29. Sonntag im Jahreskreis: Vom Zusammenhang zwischen Größe und Dienen

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„Ich bin so frei“

Ein erster Zugang: Ich kann nicht anders, aber ich verliebe mich immer wieder in die deutsche Sprache, ihre Vieldeutigkeit und ihre Möglichkeit, Assoziationen hervorzulocken. Das geht bis ins Lesen der Bibelübersetzung. Wenn Jesus den vollmundig fragenden Aposteln Jakobus und Johannes auf deren Bitte „Lass in Deiner Herrlichkeit einen von uns  rechts und einen links neben Dir sitzen!“ antwortet, sie mögen auf ihre Macht und was sie damit tun achten, und dann anschließt: „Wer bei Euch groß sein will, der soll Euer Diener sein, und wer bei Euch der Erste sein will, soll der Sklave aller sein“ (Mk 10,43f), kommen mir als Erstes alte – meist österreichische – Heimatfilme in den Sinn, wo irgendwann sicher einmal die Redewendung fällt: „Ich bin so frei!“ „Ich bin so frei, zu fragen, ob ich vielleicht links und der andere vielleicht rechts …“, könnte hier bei den beiden Jüngern passen; „Ich bin so frei, mir offenzuhalten, wer…“, könnte auf Jesus passen, und „Ich bin so frei, Euch zu sagen, wie…“ könnte Jesu zweite Antwort sein.

Das Verrückte dabei ist, dass der Freiheitsbegriff bei den beiden Jüngern umgekehrt wird. Als Synonyme und Assoziationen für „Ich bin so frei“ nennt der Open Thesaurus[1] etwa „Wenn Sie erlauben …“, „Sie werden entschuldigen, aber …“, „Sie werden gestatten, dass …“, „Wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf …“ oder „Ich will ja nichts sagen, aber …“ bzw. „‘Tschuldigung, aber …“.

Die sprachliche Wendung „Ich bin so frei“ anerkennt erst einmal, dass ich es gerade nicht bin, mir diese Freiheit aber trotzdem herausnehme.[2] Die Sprache verrät die Haltung der Sprechenden!

» ‘Will ich so leben, wie ich lebe?‘ – Ich möchte drei Dimensionen der Selbstfindung unterscheiden: (1) Wie ich mich vorfinde (2) Wie ich mich finde (3) Wie ich mich erfinde. «
Schulz von Thun, Friedemann (2021) Erfülltes Leben. Ein kleine Modell für eine große Idee, München, 177.

„Wer der Erste sein will, soll der Sklave aller sein“ (Mk 10,44)

Ein zweiter Zugang: Ich sehe Jesus vor mir, wie er den wegen der Bitte des Jakobus und des Johannes ärgerlichen Jüngern sagt: „Ihr wisst, dass die, die als Herrscher gelten, ihre Völker unterdrücken und ihre Großen ihre Macht gegen sie gebrauchen. Bei Euch aber soll es nicht so sein, sondern wer bei Euch groß sein will, der soll Euer Diener sein, und wer bei Euch der Erste sein will, soll der Sklave aller sein“ (Mk 10,42-44).

Hörst Du die Motivation und das Ziel, um das es geht: „Wer bei Euch groß sein will, der soll Euer Diener sein, und wer bei Euch der Erste sein will, soll der Sklave aller sein.“ Hier wird er deutlich, der Zusammenhang zwischen vermeintlicher Größe und gefordertem Dienst.

Einem anderen einen Dienst tun, weil ich selbst groß sein möchte – das schadet nicht dem anderen, aber Dir selbst nutzt es nichts. Diese Haltung entspricht dem Motto „In der Demut oder im Dien-Mut macht mir keiner was vor!“ Die Beziehung zwischen dem, dem Du so dienst, und Dir entspricht dem „Ich bin so frei!“ und will letztlich Dich selbst groß machen. Das Dienen in dieser Weise ist nichts anderes als eine Zur-Schau-Stellung der eigenen Größe, ein Sich-Darstellen als Herrscher und ein Machtmissbrauch gegenüber denen, die Jesus zu den „Völkern“ zählt. Es hat etwas von Charity-Shows und Vorzeige-Dienen. Mit den Worten Jesu könntest Du auch sagen, dass, wenn sich jemand zum Sklaven aller macht, schon Vorsicht geboten ist!

» Das Hiesige recht in die Hand nehmen, herzlich, liebevoll, erstaunend, als unser, vorläufig. Einziges: das ist zugleich, es gewöhnlich zu sagen, die große Gebrauchsanweisung Gottes, die meinte der heilige Franz von Assisi aufzuschreiben in seinem Lied an die Sonne, die ihm im Sterben herrlicher war als das Kreuz, das ja nur dazu dastand, in die Sonne zu weisen. «
Sieber, Carl (Hrsg.)(1996): Rainer Maria Rilke. Über Gott. Zwei Briefe, Frankfurt am Main und Leipzig, 30. (Die heute gültige Rechtschreibung wurde angepasst.)

„ Magst Du uns dienen? – Ich bin so frei!“

Ganz anders ist es, wenn in Dir die Haltung des Dienenden (das Wort „Sklave“ ist mir hier zuviel!) lebendig ist. Lass mich erklären, was ich damit meine.

Du kennst Deine Macht, vielleicht besser: Du weißt, ahnst, probierst aus, was Du vermagst  (da steckt alle Art von „Vermögen“ drin!) – und zwar auf diejenigen hin, die Dich um einen Dienst bitten, oder auf dasjenige hin, dem Du dienen willst. Es geht um eine autonome Haltung Deiner selbst. Nicht, weil Du diesen oder jenen Platz „ver-Dienen“ willst, nicht weil es Dir um Verdienst oder Ver-Dienste geht, nicht weil „die Kirche“ sagt, wir müssten einander dienen und einander „die Füße waschen“ und dann das Dienen in Postwurfsendungen und Pfarrbriefen institutionalisiert[3] – sondern weil Du es willst, weil es Dir entspricht, weil es Dein Dienst an den andern und gerade so Dein Dienst an Dir ist!

Das geht manchmal direkt, durch Anfrage an Dich von denen, die um Dich herum leben. Aber weil die Haltung des Dienens ohne Machtmissbrauch bzw. mit Blick auf die eigene Größe eher nur selten erlebbar und angefragt ist, kann das Dienen auch durch Deine eigene Initiative und im Zugehen auf andere und anderes, als An-Gebot und nicht als Gebot gelingen.

Ich nehme als ein Beispiel das Zusammenleben der verschiedenen Generationen und Kulturen. Anstatt ausschließlich bei Dir und Deinen Bedürfnissen, in Deiner Kuschelzone zu bleiben – übrigens auch ein Beispiel von Machtmissbrauch, eben durch Unterlassung eines möglichen Machtgebrauchs – Kannst Du schauen und hinausgehen. „Sklave aller sein“ heißt das bei Jesus. Es geht um das Wahrnehmen, was ist, so umfassend und tief wie möglich. Du bist so frei, auswählen zu dürfen, weil „alles“ zu viel ist. Sei klar in dem, was Du anschaust, und mutig dem gegenüber, wohin oder zu wem Du Dich wendest. Wilhelm Schmid, Philosoph der Lebenskunst schreibt: „Eine Voraussetzung für die Wahrnehmung von Autonomie ist Informiertheit.“[4] und „Aus der Weigerung, sich auf die Bedingungen einer Wirklichkeit einzulassen, folgt der Verlust jeglichen Könnens, mit der wirklichen Welt zurechtzukommen“[5]

Angesichts der Klimakrise, der Angst vor einem übergreifenden Krieg, der Einsamkeit vieler Menschen und der Unsicherheit des Bleibens im Lande – um nur einige Beispiele zu nennen – gelingt das „Dienen“ und das „Sklave aller sein“ durch Informiertheit, auf das Sich-Einlassen auf die Bedingungen der Wirklichkeit, durch Wage-Mut und durch eine innere Freiheit, Dich anzubieten und mitzugestalten, wenn es gewünscht ist. Dienen darf Freude machen, denen, denen Du dienst, aber auch Dir selbst. Dienen hat die Größe des Anderen im Blick, und das Verrückte ist: Wenn Du das in aller Freiheit anerkennst und danach handelst, wächst Du mit!

Bist Du so frei? Du bist so frei!

Amen.

Köln, 18.10.2024
Harald Klein

[1] vgl. [online] https://www.openthesaurus.de/synonyme/ich+bin+so+frei#:~:text=·%20wenn%20ich%20(so)%20ehrlich,·%20mit%20Verlaub%20(geh.)[18.10.2024]

[2] Anzuerkennen ist, dass diese Wendung, wenn sie eine Antwort auf ein Angebot darstellt, eine Freiheit formuliert, die der Anbietende schon anerkannt hat, z.B.: „Möchten Sie noch eine Tasse Kaffee?“ – „Ich bin so frei.“ Oben geht es um das erste Wort: „Ich bin so frei und …“, dass das Gegenüber eher klein hält, als dass es groß von ihm denkt, und das keine Antwort, sondern eine Selbsterlaubnis darstellt.

[3] Unangefochten „dienen“ Kirchen und caritative Einrichtungen, die Frage ist, wie „institutionalisiert oder wie z.B. vom Staat beauftragt sie sich diesen Dienste entlohnen lassen – es mag keiner vielleicht links rechts neben Jesus in dessen Herrlichkeit sitzen wollen, aber oft genug wird „Dienen“ zur Ware, die entlohnt werden will.

[4] Schmid, Wilhelm (2017): Das Leben verstehen. Von den Erfahrungen eines philosophischen Seelsorgers, Berlin, 151

[5] a.a.O., 192.