Das Festmahl auf dem Zionsberg
Wenn man es ganz liest, ist es ein wenig martialisch! Das Kapitel 25 bei Jesaja beginnt erst einmal mit der Beschreibung dessen, wie Israels Gott die feindliche Stadt zunichte macht, platt macht, könnte man auch sagen – von Steinhaufen und Trümmerfeldern ist die Rede, von Palästen, die zu einem verwüsteten Ort werden. Aber auch davon, dass die Schwachen und die Obdachlosen einen Schutz finden bei Gott und dass der Lärm der Fremden zum Schweigen gebracht wird.
Ja, und dann setzt die Vision vom Festmahl auf dem Berg Zion ein. Feinste speisen, ein Gelage mit erlesenen Weinen, und viel mehr noch: die Hülle, die alle Völker verhüllt, wird verschlungen, und ebenso der Tod – Gott verschlingt ihn! Rudolf Kilian schreibt in seinem Kommentar zu Jesaja:
„Ein festliches Mahl, gar mit köstlichen Weinen und Speisen, stiftet als solches schon Gemeinschaft, Friede und Freude. Da nun Jahwe selbst dieses Mahl für Israel und die Völker auf dem Berg (Zion) bereitet, werden auch die Völker in ein neues Verhältnis mit dem Weltenherr Jahwe einbezogen, sie sind nicht mehr seine Feinde, sondern seine Tischgenossen. Und die Mahlgemeinschaft von Israel und Völkern stiftet auch ein neues Verhältnis zwischen Israel und den Völkern. Jetzt sind sie vor Gott und untereinander gleichwertige Partner, die sich nicht mehr anfeinden und bekriegen werden.“[1]
Wie schön, dass auch Exegeten träumen! Aber Sie merken, um was es bei diesem Festmahl geht. Sättigung wäre deutlich zu kurz gegriffen. Das Festmahl klärt Verhältnisse und den Durchblick untereinander – Israel und die Völker – und es klärt Verhältnisse und den Durchblick zum Lebendsende und darüber hinaus – die Völker und der verschlungene Tod.
Das Festmahl des Königs zur Hochzeit seines Sohnes
Da ist das Gleichnis vom Festmahl des Königs zur Hochzeit seines Sohnes doch näher an der Realität. Er schickt seine Diener, um die eingeladenen Gäste zur Hochzeit rufen zu lassen – sie aber wollten nicht kommen. Er schickt seine Diener noch einmal und lässt sie mit drängenderen worten bitten: „“Kommt zur Hochzeit! – Sie aber kümmerten sich nicht darum.“ Und was tun sie? Die einen verfolgen ihre Alltagsgeschäfte, andere überfallen den Diener und bringen ihn gar um. Statt Hochzeit zu feiern, lässt der König nun die Mörder durch sein Heer umbringen – die Gäste waren der Hochzeit bzw. der Gastfreundschaft nicht würdig.
Und dann kommt der Satz, der jedem postmodern denkenden Menschen das Herz öffnet: „Geht an die Kreuzungen der Straßen und ladet alle, die ihr trefft, zur Hochzeit ein. Die Diener gingen auf die Straßen hinaus und holten alle zusammen, die sie trafen, Böse und Gute, und der Festsaal füllte sich mit Gästen.“ Sie merken, wie nah dieses Geschehen am Festmahl auf dem Zion ist? Die Hülle zwischen den Völkern, den Schichten, den Klassen, den moralisch Guten und den anderen, diese Hülle ist verschlungen, ist nicht mehr gültig. Leben, feiern, trauern, planen, gestalten, hoffen, lieben mit denen, die da sind – im weitesten Sinne könnte man theologisch hier von einer „sozialraumorientierten Pastoral des Königs“ sprechen. Hier hört dann auch die Kurzfassung des Evangeliums an diesem Sonntag auf.
Das fehlende Hochzeitsgewand
Die Langfassung hängt noch vier Verse an. Der König wendet sich den Gästen zu, sieht einen, der ohne Hochzeitsgewand ist und spricht ihn darauf an: „Freund, wie bist Du hier ohne Hochzeitsgewand hereingekommen?“ Und dann heißt es nur: „Der aber blieb stumm.“ Der König befiehlt seinen Dienern, den Mann gebunden in die äußerste Finsternis zu werfen, wo Heulen und Zähneknirschen sein wird. Jesus endet das Gleichnis dann mit „Denn viele sind gerufen, wenige aber auserwählt.“
Weil er kein Hochzeitsgewand hat oder anhat, erfolgt der Ausschluss, erfolgt die Gefangennahme, das Werfen in die äußerste Finsternis. Wie sehr geht das Hochzeitsmahl des Königs hinter das Festmahl auf dem Zion zurück und lässt es hinter sich! Man könnte heulen – was ist aus dem Traum des Exegeten geworden, der wohl auch der Traum Gottes ist?
Hochzeit feiern – mit langem „o“
Wenn ich die Bilder von Lesung und Evangelium ernst zu nehmen versuche, dann möchte ich als Christ, der in einer multikulturellen und multireligiösen, auch religionslosen Stadt lebt, gerne immer wieder „Hochzeiten“ mit langem „o“ feiern und erleben. Hochzeiten, keine Trauungen, Sie verstehen. Das kann im äußerlichen Hochzeitsgewand, im schwarzen und guten Abzug, auch im Messgewand geschehen. Manche brauchen das. Schade! Mir wäre wichtiger, dass die, die dann im wörtlichen wie im übertragenen Sinne an „einem Tisch“ sitzen, innerlich „hochzeitlich“ gewandet sind – dass sie miteinander die verschlungene Hülle feiern, die zwischen ihnen lag, dass sie ein neues Miteinander feiern. Die Erfahrung zeigt, dass dieses innerliche „hochzeitliche“ gewandet sein immer und immer wieder neu ein innerliches „hochzeitliches“ gewandelt sein erforderlich mach, voraussetzt oder nach sich zieht. Das Festmahls des Lebens mit Gott, des Lebens miteinander braucht dieses kleine „l“ – die Bereitschaft, sich wandeln zu lassen, immer und immer wieder, auf die Menschen hin, mit denen ich jetzt an „einem Tisch“ sitze. Und dann das, was in mir ist, in guten Formen der Zuwendung zu zeigen, nach außen zu tragen, eben zugewandt zu sein.
Hätte der König nach dem gefragt, wie der Gast, der Freund „innerlich gewandet“ wäre, hätte er nicht so sehr nach dem „äußerlichen Gewand“ geschaut, hätte er die inneren Wandlungen gespürt, die von seinem Gast ausgingen, der Gast, der Freund wäre sicher nicht stumm geblieben.
Schein und Sein – „Porta patet magis cor“
So bleibt ein Verweis auf Wilhelm Buschs Gedicht „Schein und Sein“ von 1909. Ziel ist das Festmahl. Sich darauf einzulassen heißt, die Hülle zwischen den Völkern und den Tod als verschlungen zu nehmen. Und die Folge davon ist (zumindest bei Wilhelm Busch), nicht auf die Weste, sondern auf das Herz zu sehen. Ein Wort aus der benediktinischen Tradition mag das Gesagte zusammenfassen. Porta patet magis cor – Die Tür ist geöffnet, mehr noch das Herz! So stelle ich mir Jahwes Einladung am Zion vor; so wünsche ich mir den König, der zur Hochzeit seines Sohne einlädt; so wünsche ich mir die Kirche, die irgendwie noch am Leben interessiert ist, und so hoffe ich, Begegnung und Beziehung gestalten zu können – nicht mit Steinhaufen und Trümmerfeldern, sondern mit der Hoffnung, der Vision vom Festmahl.
Amen.
Köln, 11.10.2020
Harald Klein
[1] Kilian, Rudolf (1994): Jesaja II. 13-39, Reihe „Neue Echter Bibel“, Würzburg, 149.