3. Sonntag im Jahreskreis – Resonanz in Nazareth?

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Das Vorangestellte im Lukasevangelium

Ein kleiner Vorspann: Es geht um einen Neuanfang. Am heutigen Sonntag im Lukas-Lesejahr kommt das Lukas-Evangelium erstmalig zu Wort. Die ersten vier Verse werden in der Bibelforschung, der Exegese, „Proömium“ genannt. Lukas schildert einem Jünger namens Theophilus, warum er für ihn frisch ans Werk gegangen ist und noch einmal auf eigene Weise nacherzählt, hat, was es mit diesem Jesus von Nazareth auf sich hat. Das Evangelium ist als Sammlung von alten Quellen und mit einem sog. „Sondergut“ wohl zwischen 70-90 n.Chr. geschrieben, as Markus- und das Matthäusevangelium waren da schon verfasst. Lukas will seine frohe Botschaft, sein Evangelium in einer Reihenfolge aufschreiben, die Theophilus von der Zuverlässigkeit der Lehre zu überzeugen vermag, in der er unterwiesen wurde. Da „Theophilus“ mit „Freund Gottes“ übersetzt werden kann, dürfen sich durch dieses Proömium alle angesprochen fühlen, die auf der Suche nach dieser Freundschaft mit Gott sind oder sogar in bzw. aus ihr leben.

» Heute ist ein heiliger Tag zur Ehre unseres Herrn. Macht euch keine Sorgen, denn die Freude am Herrn ist eure Stärke. «
Neh 8,10

„Die Freude am Herrn ist eure Stärke“

Es geht um einen Neuanfang, um etwas, was seine Vorgeschichte hat und jetzt entweder „linear“ fortgesetzt oder „zyklisch“ neu begonnen werden kann. Mich rührt, dass als vorbereitende Lesung zum Evangelium die atl. Rede des Nehemia aus dem Buch Nehemia (an-) geboten wird. Das Volk Israel ist aus dem Exil zurückgekehrt, in Jerusalem hat man einen neuen Tempel gebaut, der jetzt eingeweiht wird. Die Menschen sind gerührt, weinen, als sie die Worte des Herrn hören. Nehemia fordert sie auf: „Nun geht und haltet ein festliches Mahl und trinkt süßen Wein. Schickt auch denen etwas, die selbst nichts haben, denn heute ist ein heiliger Tag zu Ehren unseres Herrn. Macht Euch keine Sorgen, denn die Freude am Herrn ist Eure Stärke“ (Neh 8,10).

Egal, ob es um den Tempel im alten Jerusalem, um eine zerstörte Freundschaft oder Partnerschaft, um einen verlorenen und wiedergefundenen Sinn geht: Sie können sich die Freude der Menschen vor Augen führen, vielleicht nachempfinden, und Sie können erahnen, dass es für den glaubenden Menschen etwas mit der „Freude am Herrn“ zu tun haben könnte.

» Das Leben aber gelingt [...] nicht per se dann, wenn wir reich an Optionen und Ressourcen sind, sondern, so banal, ja tautologisch dies zunächst klingen mag: wenn wir es lieben. Wenn wir eine geradezu libidinöse Bindung an es haben. Es, das sind dabei die Menschen, die Räume, die Aufgaben, die Ideen, die Dinge und Werkzeuge, die uns begegnen und mit denen wir es zu tun haben. «
Rosa, Hartmut (2016): Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung, 2. Aufl., Berlin, 24.

Jesus in der Synagoge von Nazareth: Ankunft und Predigt

Diese Szene im Hinterkopf kann das Evangelium des Sonntags illustrieren, ins rechte Licht rücken. Jesus, mittlerweile lehrend und als prominent gepriesen in der ganzen Gegend, kommt in die Synagoge seines Heimatortes, Nazareth. Man reicht ihm die Schriftrolle, er liest aus dem Propheten Jesaja die Stelle, die von der Sendung eines Messias, auf dem der Geist Gottes ruht, berichtet. Dann schließt die Buchrolle und gibt sie dem Synagogendiener zurück. Jetzt sind die Augen aller auf ihn gerichtet. Und Jesus beginnt darzulegen: „Heute hat sich das Schriftwort, das ihr gehört habt, erfüllt.

Am kommenden Sonntag werden wir die Reaktion der Männer in der Synagoge hören, ich will sie nicht vorwegnehmen.

» Ob Leben gelingt oder misslingt, hängt davon ab,
auf welche Weise Welt (passiv) erfahren
und (aktiv) angeeignet oder anverwandelt wird
oder werden kann. «
Rosa, Hartmut (2016): Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung, 2. Aufl., Berlin, 53.

Ein Zugang über den Begriff der “Resonanz“

Beide Geschichten, die der Lesung und die des Evangeliums, illustrieren den Begriff der „Resonanz“, den der Jenaer Soziologe Hartmut Rosa als Lösung des Problems der Beschleunigung anbietet.[1] Sie können, wenn Sie möchten, den Resonanz-Begriff in die Geschichten hinein- und aus den Geschichten herauslesen. Hartmut Rosa vergleicht „Resonanz“ mit einem vibrierenden Draht, der verbindend steht [2]zwischen Ihnen und anderen Menschen, Räumen, Aufgabe, Ideen, Dingen und Werkzeuge, die Ihnen begegnen und mit denen Sie es zu tun haben. Entscheidend – auch für ein weltzugewandtes Verstehen von Religion und Spiritualität – ist, dass „Resonanz“ keine Emotion ist oder beim Berührtwerden stehenbleibt, sondern eine Weltbeziehung, ein Weltverhältnis[3] beschreibt, das eine Antwort und das Selbstwirksamkeit voraussetzt und einfordert. Resonanz meint Berührtwerden und Antworten, und dieses Antwortgeschehen kann als „Zugehen auf“ oder als „Abwenden von“ Gestalt annehmen.

» Es geht um den Grad an Verbundenheit mit
und die Offenheit gegenüber
anderen Menschen (und Dingen). «
vgl. Rosa, Hartmut (2016): Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung, 2. Aufl., Berlin, 53f.

Resonanz auf das Auftreten Jesu in Nazareth

Mit diesem angedeuteten Referenzrahmen des Resonanz-Begriffs lesen Sie noch einmal das Evangelium. Der Sohn des Handwerkers Josef, Jesus mit Namen, kommt in die Synagoge. Ihm geht ein gewisser Ruf voraus. „Als er aufstand, um vorzulesen, reichte man ihm die Buchrolle des Propheten Jesaja“ – die andern sitzen, Jesus steht auf. Eine noch unbestimmte Resonanz scheint spürbar, ein Draht, der zum Vibrieren kommen wird, ohne dass man schon weiß, wie er klingen mag.

Nach dem Vorlesen des Propheten gibt Jesus die Rolle zurück an den Synagogendiener und setzt sich, geht dadurch wieder auf Augenhöhe mit den Besuchern der Synagoge; „die Augen aller in der Synagoge waren auf ihn gerichtet“, heißt es – der Draht vibriert, und alle sind in Erwartung der deutenden Worte Jesu.

„Da begann er, ihnen darzulegen: Heute hat sich das Schriftwort, das ihr eben gehört hat, erfüllt.“ Und jetzt ist Resonanz gefragt, Antwort, Weltbeziehung und/oder Weltaneignung, Selbstwirksamkeit: Wie geht es mir mit diesem Jesus, mit seinem Auftreten, seiner Botschaft? Wo trifft mich seine Gegenwart, wie trifft sie mich? Welches Antwortgeschehen löst sie in mir aus – und will ich dem einfach nachgehen, oder wie will ich mich demgegenüber (der Person wie dem Inhalt der Botschaft gegenüber) verhalten?

Für den heutigen Sonntag, für die kommende Woche mag es genügen, sich den Fragen der Männer in der Synagoge von Nazareth anzuschließen. Im Jahreskreis wieder anzufangen, nicht „linear“, sondern „zyklisch“: Was lösen diese Fragen heute, jetzt bei Ihnen, bei mir aus? Wo bahnt sich Resonanz an, und wie soll und kann sie von mir gestaltet werden?

Und wie gesagt: die Antwort des Evangelisten Lukas an Theophilus – und damit für alle Freundinnen und Freunde Gottes –, welche Resonanz der Auftritt Jesu in der Synagoge von Nazareth hat und wie die Männer von Nazareth antworten, liefert das Evangelium des kommenden Sonntags.

Bis dahin Ihnen eine gute Neugier auf und ein gutes Erleben von Resonanz,

Amen.

Köln 21.01.2022
Harald Klein

[1] Vgl. Rosa, Hartmut (2016): Resonanz, eine Soziologie der Weltbeziehung, Berlin, hier: S. 13.

[2] Vgl. a.a.O., 24f.

[3] Vgl. a.a.O.28.