28. Sonntag im Jahreskreis – Spiritualität der Dankbarkeit

  • Anstößig - Darüber lohnt es zu reden
  • –   
  • –   

Umkehr aus Dankbarkeit

Das Evangelium dieses Sonntags ist schnell nacherzählt: Im Grenzgebiet zwischen Samaria und Galiläa – und „Grenze“ steht für Scheidung, für Trennung, für „wir“ und „die anderen“ – kommen zehn Aussätzige zu Jesus und bitten um Erbarmen. Sie mögen sich den Priestern zeigen, sagt Jesus, und auf dem Weg zu denen werden sie geheilt, werden sie heil.

Einer von ihnen – ausgerechnet ein Samariter, einer von „den anderen“ – sieht, dass er geheilt ist, lobt Gott mit lauter Stimme, kehrt um, wirft sich vor Jesus auf sein Angesicht und dankt ihm.

Jesus – ist er verwundert, ist er verärgert? – sagt: „Sind nicht zehn rein geworden? Wo sind die neun? Ist denn keiner umgekehrt, um Gott zu ehren, außer diesem Fremden? Und er sagte zu ihm: „Steh auf und geh! Dein Glaube hat dich gerettet.“

» Lasst uns dem Leben trauen, weil diese Nacht das Licht bringen muss. Lasst uns dem Leben trauen, weil wir es nicht alleine zu leben haben, sondern Gott es mit uns lebt. «
Delp, Alfred (1984): Vigil vor Weihnachten, in: Bleistein, Roman (Hrsg.): Alfred Delp. Gesammelte Schriften, Bd.4: Aus dem Gefängnis, Frankfurt/Main, 195.

Spiritualität begreifen

Dieser eine, der „Andere“, der Fremde, der kehrt aus Dankbarkeit oder um der Dankbarkeit willen um. Der wendet sich von den anderen ab, geht auch mal einen Weg zurück, wenn es nötig ist, und weiß sich richtig.

„Spiritualität“ ist nicht zu verwechseln mit „Religion“, sie ist keine „Lehre“, kein „Gebot“, kein „Glaube, der geglaubt wird“ (fides quae creditur). Sie mag sich auf Glaubensinhalte oder auf Glaubensgebote beziehen – aber diese Inhalte und diese Gebote sind dann so etwas wie ein Motor, der einen spirituellen Menschen ins Laufen, in Bewegung setzt, die Mechanik, nicht der Treibstoff. Und ohne Treibstoff nützt der beste Motor nichts!

„Spiritualität ist auch nicht zu verwechseln mit „Frömmigkeit“, sie besteht nicht aus Riten und festen Gebeten, die du für dich oder mit anderen ausübst oder sprichst/singst, kein „Glaube wie er geglaubt wird“ (fides qua creditur). Spiritualität mag sich auf den Vollzug von Riten, Gebete, Lieder beziehen, die dann auch in der Lage ist, Glaubensgemeinschaften zu bilden – aber sie ist so maximal Ausdruck einer „Spiritualität“ (und das wäre schon viel), nicht aber „Spiritualität“ selbst!

„Spiritualität“ ist vielmehr die Haltung, der Standpunkt, die tiefe Überzeugung und gewachsene/wachsende Erkenntniseines Menschen, etwas, was eine Deutungshoheit über dich selbst, die anderen und das andere hat. Diese Deutungshoheit bezieht sich auch auf das Geschehen und Erleben des Alltags. Du kannst über diese Haltung Auskunft geben, wenn du gefragt wirst, und du findest daraus Antworten, wenn das Leben an dich seine Fragen stellt. Das Schönste: aus dieser Haltung leben lässt dich wachsen im Menschsein, zumindest dann, wenn es um ein Hören auf einen guten Geist und nicht auf den eigenen Vogel geht. Und Spiritualität kann sich orientieren an anderen, z.B. an Jesus Christus, dann wäre es eine christliche Spiritualität; aber ebenso an politischen Ideen, die z.B. eine Spiritualität, einen Geist des Sozialismus, der Umweltbewegungen u.v.m. erwachsen lässt.

Der dankbare Samariter lebt eine Spiritualität der Dankbarkeit, zu der ich einige Mosaiksteine sammeln möchte.

» Das eine ist mir so klar und spürbar wie selten: Die Welt ist Gottes so voll.
Aus allen Poren der Dinge quillt er gleichsam uns entgegen.
Wir aber sind oft blind.
Wir bleiben in den schönen und bösen Stunden hängen
und erleben sie nicht durch
bis an den Brunnenpunkt,
an dem sie aus Gott herausströmen.
Das gilt für alles Schöne
und auch für das Elend.
In allem will Gott Begegnung feiern
und fragt und will die
anbetende, hingebende Antwort.
Die Kunst und der Auftrag ist nur dieser, aus diesen Einsichten und Gnaden
dauerndes Bewusstsein und dauernde Haltung zu machen und werden zu lassen.
Dann wird das Leben frei in der Freiheit,
die wir immer gesucht haben. «
P. Alfred Delp SJ, am 17. November 1944 auf einen Kassiber von Alfred Delp mit gefesselten Händen geschrieben aus seiner Zelle im Gefängnis Berlin-Tegel)

Spiritualität der Dankbarkeit (als gen. obj.)

In dieser Hinsicht – Spiritualität der Dankbarkeit, und diese verstanden als Objekt – ist Dankbarkeit der Brunnen, der Ort, aus dem das Handeln eines Menschen sich speist. Der „Brunnenpunkt“, um einen Ausdruck von P. Alfred Delp SJ (1907-1945) zu nutzen, führt in eine Haltung, eine Sicht des Lebens als Geschenk. Dieses Geschenk zeichnet alle Menschen aus und hat so die Kraft, eine Verbundenheit zu allen anderen Menschen zu begründen, aber auch zur Schöpfung und sogar zu allem Transzendenten.

Du merkst: das kann keine verbindliche Lehre sein, sondern nur ein inneres Zustimmen, das du aber auf andere hin kommunizieren kannst, dass dir in Auseinandersetzungen mit der Welt eine Richtung zeigt und das dich wachsen lässt im Menschsein, im Humanum.

Du kannst diese Spiritualität einüben, etwa im Führen eines Dankbarkeitstagebuches[1], in Übungen der Meditation und des Tagesrückblicks[2], das gewollte Refraiming bzw. den Perspektivenwechsel, der auch bei herausfordernden Situationen in der Lage ist zu sehen, was (auch) da ist, und sicher jede Form des achtsamen Lebens. Aber Achtung: die Richtung ist entscheidend! Nicht weil du all das machst, einübst oder durchziehst, bist du ein spiritueller Mensch – es geht um die Haltung, für die du dich entschieden hast, und aus der heraus geschieht dieses Einüben, dieses Wachhalten, dieses Wiederfinden! Das Üben zielt nicht auf ein „Besserwerden“, sondern auf ein gegenwärtig Setzen und Wachhalten.

Wenn der dankbare Samariter nach einer adäquaten Haltung zu dem, was ihm geschehen ist, fragt, stößt er auf eine „objektive“ Haltung der Dankbarkeit. Von ihr angestoßen, kehrt er um und dankt.

» Man muss die Segel in den unendlichen Wind stellen, dann erst werden wir spüren, welcher Fahrt wir fähig sind. «
Delp, Alfred (1984): Das Gesetz der Freiheit. Epiphanias 1945, in: Bleistein, Roman (Hrsg.): Alfred Delp. Gesammelte Schriften, Bd.4: Aus dem Gefängnis, Frankfurt/Main, 218.

Spiritualität der Dankbarkeit (als gen. subj.)

In dieser Hinsicht – Spiritualität der Dankbarkeit, und diese verstanden als Subjekt, verstanden als dich selbst in Dankbarkeit – wendest du ganz bewusst diese Spiritualität, diese Haltung auf dein Leben an, handelst aus ihr heraus und deutest die Menschen und die Dinge, die dir begegnen. Es wird Haltungen, Meinungen, Positionen geben, die sind für dich als Mensch der Dankbarkeit nicht mehr verhandelbar.

Ich erzähle zwei Beispiele von mir. Ein erstes: Ich habe kein Wort in den letzten Jahren gefunden, das diese Spiritualität der Dankbarkeit, verstanden als Subjekt, so gut beschreibt wie das Gebet von Romano Guardini, dass ich in den letzten „auf-links-gedreht“-Texten einige Male zitiert habe: „Immerfort empfange / ich mich aus deiner Hand. / Das ist meine Wahrheit / und meine Freude. // Immerfort blickt mich / voll Liebe / dein Auge an, / und ich lebe / aus deinem Blick, / du mein Schöpfer / und mein Heil. // Lehre mich, / in der Stille /deiner Gegenwart / das Geheimnis zu verstehen, / dass ich bin. // Und dass ich / durch dich / und vor dir /und für dich bin.“ Die Spiritualität der Dankbarkeit drückt sich aus in den offenen Händen und dem Staunen darüber, was in sie hineingelegt wird.

Ein zweites: In den letzten Wochen begleitet mich das Bild vom Menschen, von mir als „Verwalter“ all der Gaben, die mir von Gott in die Hände gelegt werden.[3] Nichts, aber auch wirklich nichts gibt es, das mir nicht „gegeben“ wurde. Die allermeisten Menschen, die ich in den vergangenen Jahren kennen gelernt habe, kenne ich kaum länger als zehn Jahre – und sie sind mir Heimat geworden. In der Literatur, in der Philosophie werde ich so vieles gestoßen, was für andere vielleicht schon uralt ist, mir aber neu – und Wege eröffnend.

Anstatt es festzuhalten (oder sie festzuhalten), ist das Leben aus einer Spiritualität der Dankbar eine Haltung, die dankbar empfängt und frei gehen lassen kann. Ich deute mein Leben als „mir geschenkt“, um diese Gabe gut zu verwalten, mit ihr hauszuhalten; ich kann Auskunft geben, warum ich lebe, wie ich lebe, ich kann vieles und viele „lassen“ und ich habe das Gefühl, auf diese Weise mehr und mehr in ein Humanum, ein Menschsein hineinzuwachsen. Wie magst du das sehen?

Ich meine, ich müsste Jesus an einer Stelle korrigieren. Er sagt zu dem dankbaren Samariter: „Steh auf und geh! Dein Glaube hat dich gerettet!“ – Ich meine, es wäre eher seine Spiritualität gewesen, aber ich kann Jesus seine Meinung auch lassen J

So viel für heute und für diese Woche.

Köln, 02.10.2025
Harald Klein

[1] Nach wie vor ist hier das Sechs-Minuten-Tagebuch von Dominik Spenst für mich die unhinterfragbare Nummer Eins, vgl. [online] https://6minutenverlag.de/ [02102025]

[2] Das Gebet der liebenden Aufmerksamkeit von Katharina Schridde scheint mir ein besonders gelungenes Beispiel dieses Tagesrückblicks, vgl.

[3] Ich komme nicht umhin, noch einmal auf die tagesaktuellen Gedanken und Idee der Menschen von www.bibelfinanz.de zu verweisen.