32. Sonntag im Jahreskreis – Draußen vor der Tür

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Wer die Wahl hat…

Versuchen Sie mal, einen roten Faden in den drei Lesungen zu finden, die für den heutigen Sonntag vorgegeben sind. Da ist in der ersten Lesung aus dem Buch der Weisheit die Zusage an die Menschen jüdischen Glaubens, die nach der Vertreibung bzw. nach ihrer Flucht nach Ägypten dort in der Diaspora lebten, fern von Tempel und Synagoge, einen Weg mit Gott, auf Gott hin, von Gott her zu entdecken. Diesen Weg und ihre Weise, Gott gefällig und den Menschen dienend zu leben, mussten sie sich in der Betrachtung erarbeiten, besser: erbeten – eben mittels der „Weisheit“, die mehr ist als menschliches kluges Handeln oder auch als Nachahmen und Erfüllen dessen, was Priester und Schriftgelehrte ihnen früher auferlegen. Das ist der Grund, warum die Weisheitsbücher des Alten Testamentes uns Heutigen sehr entgegenkommen können!

Dann die zweite Lesung: Paulus informiert die Gemeinde in Thessalonich, was es mit den Verstorbenen auf sich hat. Eine Lesung, besonders in der Kurzform, die mal wieder die Form „Wenn – dann“ hat, und die das Nachfragen kaum zulässt, ohne dass man als Ungläubiger angesehen wird. So ist es halt! Oder anders: Wer’s glaubt, wird selig (oder auch nicht).

Und als Highlight wieder eines der Evangelien mit Abrutsch-Garantie in der Bank, das irgendwie auch nichts Neues mehr sagen kann: Das Gleichnis von den zehn Jungfrauen, und den Fünfen von ihnen, denen das Öl ausgeht. Ich möchte nicht predigen müssen über den Brennstoff, der uns in Corona-Zeiten beim Leuchten hilft, oder über die Haltung, alles bei sich behalten zu wollen, anstatt zu teilen, und dass Klugheit hier doch Ungerechtigkeit meint.

Also: was tun? Wie so oft beim Predigen und erst recht bei Beten bleibe ich einfach bei den Worten aus der Schrift, die mich innerlich wärmen und es hell in mir machen – zugegeben, dass bei dieser Methode das Alte Testament oft den Apostelbriefen und den Evangelien den Rang ablaufen.

Dreimal „Draußen vor der Tür…“

Ich bleibe hängen bei einer Mischung von Nana Mouskouri, den Toten Hosen und Wolfgang Borchert – und spätestens jetzt sollte Ihnen das „Draußen vor der Tür“ aufgehen. Die Menschen meines Alters können sich vielleicht an den Schlager von Nana Mouskouri von 1976[1] erinnern: „Draußen vor der Tür steht ein Junge ohne Schuhe im Schnee, er will zu Dir, er möchte Dich wiedersehn. Er kommt von weit her und er sagt, dass Du sein Vater bist. Er hat Dich lange gesucht, weil er Dich so vermisst. […] Den Namen und das Leben hast Du ihm gegeben, nun gib ihm auch ein Zuhaus.“ Das ist ein Schlager fürs Herz, fürs Gemüt.

Ganz anders das „Draußen vor der Tür“ der Toten Hosen[2] von 2013. Hier blickt der Sänger Campino auf die schwierige Beziehung zu seinem Vater zurück. Die letzte Begegnung mit dem Vater fand „draußen vor der Tür“ statt, Campino singt von der Zeit der Trennung, und dass er jetzt Schritt für Schritt zurückkommen möchte auf seinen Vater. Da klingen weniger die zehn Jungfrauen als der verlorene Sohn nach, beinahe möchte man meinen, dass dem Sohn der Vater verloren gegangen sei.

Kulturell am wertvollsten wird aber Wolfgang Borcherts Drama „Draußen vor der Tür“ sein. Erzählt wird die Geschichte des Kriegsheimkehrers Beckmann, der durch die Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges noch geprägt ist und – das Stück ist 1947 geschrieben – keinen Anschluss mehr findet an die Menschen der Nachkriegsgesellschaft. Seine Fragen nach Moral und Verantwortung, die er <n bestimmte Personen, an Gott und an den Tod stellt, führen dazu, dass er von der Gesellschaft ausgeschlossen wird. Sein Ort ist draußen, vor der Tür.

Der Ort „Draußen, vor der Tür“ ist mehr als nur ein Ort – er steht für Ausschluss, für Exklusion. „Draußen vor der Tür“ ist in biedermeierscher Moral vielleicht der Gegen-Ort zu „drinnen am Ofen“. Man sehnt sich nicht danach, draußen vor der Tür zu stehen! Ein altes Wort im deutschen Wortschatz ist „unbehaust“. Alle drei Belegquellen – der Junge im Schnee, der Sohn auf der Suche nach dem Vater, der Kriegsheimkehrer – sind „Unbehauste“, nirgends zu Hause, umherziehend, keine Unterkunft oder Wohnung habend. Kein guter Zustand.

Die unbehauste Weisheit sucht eine Bleibe

Und dann das Bild von der Weisheit, die eben gerade „draußen vor der Tür“ sitzt und gefunden werden kann. Was für eine Zusage wird da denen, die in der Suche nach Gott auf sich alleine gestellt sind, gemacht: „Strahlend und unvergänglich ist die Weisheit, wer sie liebt, erblickt sie schnell, und wer sie sucht, findet sie. Denen, die nach ihr verlangen, kommt sie zuvor und gibt sich zu erkennen. Wer sie am frühen Morgen sucht, braucht keine Mühe, er findet sie vor seiner Tür sitzen.“ Vor der Tür, draußen. Wie kann das sein, wenn sie so herrlich, so unvergänglich geschildert wird?

Mir fällt die Antwort nicht schwer. Die Weisheit ist unbehaust, nicht weil sie ein so schweres Schicksal hat wie der Junge im Schnee, wie der suchende Sohn, wie der Kriegsheimkehrer, sondern weil sie gerne einziehen möchte bei denen, die sie suchen. Sie hat den ersten Schritt schon getan, den Schritt auf Sie, auf mich zu. Ein wenig kitschig mag es klingen, aber es ist wie bei einem Wohnungsgesuch: „Strahlende und unvergängliche Weisheit sucht Ein-Personen-Haushalt zum Mitwohnen.“ Das Buch der Weisheit gibt aber eines zu bedenken: Sie drängt sich nicht auf, sie klingelt nicht an den Türen, sie ist da und lässt sich ausschließlich finden.

Für eine Spiritualität für Soziale Berufe ist das ein sehr gutes Bild: Ich muss raus aus dem, was mir „Behausung“ ist, räumlich, gedanklich, ideell, um die Weisheit zu finden, immer wieder neu. Ich muss die Tür öffnen, das Abgeschlossene hinter mir lassen. Es ist klug, über die Weisheit nachzudenken. Nur: dann wohnt sie nicht bei mir. Ich muss rausgehen, was auch immer das in meiner jetzigen Lebenssituation heißt, ich muss aufbrechen, auch mich aufbrechen, um zu erleben, wie sie mir entgegenkommt, wie sie mir freundlich erscheint auf allen Wegen. Das ist es letztlich, was die Weisheit, das Leben in, mit, vor und aus Gott, angeht: Ich kann mich und darf mich von der Weisheit finden zu lassen, nicht in meinen Mauern, in meinem Behaustsein, sondern immer wieder draußen, vor der Tür!

Amen.

Köln, 08.11.2020
Harald Klein

[1] Der Text des Liedes von Nana Mouskouri findet sich [online] auf https://www.lyrix.at/t/nana-mouskouri-drauen-vor-der-tur-a5a [08.11.2020] – anhören können Sie das Lied [online] auf https://www.youtube.com/watch?v=SxKjcdaATsA [08.11.2020]

[2] Der Text des Liedes der Toten Hosen findet sich [online] auf https://genius.com/Die-toten-hosen-drauen-vor-der-tur-lyrics [08.11.2020] – anhören können Sie das Lied [online[ auf https://www.youtube.com/watch?v=dQKuXzOiQMY [08.11.2020]