3. Sonntag der Osterzeit: Erich Fried – Eine Art Liebesgedicht

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Der Grundton: Zitat aus dem Tagesevangelium

Da sagte der Jünger, den Jesus liebte, zu Petrus:
Es ist der Herr!
Als Simon Petrus hörte, dass es der Herr sei,
gürtete er sich das Obergewand um, weil er nackt war,
und sprang in den See. […]
Keiner von den Jüngern wagte ihn zu befragen: Wer bist du?
Denn sie wussten alle, dass es der Herr war.

Joh 21,7.12b

Die Terz: Ein lyrischer Konnex

Erich Fried: Eine Art Liebesgedicht

Wer sehnt sich nach dir
wenn ich mich nach dir sehne?

Wer streichelt dich
wenn meine Hand nach dir sucht?

Bin das ich oder sind das
die Reste meiner Jugend?

Bin das ich oder sind das
die Anfänge meines Alters?

Ist das mein Lebensmut
oder meine Angst vor dem Tod?

Und warum sollte
meine Sehnsucht dir etwas bedeuten?

Und was gibt dir meine Erfahrung
die mich nur traurig gemacht hat?

Und was geben dir meine Gedichte
in denen ich nur sage

wie schwer es geworden ist
zu geben oder zu sein?

Und doch scheint im Garten
im Wind vor dem Regen die Sonne

und es duftet das sterbende Gras
und der Liguster

und ich sehe dich an und
meine Hand tastet nach dir

Aus: Fried, Erich (1994): Gesammelte Werke. Gedichte Bd.3,
hrsg. von Volker Kaukureit und Klaus Wagenbach, Berlin, 12.

Die Quint: Was ins Klingen kommt

nur wer sich geliebt weiß
nennt die die er liebt beim namen

alle anderen
unsicher vielleicht
oder ungeliebt sich fühlend
scheuen sich

niemand sonst traut sich
traut dem anderen
weil der vertraute
weil die vertrautheit starb

die zärtlichkeit der poesie im gedicht
finde ich nicht
in der schilderung der prosa des evangeliums

mein sehnen greift ins leere
meine hand tastet
und findet
woanders

Köln, 20.04.2023
Harald Klein