26. Sonntag im Jahreskreis – Von qualitativer und quantitativer Dummheit

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Jesu Gleichnis vom reichen Prasser und dem armen Lazarus

Du erinnerst dich an den Hinweis von www.BibelFinanz.de auf die 16 von 38 Gleichnissen Jesu, die vom Umgang mit Geld, mit Reichtum, aber auch von dessen Einsatz und Verwaltung handeln? Eines der bekanntesten Gleichnisse ist der konstruierte Gegensatz zwischen dem „reichen“ Prasser, der Tag für Tag glanzvolle Feste feiert und in Purpur und feines Leinen gekleidet ist, und dem armen Lazarus draußen vor der Tür, dessen Leib voller Geschwüre ist und der gerne seinen Hunger mit den Tischresten des Reichen gestillt hätte – aber stattdessen ihm freundlich gesonnen sind nur die Hunde, die sich ihm zuwenden und an seinen Geschwüren.

Schneller Szenenwechsel: Der arme Lazarus stirbt und wird von Engeln in Abrahams Schoß getragen. Der Reiche stirbt und wird begraben, leidet in der Unterwelt qualvolle Schmerzen in deren Feuer, leidet Durst und bittet Abraham , er möge Erbarmen haben, möge doch Lazarus zu ihm schicken, dass er ihm die Zunge mit Wasser kühle.

Abraham erinnert ihn: „Mein Kind, erinnere dich daran, dass du schon zu Lebzeiten deine Wohltaten erhalten hast, Lazarus dagegen nur Schlechtes. Jetzt wird er hier getröstet, du aber leidest große Qual. Außerdem ist zwischen uns und euch ein tiefer, unüberwindlicher Graben, sodass niemand von hier zu euch oder von dort zu uns kommen kann, selbst wenn er wollte“ (Lk 16,24-26). Es geht noch weiter, aber das mag für hier genug sein.

» Nein, Reichtum an sich muss nicht ‚böse‘ sein. Was aber ist ‚gut‘ an einem Menschen, der völlig unberührt bleibt von der Not der Menschen vor seiner eigenen Haustür? Der, der im Wohlgefühl seines Rechts und seiner Rechtschaffenheit, sich seine Freunde, seine Dankbarkeit, sein Glück nicht nehmen lässt durch all die Miesmacher und Umstürzler mit ihrem chronisch schlechten Gewissen?«
Drewermann, Eugen (2009): Das Lukasevangelium Bd.2: Bilder erinnerter Zukunft, Düsseldorf, 319f.

Qualitative und quantitative Dummheit

Zum ersten Mal fällt mir auf, dass der „reiche Prasser“ womöglich Tag für Tag die Bude voll hat, aber letztlich einsam und allein bleibt! Es wird weder bei den „glanzvollen Festen“ noch bei seinem Begräbnis ein einziger anderer Mensch mit Namen genannt. Die Tische mögen sich biegen, sein Herz und die Herzen aller Gäste bleiben dabei eher unberührt. Das ist eine Form qualitativer Dummheit, dass es ihm nicht gelungen ist, sich um Freund*innen, Gefährt*innen, sein Leben Begleitende zu sorgen.

Dazu kommt sein Ausdruck der quantitativen Dummheit, seinem Alleinsein, seiner Einsamkeit mit immer noch mehr glanzvollen Festen zu begegnen. Als läge der Vielzahl der Feste – „Tag für Tag“ schreibt das Evangelium – die Lösung. Von der Tiefe der Begegnungen wird kein Wort verloren! Male dir in deiner Fantasie ruhig einmal die Beisetzung des armen Lazarus und die des reichen Prassers aus – ich vermute, seine Einsamkeit und sein Alleinsein wird hier immer noch spürbar gewesen sein.

Unmittelbar und in einem einzigen Satz wird dagegen die Fürsorge der Engel geschildert, die den armen Lazarus gleich nach seinem Sterben in den Schoß Abrahams trugen. Mögen es weiter oben die Hunde sein, die freundlich, ihm zugewandt, des Lazarus Geschwüre lecken, jetzt kommt ein Name, ein wirklich großer Name und der Mensch ist Spiel, der dem Lazarus zur Seite steht in dessen Überwindung aller Einsamkeit und allen Alleinseins: Abraham.

Das, was der reiche Prasser – sagen wir – im ersten Leben in qualitativer und quantitativer Dummheit gesucht oder versucht hat, ist das, was dem armen Lazarus in einer Art zweiten Lebens geschenkt wird: die Geborgenheit, die Nähe, das Sich-aufgehoben-und-gehalten-Wissen in Abrahams Schoß. Auch hier: male dir mal aus, was das beuteten kann! Und spätestens hier wird auch klar, dass es nur klug sein kann, dieses zweite Leben schon ins erste Leben zu integrieren, also qualitativ wie quantitativ so zu leben, dass man sich aufgehoben, gehalten, sicher und wie neugeboren fühlt. Nicht situativ, sondern als Lebenshaltung!

Das hätte auch dem reichen Prasser gelingen können, wäre er eben kein „Prasser“ sondern eher der „Bruder“ gewesen! Eugen Drewermann schaut auf dieses Evangelium und stellt fest: „Nein, Reichtum an sich muss nicht ‚böse‘ sein. Was aber ist ‚gut‘ an einem Menschen, der völlig unberührt bleibt von der Not der Menschen vor seiner eigenen Haustür? Der, der im Wohlgefühl seines Rechts und seiner Rechtschaffenheit, sich seine Freunde, seine Dankbarkeit, sein Glück nicht nehmen lässt durch all die Miesmacher und Umstürzler mit ihrem chronisch schlechten Gewissen?[1]

» In dem System, das sie gemacht haben
Ist Menschlichkeit eine Ausnahme.
Wer sich also menschlich erzeigt
Der trägt den Schaden davon. «
aus: Brecht, Berthold (1995). Die Gedichte in einem Band, hrsg. vom Suhrkamp-Verlag in Zusammenarbeit mit Elisabeth Hauptmann, Frankfurt/Main, 8. Aufl., 1155.

Berthold Brecht: Die Ausnahme und die Regel

Wenn die oben beschriebene qualitative und die quantitative Dummheit der Menschen Oberhand gewinnt, entsteht das, was Berthold Brecht 1929/1930 in seinem kurzen Lehrstück „Die Ausnahme und die Regel“ ins Wort bringt. Es geht um Abhängigkeitsverhältnisse und um den freien Willen des Menschen. Wenn du mit dem kritischen Blick Brechts ins heutige Evangelium schaust, kannst du erkennen, dass es der reiche Prasser ist, der in seinen Abhängigkeitsverhältnissen zugrunde geht, wenn auch auf andere Weise als der arme Lazarus, dem wenigstens die Hunde bleiben, die seine Wunden lecken – selbst das scheint dem Prasser nicht gegeben; Brechts soziale Kritik im Blick auf Reichtum und Armut wird hier deutlich; die Freundschaft der Hunde wird für Lazarus zum Reichtum, der der Armut des reichen Prassers, die seine Einsamkeit hier wie dort erlebt, diametral gegenübersteht.

Menschen in der Einfachheit des Lazarus und in der Präsenz des Abraham sind für Brecht die Ausnahme, über sie schreibt er zum Ende seines Lehrstücks:

„In dem System, das sie gemacht haben
Ist Menschlichkeit eine Ausnahme.
Wer sich also menschlich erzeigt
Der trägt den Schaden davon.
Fürchtet für jeden, ihr
Der freundlich aussieht!
Haltet ihn zurück
Der da jemand helfen will!

Neben dir durstet einer: schließe schnell deine Augen!
Verstopf dein Ohr: neben dir stöhnt jemand
Halte deinen Fuß zurück: man ruft dich um Hilfe!
Wehe dem, der sich da vergisst! Er
Gibt einem Menschen zu trinken, und
Ein Wolf trinkt.“ [2]

» Wir sollten aufhören zu glänzen
und anfangen zu leuchten. «
Buttgereit, Michael, Positionierungsdesigner, Gute Botschafter GmbH [online] https://diestillerevolution.de [19.01.2022]

Die Dummheit aufheben

Es ist ja nicht so, als würde der qualitativ wie quantitativ dumme Prasser glauben, es würde „ein Wolf“ trinken, wenn er dem armen Lazarus zu trinken gäbe – auf diese Idee, sich dem armen Lazarus zuzuwenden kommt er nicht mal, und wird so selbst zum Wolf „in dem System, das sie gemacht haben“ und in dem „Menschlichkeit eine Ausnahme“ ist. Das kennst du, oder? Du wirst es dir nicht lange ausmalen müssen.

Die Lösung kann nur dadurch erreicht werden, dass diese Dummheit, diese Dummheiten „aufgehoben“ werden. in der dialektischen Philosophie hat das „Aufheben“ drei Bedeutungen:

  • „Aufheben“ im Sinne von „Bewahren“: der Lösung käme der Prasser näher, wenn er, sich erinnernd an die glanzvollen Feste, den Purpur und das feine Leinen, das er trug, die Leere des nächsten Morgens vor Augen hält, immer wieder – um diese qualitativen wie quantitativen Dummheiten eben nicht mehr oder weiterhin zu machen.
  • „Aufheben‘“ im Sinne von „Beenden, Ungültig machen“: wie ein Gesetz, eine Regel, eine Strafe aufgehoben wird und dann nicht mehr gilt; dadurch endet das „Alte“, „Neues“ kann beginnen, neue Lebens- und Erlebensmöglichkeiten werden eröffnet.
  • „Aufheben“ im Sinne von „auf eine höhere Stufe heben, erhöhen“: der Lösung käme der reiche Prasser dadurch näher, wenn er sich selbst als Beschenkter, nicht als Besitzer sehen könnte, und das, was er mit Fantasie und Einsatz bei seinen „glanzvollen Festen“ einsetzte, teilte mit denen, die dessen wirklich bedürftig sind. Die gleiche Kraft kann am Werk sein, aber sie ist jetzt „aufgehoben“ in die Schönheit des Wirkens am Reich Gottes, nicht am Reich des Prassers – obwohl: es muss sich, so Drewermann, ja gar nicht widersprechen!

Bert Brechts „Die Ausnahme“ zeigt den schwierigen Weg der Lösung in der zweiten Strophe auf. Diese qualitative wie quantitative Dummheit, zu glauben, ich müsse mir allein den Weg aus Einsamkeit und Alleinsein suchen. Je mehr ich mich zuschütte mit glanzvollen Festen, Purpur und feien Leinen, hinter verschlossenen Türen, mit gekauften Freundinnen und Freunden, desto mehr verliere ich den Weg nach draußen und den Kontakt zur Welt.

Mit Brechts Worten und der Satire, die drain liegt: Es wäre quantitativ und qualitativ dumm, zu meinen, dass, wenn einer dürstet, ich die Augen offen lasse, statt sie zu schließen; dass, wenn einer stöhnt, ich mein Ohr ihm zuwende, statt mir den Kopfhörer überzuziehen; dass, wenn jemand um Hilfe ruft, ich loslaufe, statt meinen Fuß zurückzuhalten.

Noch einmal in Brechts Worten: Die Lösung liegt darin, ein neues System zu errichten – und wenn es sein muss, klein damit anzufangen -, in der Menschlichkeit keine Ausnahme ist, und in dem der, der sich menschlich erzeigt, keinen Schaden davonträgt. Für den Prasser könnte das heißen:

Das Erste ist: die Tür zu öffnen – und sie offen zu halten!
Das Zweite ist: hinauszugehen und zu sehen, was ist!
Und das Dritte ist: um noch einmal Brecht aufzugreifen, dass er einem Menschen zu trinken gibt, und siehe da: dieser Mensch wird kein Wolf, wird mir ein Nächster, und ich selbst werde mehr Mensch!

So viel für heute und für diese Woche.

Köln, 27.09.2025
Harald Klein

[1] Drewermann, Eugen (2009): Das Lukas-Evangelium, Bd. 2: Bilder erinnerter Zukunft, Düsseldorf, 319f.

[2] Berthold Brecht (1995). Die Gedichte in einem Band, hrsg. vom Suhrkamp-Verlag in Zusammenarbeit mit Elisabeth Hauptmann, Frankfurt/Main, 8. Aufl., 1155.