.

Das Feuer suchen – Zum Feuer gehen

Über die Situation, über die Zeit der Frage Jesu hinaus, aber bereits schon in die Zeit der Abfassung der Evangelien und der Entstehungsgeschichte der frühen Kirche bis in die Gegenwart hinein kann eine Geschichte zur Klärung der Antwort helfen, die der indische Jesuit Anthony de Mello (1931-1987) überliefert:

„Es war einmal ein Mann, der erfand die Kunst des Feuermachens. Er nahm seine Werkzeuge und wanderte zu einem Stamm im Norden, wo es sehr kalt war, bitterkalt. Dort lehrte er die Menschen, Feuer zu machen. Die Menschen waren auch sehr daran interessiert. Er zeigte ihnen, wozu das Feuer alles gut sein konnte – zum Kochen, zum Sich-Wärmen und anders mehr. Sie waren sehr dankbar, dass sie die Kunst des Feuermachens gelernt hatten. Doch bevor sie ihm ihren Dank aussprechen konnten, verschwand er, ihm lag nicht an ihrer Anerkennung oder ihrem Dank; ihm lag an ihrem Wohlergehen.

So ging er zu einem anderen Stamm, dem er wiederum zeigte, wie nützlich seine Erfindung war. Die Menschen dort interessierte das ebenso sehr, ein bisschen zu sehr für den Geschmack ihrer Priester, denen nicht verborgen blieb, dass dieser Mann die Scharen auf Kosten ihrer eigenen Beliebtheit anzog. So beschlossen sie, ihn beiseitezuschaffen. Sie vergifteten ihn, kreuzigten ihn, töteten ihn – wie, ist hier nicht weiter wichtig.

Doch die Priester bekamen nun Angst, dass sich die Menschen gegen sie wenden würden. Aber die Priester waren schlau, ja gerissen. Können Sie sich vorstellen, was sie taten? Sie fertigten ein Bild des Mannes und stellten es auf den größten Altar des Tempels, die Werkzeuge für das Feuermachen legten sie vor das Bild. Darauf wurden die Leute angeleitet, das Bild zu verehren und sich vor den Werkzeugen zu verbeugen, was sie auch pflichtbewusst Jahrhunderte hindurch taten. Verehrung und Kult gingen weiter, aber das Feuer gab es nicht mehr.“[2]

» Ich laufe bleibend davon. «
Florin, Christiane (2019): Trotzdem! Wie ich versuche, katholisch zu bleiben, München, 172.

Was, wenn Sie das Feuer nicht mehr sehen, wenn es mich nicht mehr wärmt? Das „Feuer“ in dieser Geschichte steht für das, was das „Brot“ in den vergangenen fünf Sonntagen meint. Was nährt mich wirklich, wo und wie kann ich andere nähren? Oder: Was wärmt mich wirklich, wie und wo kann ich andere wärmen? Wo andere erleuchten, selbst Licht finden und anderen Licht sein?

Ob die Vermutung stimmt, dass der vorwiegend religiöse Mensch nicht auf die Idee käme zu gehen, er steht er doch fest in und findet halt fest an der Lehre? Dass der fromme Mensch zumindest die Frage nach dem Gehen stellt, da die Riten und Gebräuche vielleicht dem eigenen Hunger nicht mehr genügen, zu wenig Licht und Wärme geben und „Zugehörigkeit“ nicht alles ist? Und dass der spirituelle Mensch gar nicht anders kann als Gehen, weil der Hunger, die Dunkelheit und die Kälte sich immer neu darstellen und er eine Antwort geben will, geben muss, die ins Heute passt?

Es gilt, den Konflikt der Religion, der Frömmigkeit und der Spiritualität in sich zu spüren, die Haltungen dahinter zu unterscheiden und dann zu entscheiden: „Wollt auch ihr weggehen?“ Der Religiöse bleibt, der Fromme überlegt, der Spirituelle geht.

Amen

Köln 21.08.2021
Harald Klein

[1] Das Modell wird ausführlich beschrieben auf [online] https://www.harald-klein.koeln/womit-kann-ich-dienen-ueber-lebensfragen-in-sachen-glaube-in-deutschland/ [21.08.21]

[2] de Mello, Anthony (21992) Der springende Punkt. Wach werden und glücklich sein, Freiburg, 187f.