26. Sonntag im Jahreskreis – Das Fest der Faulenzer ist vorbei?!

  • Predigten
  • –   
  • –   

Übersetzen Sie doch mal „Faulenzer“…

Im Netz finden Sie auf einer Seite, die Synonyme sammelt, „56 andere Wörter in sechs Wortgruppen für das Substantiv Faulenzer.“ [1] Diese sechs Wortgruppen sind überschrieben mit Penner, Herumtreiber, Schmarotzer, Drückeberger, Faulpelz und Taugenichts. Wikipedia verweist auf den Müßiggänger[2], und auf die Schnelle – für die Predigtvorbereitung – stolpere ich über den „Deutschen Wortschatz von 1600 bis heute“, der auf die Etymologie des Wortes eingeht und vom Adjektiv „faul“ her den „Faulenzer“ mit Adjektiven wie verdorben, verwesend, anrüchig, stinkend, modrig konnotiert.[3]

In der deutschen Romantik hat Josef von Eichendorff /1788-1857) den Lesewilligen mit seiner Novelle „Aus dem Leben eines Taugenichts“ (1826 veröffentlicht) den Inbegriff des Faulenzers des frühen 19. Jahrhunderts vorgestellt; im Alten Testament stellt der Prophet Amos – der Sozialrevoluzzer der Propheten – den Faulenzer als einen vor, der selbstsicher und sorglos seinen Luxus genießt, ohne sich um den Untergang seines Volkes  zu scheren; im Neuen Testament spricht Jesus im Gleichnis vom armen Lazarus vom reichen, in Purpur und feines Leinen gekleideten Mann, der dem armen Lazarus noch nicht mal die Reste seines Mahles gönnt.

Sie hören die beiden Dimensionen der „Faulheit“: Die faulen Menschen sorgen nicht nur nicht für eine Gerechtigkeit der Menschen um sich herum; sie sorgen auch nicht für eine Gerechtigkeit sich selbst gegenüber. Faulenzende werden letztlich sich selbst und anderen gegenüber nicht gerecht. Es geht nicht darum, im Sinne von Max Webers „protestantischer Ethik“ ständig irgendwie „werkeln“ zu müssen. Aber: Den wesenshaft Faulenzenden ist ein gestörtes Fremdbild, eine gestörte (im Sinne von Leben verhindernde) Fremdwahrnehmung ebenso zu eigen wie eine gestörte (dto.) Selbstwahrnehmung. Eine Tatsache, die sowohl Amos (im 8. Jhdt. V.Chr.) die Jesus in seinen Gleichnissen und die heute namhafte Psychologinnen und Psychologen kennen und beschreiben. Die Prophetie des Amos (in Am 6,7) sagt: „Das Fest der Faulenzer ist vorbei!“

» Es ist nicht nur die Treue zu Gott, es ist wesentlich das Vertrauen auf Gott, das diesen alten Mann den Mut schenkt, die qualvolle Hinrichtung aus sich zu nehmen. «
Drewermann, Eugen (2009): Das Lukasevangelium Bd.2: Bilder erinnerter Zukunft, Düsseldorf, 314.

Faul – mir selbst gegenüber

Noch einmal die sechs Wortgruppen, unter denen 56 Synonyme für „Faulenzer“ aufgelistet sind: Penner, Herumtreiber, Schmarotzer, Drückeberger, Faulpelz und Taugenichts. Ich kann sie – mal mehr, mal weniger – auf mein eigenes Leben, mir selbst gegenüber anwenden. Ich will es gar nicht mal so sehr auf die Ebene des „Du müsstest mehr für Dich tun“ bringen (Sie ahnen es, Dinge wie Ernährung ändern, mehr Bewegung, mehr Stille und Meditation, mehr Ruhe, und weniger Medien u.v.m.). Mehr -als quantitative Größe – zu tun, das lockt nicht. Was lockt, ist mehr – als qualitative Größe – zu tun; Sie ahnen es: magis statt multum! In dieser Haltung als „Faulenzer“ vor Gott zu stehen, heißt zu ahnen oder zu spüren, dass er nicht mehr von mir will, sondern mehr für mich will. Die Faulheit mir selbst gegenüber überwinde ich nicht durch Training oder Übung allein – oder wenn man, wie Harald Welzer sagt, Handlungen durch Ziele ersetzt[4]; denn Ziele sind keine Handlungen. Das Fest des Faulenzers in mir und mir gegenüber ist vorbei, wenn ich in Resonanz mit Gott oder in Resonanz mit Menschen gehe, von denen ich glaube, dass Gott mir in ihnen begegnet – und mich herauslockt, vielleicht sogar herausfordert zu einem Mehr seines Geistes, seines Wirkens, seiner Liebe; magis statt multum, in die Tiefe gehen statt mich immer mehr auszubreiten. Eugen Drewermann verweist in seinem Kommentar zum Lukasevangelium auf den alten Schriftgelehrten Eleazar, der im 2. Jhdt. v.Chr. in den Makkabäerkämpfen (vgl. 2 Makk 6,19) vor die Entscheidung gestellt wurde, seinem Gott und dessen Geboten untreu zu werden und Schweinefleisch zu essen oder in den Tod zu gehen. Ein heute eher unverständliches Geschehen, aber Eleazar wählte den Tod, und Drewermann stellt klar: „Es ist nicht nur die Treue zu Gott, es ist wesentlich das Vertrauen auf Gott, das diesen alten Mann den Mut schenkt, die qualvolle Hinrichtung aus sich zu nehmen.“[5]

Das Fest der Faulenzer ist vorbei, für mich, hat eine Chance zur Wandlung meiner selbst, wenn ich in Resonanz gehe zu Gott, der mehr für mich will.

Zitat Drewermann 327

» Das viel beschworene ‚Gericht’ Gottes besteht wesentlich darin, dass unter den Augen Gottes die Menschen endlich und endgültig Einsicht gewinnen in die Wirklichkeit ihres Daseins. «
Drewermann, Eugen (2009): Das Lukasevangelium Bd.2: Bilder erinnerter Zukunft, Düsseldorf, 327.

Faul – den anderen gegenüber

Penner, Herumtreiber, Schmarotzer, Drückeberger, Faulpelz und Taugenichts. Ich kann diese Synonyme – mal mehr, mal weniger – auf das Leben mit den anderen, dem Leben derer, mit denen ich lebe, anwenden. Es braucht keine Bibel, es braucht keinen Gott, es genügt Immanuel Kant und es genügt die Philosophie der Aufklärung, um zu erkennen, dass der andere – ja sogar ich selbst, sofern ich mir gegenüberstehe und mich betrachte – immer Selbstzweck ist und nicht als Mittel für irgendetwas oder irgendjemand benutzt werden darf. Kants Selbstzweckformel lautet in etwa: „Handle so, dass Du die Menschheit sowohl in Deiner Person als auch in der Person eines jeden anderen jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest.“[6] Sowohl in der Aufklärung nach Kant als auch in einem gesunden Begriff christlicher Spiritualität geht es im Zusammenspiel von „Ich“ und „Du“ um den „Selbstzweck“, darum, dem anderen zu dienen, und eben nicht, mich zu bedienen, wie es der reiche Prasser im Evangelium versteht. „Faulenzen“ in diesem Sinne ist immer ein Leben auf Kosten anderer. Das Faulenzen ist vorbei, wenn ich auf sie, auf ihn hinlebe. Was Eugen Drewermann vom Moment des Todes, des Sterbens sagt, gilt auch in jeder Begegnung mit anderen, in denen ich mein „Ich“ hintanstelle („sterben lassen“ will ich nicht sagen!) und mich den anderen zuwende, auch (als Beigabe), um mich zu erkennen: „Das viel beschworene ‚Gericht’ Gottes besteht wesentlich darin, dass unter den Augen Gottes die Menschen endlich und endgültig Einsicht gewinnen in die Wirklichkeit ihres Daseins.“[7] Wieder gilt das magis-multum-Spiel: Es kommt in keiner Weise an, (quantitativ) mehr zu geben, mir mehr abzuverlangen; es kommt darauf an, (qualitativ) mit der richtigen und in der angemessenen Tiefe den anderen zu begegnen und mit ihnen in Resonanz zu kommen. Die Frage ist nicht: „Was soll ich denn noch alles machen?“, sondern: „Wie soll ich es denn machen?“, vielleicht sogar „Soll ich es überhaupt machen?“

» Es gibt keine Hölle auf ewig; aber im Bild dieser Gleichniserzählung Jesu zu sehen, welch eine Welt wir in Wahrheit bewohnen, sollte Antrieb genug sein, den Himmel zu suchen. «
Drewermann, Eugen (2009): Das Lukasevangelium Bd.2: Bilder erinnerter Zukunft, Düsseldorf, 336.

Faul – Gott und dem Himmelreich gegenüber

Zu einer guten Predigt würde es gehören, nach dem Hinweis auf die 56 Synonyme für die „Faulenzer“ jetzt eine Charakterisierung der „Tüchtigen“ anzubieten. Da sei Gott vor, im wahrsten Sinne des Wortes. Es geht nicht darum „etwas“ zu tun oder mehr zu tun, um das Fest der Faulenzer zu beenden. Es geht darum, die „Hölle“ der Faulheit zu spüren, zu verkosten, als Resonanzrau zu erahnen, und dann aus der Sehnsucht nach dem Himmel, nach Gott und seinem Reich in die Wandlung, in die Handlung zu kommen. Noch einmal Eugen Drewermann: „Es gibt keine Hölle auf ewig; aber im Bild dieser Gleichniserzählung Jesu zu sehen, welch eine Welt wir in Wahrheit bewohnen, sollte Antrieb genug sein, den Himmel zu suchen.“

Antrieb genug, den Himmel suchen – das kann dem Faulenzer auf Dauer nicht gelingen. Also los.

Amen.

Köln 22.09.2022
Harald Klein

[1] vgl. [online] https://www.buchstaben.com/synonym/faulenzer [22.09.2022]

[2] vgl. [online] https://de.wikipedia.org/wiki/Faulenzer [22.09.2022]

[3] vgl.[online] https://www.dwds.de/wb/Faulenzer [22.09.2022]

[4] Vgl. Welzer, Harald (2021): Nachruf auf mich selbst. Die Kultur des Aufhörens, 6. Aufl., Frankfurt/Main, 68.

[5] Drewermann, Eugen (2009): Das Lukas-Evangelium. Bilder erinnerter Zukunft, Bd.2., Düsseldorf, 314.

[6] Vgl. [online] https://freidenker.cc/immanuel-kants-selbstzweckformel/4301 [22.09.2022]

[7] Drewermann, Eugen (2009): Das Lukas-Evangelium. Bilder erinnerter Zukunft, Bd.2., Düsseldorf, 327.