30. Sonntag im Jahreskreis – „Welches Schweinderl hätten‘s denn gern?“

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“Was bin ich?” oder: “Wer bin ich?“

Es werden eher Theologen und Theologinnen oder auch Seminaristen sein, die mit der Frage „Wer bin ich?“ das Gedicht Dietrich Bonhoeffers assoziieren, das er 1944 im Gefängnis in Berlin geschrieben hat und in dem er seine innere Zerrissenheit niederschreibt. Es ist absolut lesenswert, deswegen lege ich es hier zum Download an.

Bundesdeutsche Normalbürger*innen meines Alters oder älter assoziieren mit der ähnlichen Frage „Was bin ich?“ sicher eher Robert Lembke und sein „Heiteres Beruferaten“, das von 1955 bis 1989 immer am Dienstagabend in der ARD ausgestrahlt wurde – wer es nicht kennt, möge sich diese unschuldige Form mediale Abendunterhaltung mal hier kurz anschauen (mindestens bis zur Frage nach dem „Schweinderl“).

Und bei den Menschen aus der Sozialen Arbeit oder aus anderen Helfenden Berufen klingt mit der Frage „Wer/Was bin ich?“ sofort die Frage nach Identität, Authentizität und Profilizität an.

Aber jetzt der Reihe nach: Das Bonhoeffer-Gedicht empfehle ich am Ende zu lesen, zu beten. Den Boden dazu kann uns der „Quiz-Master“ Robert Lemke bereiten. Zu Beginn der Sendung werden die Kandidat*innen namentlich dem „Kollegium“ vorgestellt, den vier Menschen also, die den Beruf der Kandidat*innen erraten müssen. Sie haben dafür zehn Fragen „Zeit“, und wenn eine Frage mit „Nein“ beantwortet wird, kommen 5 DM – ja, wirklich, volle 5 DM – ins „Schweinderl“. Vor der Fragerunde stellt Robert Lemke die berühmte Frage Robert Lembkes an die Kandidat*innen: „Welches Schweinderl hätten’s denn gerne?“ Und die Wahl kann das blaue, das gelbe, das orange, das rote Sparschwein treffen.

» Es ist nicht irgend etwas, das Jesus an der Frömmigkeitshaltung der Gesetzeslehrer auszusetzen hat, es ist ihre gesamte Einstellung: alles muss sich in seinen Augen ändern, um mit sich selbst und mit Gott ins Reine zu kommen, - eine totale ‚Umkehr‘ der tradierten und institutionellen Vorstellungen von der Lage des Menschen vor Gott. «
Drewermann, Eugen (2009): Das Lukasevangelium Bd.2: Bilder erinnerter Zukunft, Düsseldorf, 406.

Pharisäer und Zöllner im Tempel

Jetzt aber zur Predigt! Sie kennen das Evangelium des heutigen Tages? Zwei Männer, zeitgleich im Tempel, um dort zu beten. Der eine, Würdenträger, Gelehrter, Pharisäer dankt Gott für all das, was er hat vollbringen können, und rühmt sich selbst darin gleich mit, hat er es doch vollbracht! Er steht groß da vor seinem Gott, zu Recht, wie er meint und nach der Gesetzesreligion Israels auch meinen darf. Der andere, Zöllner und damit schon im frommen Israel von Berufswegen „draußen vor“, bleibt hinten stehen, weiß nichts oder will nichts vorweisen, trumpft mit nichts auf vor Gott und bittet nur um Gottes Gnade.

Stellen Sie sich vor, der Tempel wäre in Ihrem Herzen, wäre in Ihrer Seele, und Sie würden von diesem „Ort“ aus beten – wären Sie eher „Pharisäer“, oder wären Sie eher „Zöllner“? Was wären Sie lieber? Was sind Sie mehr? Wohin zieht Sie Ihre Sehnsucht?

Wenn Jesus denen, die von ihrer eigenen Gerechtigkeit überzeugt sind, dann über den Zöllner sagt: „Ich sage euch: dieser ging gerechtfertigt nach Hause zurück, der andere nicht. Denn wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, wer sich aber selbst erniedrigt, wird erhöht werden“, dann werden seine Zuhörer alles andere als „amused“ gewesen sein. Im Gegenteil: Das war sicher einer der Gründe, warum es zum Kampf auf Leben und Tod zwischen Jesus und den Gesetzestreuen kam.

Pharisäer und Zöllner: Man kann wortwörtlich Robert Lembke hören: „Was bin ich?“ oder Bonhoeffer: „Wer bin ich?“ Und, zugegeben ein bisschen deutungsbedürftig: „Welches Schweinderl hätten’s denn gerne?“ i.S.v. „Welches Schweinderl in Ihnen soll ich denn füttern und nähren?“ Pharisäer und Zöllner: Welches Schweinderl in Ihnen wollen Sie nähren – und umgekehrt: welches Schweinderl nährt eigentlich Sie?

» Anstatt ein inneres Selbst zu finden oder zu schaffen,
geht es bei der Konstruktion von Identität nun hauptsächlich darum,
unterschiedliche Profile von sich
zu erzeugen und zu pflegen, sie zu kuratieren. «
Interview von Merlin Wassermann mit Hans Georg Möller, in: Hohe Luft 6/2022, 69.

Identität: An-Spruch und Ent-Sprechung

„Wer bin ich?“: Bonhoeffers Gedicht kann man mit dem Vokabular von heute beschreiben als Darstellung mehrerer Identitäten in der einen Person. Hans Georg Möller, Professor an der Universität von Macau, beschäftigt sich mit Theorien über Identität. Er geht von einem Übergang des Begriffes von Identität aus. Möller beschreibt, dass „das ‚Zeitalter der Authentizität‘ […] zu Ende geht. Authentizität ist das, was wir eine Technologie der Identität nennen, also ein Modus, in dem Identität von Menschen konzeptualisiert und auch gelebt wird. Vor der Authentizität war die dominante Technologie die ‚Aufrichtigkeit‘, nach ihr, so die These, kommt nun die ‚Profilizität‘. Wir befinden uns also im Übergang von einer Identitätstechnologie zu einer anderen.“[1]

Mir ist diese These Möllers so wichtig, weil sie mehr sagt als das Bild von den „zwei Seelen in meiner Brust“ und als alle anderen dualistischen Sichtweisen, dass es z.B. hell und dunkel, gut und böse, angepasst und wild, beherrscht und triebgetrieben, Mann und Frau, Pharisäer oder Zöllner in mir gibt. Auch die Frage nach den verschiedenen gesellschaftlichen Rollen, die ich einnehmen muss, wird hier relativiert. Und schließlich wird das Bild vom „Inneren Team“, das ich sehr schätze, und vom Austausch des Inneren Teams in mir überstiegen. Möllers These sagt, dass der Anspruch, der von außen an mich geht, es erforderlich macht, Profile in mir zu konstruieren, die den An-Sprüchen an mich eine Ent-Sprechung entgegensetzen. Noch einmal Möller: „Anstatt ein inneres Selbst zu finden oder zu schaffen, geht es bei der Konstruktion von Identität nun hauptsächlich darum, unterschiedliche Profile von sich zu erzeugen und zu pflegen, sie zu kuratieren.“[2]

» Du sollst auch überhaupt nicht weiterkommen. Bleib, wo du bist, wo immer das sein mag, und gehe in die Tiefe. Es geht nie voran, sondern immer nur hinein. Dort liegt das, was du suchst, die nächste Stufe. [...] Erlebe die Kraft der Ein-Sicht. Aus-Sichten dagegen ..., nun, die werden dich nur aufregen! «
Brahm, Ajahn (2018): Wie hilft der Bär beim Glücklichsein? Fragen und Antworten für den buddhistischen Weg zu einem achtsamen und erfüllten Leben, München, 71.

Identität: Profile erzeugen, pflegen, kuratieren

Bleiben wir zum Ende hin beim Evangelium, das zwei Männer – als Theologe sehe ich mich fast gezwungen zu sagen, die Frauen seinen natürlich mitgemeint – zum Gebet in den Tempel gehen und dann auf ganz verschiedene Weise beten.

Pars pro toto können Sie sich einmal Ihre Identität als Betende*r anschauen. Wie haben Sie welches „Profil“ erzeugt? Was kam/kommt an „Erwartung“ von außen, was als „Sehnsucht“? Wie sieht Ihr „Profil“ aus? Wie pflegen Sie dieses Profil? Stagniert es oder hat es Luft oder sogar Lust nach Entwicklung, nach Dynamik? Und wie kuratieren Sie es, wie ist es in – egal wie klein oder groß – einer Öffentlichkeit bekannt? Können Sie es als lebensfördern für sich ins Wort bringen?

Wenn Sie möchten, gehen Sie von der Identität das Betende*r weiter, und fragen sich nach der Erzeugung, der Pflege, dem Kuratieren Ihrer Profile. Schnell werden Sie merken: Identität ist nicht die Summe der Profile, sondern die Weise der Füllung, die in diesen Profilen sich zeigt. Bonhoeffer verwendet dafür einen schönen Satz: „Sie sagen mir oft, ich träte aus meiner Zelle, gelassen und heiter und fest, wie ein Gutsherr aus seinem Schloss.“ Identität heißt nicht, sich in seiner Zelle verschließen, sondern sich herauswagen und das, was in mir ist, vielleicht neu formen zu lassen.

Amen.

Köln 21.10.2022
Harald Klein

[1] Vgl. das Interview von Merlin Wassermann mit Hans Georg Möller „Die Gesellschaft ist heutzutage viel dynamischer und komplexer. Somit auch die Anforderungen an Identität“, in: Hohe Luft 6/2022, 67-71, hier: 68.

[2] A.a.O., 69.