26. Sonntag im Jahreskreis: Extrinsische vs. intrinsische Nachfolge

  • Unkategorisiert
  • –   
  • –   

Fremdgehen im Evangelium

„Meister, wir haben gesehen, wie jemand in Deinem Namen Dämonen austrieb; und wir versuchten, ihn daran zu hindern, weil er uns nicht nachfolgt“ (Mk 9,38). Jesus erwiderte: „Hindert ihn nicht! Keiner, der in meinem Namen eine Machttat vollbringt, kann so leicht schlecht von mir reden!“

„Hindert ihn nicht!“ – mit Jesu Zurechtweisung des Johannes und all derer, die so denken wie Johannes, beginnt das Sonntagsevangelium. Die Denkweise des Johannes ist noch lange nicht aus der Welt. Ich erinnere mich an das Anbahnen von Eheschließung und Familienbildung nicht nur in der früheren DDR, bei der die Frage im Raum stand: „Und, ist er/sie auch katholisch?“ Ich sehe die Frage nach der Konfession oder der Kirchenzugehörigkeit im kirchlich-arbeitsrechtlichen Kontext noch lange nicht überwunden. Und im Diktum von Papst Franziskus, die Kirche möge an die Ränder gehen, erlebe ich mich als in der Nachfolge Jesu stehend von denen, die „uns nicht nachfolgen“, als randständig, als an den Rand gestellt. Die Perspektive macht es aus, wer am Rand steht und wer in der Mitte!

Allemal ist Jesus davon überzeugt, dass die, die in seinem Namen Dämonen austreiben, Wunder tun, zum guten Leben führen, ohne ihm nachzufolgen, in Ruhe gelassen werden sollen – es geht Jesus um das Heil der Menschen, nicht um die Gefolgschaft ihm gegenüber.

» Wir sehen die Welt nicht, wie sie ist,
sondern wie wir sind. «
Anais Nin

Fremdsehen in der Frömmigkeit

Die Frömmigkeit, das Brauchtum, die Ansage, wie wir unseren Glauben zu leben haben, sieht im Monat Oktober den Rosenkranzmonat, neben dem Mai ein Monat, der den frommen Blick auf die Jungfrau Maria, auf die Mutter Gottes, auf die Schwester aller Menschen auszurichten versucht.

Ausgerechnet eine holzgeschnitzte Marienfigur, die seit gut zwölf Jahren auf einem Regal in meiner Wohnung einen Platz hat, meldete sich zu Wort, um mir einen Perspektivwechsel nahezubringen. Es handelt sich um die sog. „Seeoner Madonna“.[1] Die mit einer Krone versehen Maria sitzt im roten Rock mit goldenem Obergewand und verdeckt durch den blauen Mantel auf einem Schemel. In der Linken hält sie das Jesuskind auf dem Schoß, in der Rechten trägt sie einen Apfel. Das Jesuskind selbst zeigt sich bewegt, in beiden Händen hält es ein geöffnetes Buch, Buchstaben sind angedeutet, lesen kann man nichts. Bemerkenswert ist, dass der Blick der Maria mitten durch Apfel und Jesuskind hindurch geht, und auch der Blick des Jesuskindes geht nach vorn, scheinbar ins Leere.

er glaubende Betrachter, der sich „beschaulich“ dieser Figur nähert, füllt diese Lücke! Der Blick trifft zuerst auf das ihm nahe „Buch“, vielleicht auch den „Apfel“, dann etwas weiter hinten auf das „Jesuskind“ und dann auf die „Gottesmutter“.

» Ich sehe dich in tausend Bildern,
Maria, lieblich ausgedrückt,
Doch keins von allen kann dich schildern,
Wie meine Seele dich erblickt

Ich weiß nur, dass der Welt Getümmel
Seitdem mir wie ein Traum verweht,
Und ein unnennbar süßer Himmel
mir ewig im Gemüte steht. «
Novalis (o.J.): Geistliche Lieder Nr. 15, in: Novalis, Werke, hrsg. von J. Dohmke, Leipzig/wWien 38.

Extrinsische Nachfolge: Ich schau mal nach Jesus, nach Maria

Es gibt so etwas wie eine „extrinsische Nachfolge“, die eben „extrinsisch motiviert“ ist. Johannes grenzt sich im Evangelium von dem namenlosen Heilenden ab. Dieser gehört nicht zum Zwölferkreis, zur Gemeinschaft, zur Gemeinde. Er geht nicht zu Jesus, schaut nicht auf ihn oder auf die Schrift, und doch treibt er Dämonen in Jesu Namen aus. Extrinsisch Motivierte wollen gelobt, belohnt und hervorgehoben werden, der Anreiz für ein bestimmtes Verhalten kommt von außen. Erfüllung dessen, was auch immer in den Büchern der Religion steht, Verhalten so, wie es erwartet und gefordert wird, Einhaltung des Ethos der Gemeinschaft macht die „gute“ Nachfolge aus. Alles andere ist vom Teufel, oder zumindest irgendwie suspekt – für Johannes und den Zwölferkreis.

Es ist eine eigene Form von Frömmigkeit, hinzugehen, nach Jesus und Maria zu schauen, Blumen abzulegen oder ein Kerzchen anzuzünden. Und sich so zu stellen, dass der Blick Mariens und Jesu auf Dich fällt. Das ist das „Blick-Geheimnis“ der „Seeoner Madonna“, dass es eine Lücke im Hinsehen von Jesus und Maria gibt, die zu schließen ist. Na, dann stell Dich doch da mal hin, mit Blumen und mit Kerzchen, und schau sie an in „1000 Bildern“ Novalis beschreibt in seinem „Ich sehe Dich in tausend Bildern“ diesen „Lückenfüller“.

Dazu passt: Das Kölner Domradio berichtet, dass 2023 im Kölner Dom ca. zwei Millionen Kerzchen aufgestellt worden seien.[2] „Extrinsische Nachfolge“: sich von außen zu einer Handlung motivieren lassen, um davon einen Gewinn zu erhalten. Oder anders: Die Frage an die Kirche „Wo bitte, wie bitte geht’s zum ewigen Leben?“ Denn sie – so vielleicht der Trugschluss – muss es ja wissen!

» Wenn es ein marianisches Prinzip gibt,
das ich mit Leben füllen möchte,
und das mich mit Leben erfüllt,
dann ist es,
empfänglich zu sein für Gottes Wort und Berührung
und ihn dann
zur Welt zu bringen. «
Harald Klein, Köln

Intrinsische Nachfolge: Ich schau mal wie/als Jesus, wie/als Maria

Es gibt aber auch so etwas wie eine „intrinsische Nachfolge“, die eben „intrinsisch motiviert“ ist. Intrinsisch Motiviertesuchen in ihrem Handeln das Mittel, um eine Zufriedenheit in sich selbst, eine Stimmigkeit in ihrem Leben zu entdecken, zu finden, zu leben. Der Anreiz zum Handeln, auch die Weise und die Bilder des Denkens kommen von innen, orientieren sich an der individuellen Stimmigkeit. Der „Jemand“ des Evangeliums gehört zu den intrinsisch Motivierten!

Und wieder ist es für mich die „Seeoner Madonna“, die erklärt, wie das geht! Kurz gesagt: durch einen Perspektivwechsel.

Ich fange bei Maria an, bei der Figur der Muttergottes, dem Menschen, der sich für Gottes Wort öffnet und es aufnimmt. Es ist nicht die Krone, es sind nicht die goldenen, blauen, roten Gewänder oder der Thron, der ich mit Maria gemeinsam habe. Es ist („extrinsisch“) der Ruf und die angebotene Möglichkeit bzw. („intrinsisch“) der Wunsch, Jesus zur Welt zu bringen.

Eine Stufe weiter nach vorn zeige, trage, präsentiere ich Jesus der Welt um mich herum, auf zwei Weisen: Es ist zum einen auf der Herzens-Seite Mariens das Jesuskind mit der Schrift, der sagt, wer er sei – das ist nicht meine Aufgabe, sondern die Seinige! Also achte ich auf meine Worte, meine Weise des Redens. Und es ist zum anderen auf der Tat-Seite der Apfel. Er ist für mich wie ein Hinweis auf das, was sowieso in der Welt ist und was „gesund“ macht.

Wenn in diesem Perspektivwechsel ich es bin, der zur Welt geht, wenn es das Alltägliche, das Gegenwärtige ist, das die Lücke im Hinsehen von Jesus und Maria schließt, dann ist es eine Form der „intrinsischen Nachfolge“, Freude, Erfüllung und Zufriedenheit darin zu fühlen, diesem gegenwärtigen Augenblick mit der Tat-Seite das zukommen zu lassen, was diesen Augenblick mit allem, was er birgt, „mehr“ heilt und gesund macht, und auf der Herzens-Seite mich zu verbinden mit dem mit all dem, was mich intrinsisch motiviert, so und nicht anders zu handeln. Und wenn jemand fragt, warum ich das mache, dann – und erst dann – kann ich auf die Schrift verweisen, die Jesus in der Hand hält, oder andere spirituelle Menschen, oder kluge Philosophen. Das Geheimnis ist: Sie alle wollen („intrinsisch“) motivieren, nicht („extrinsisch“) gebieten. „Intrinsisch motiviert “ kommen Glaube und Freiheit zusammen!

Das letzte Wort mag der Jesus des heutigen Evangeliums haben. Es macht einen Unterschied, wie er zu sagen ‚“Wer nicht gegen uns ist, der ist für uns“ (Mk 9,40), oder „Wer nicht für uns ist, der ist gegen uns“. Das erste Wort verheißt Freiheit, das zweite Wort Terror.

Amen.

Köln, 27.09.2024
Harald Klein

[1] Ein Foto genau dieser Marienfigur aus meiner Wohnung findet sich auf [online] https://www.demetz-patrick.com/de/madonnen-stehend-14/madonna-sitzend-seeon-20631.html [27.09.2024].

[2] „Obwohl die Zahl der Kirchenmitglieder abnimmt, ist der Brauch, in Kirchen Kerzen anzuzünden, offenbar weiterhin beliebt. So wurden im Kölner Dom beispielsweise im vergangenen Jahr rund zwei Millionen Kerzen aufgestellt. Das sind so viele wie zuletzt vor der Corona–Pandemie. Neben überzeugten Christen seien dies oft christlich sozialisierte Besucher, sagte der Leipziger Religionssoziologe Gert Pickel dem Internetportal katholisch.de. „Menschen aus dieser Gruppe sind häufig zwar selbst gar nicht oder nicht mehr gläubig“, sie griffen aber auf dieses Ritual zurück, weil sie es aus der Familie so kennen oder weil es ihnen eine eigene Form von Spiritualität ermögliche.“ vgl. [online] https://www.domradio.de/artikel/zwei-millionen-kerzen-im-koelner-dom-angezuendet [27.09.2024]